Vielfalt im Meer erhalten

Neue Einblicke durch Plankton-Observatorien

Am Anfang der Nahrungskette im Meer steht das Plankton. Plankton zeichnet sich durch eine ausgesprochen breite Artenvielfalt aus. Mittels neuer Unterwasser-Plankton-Observatorien soll die Vielfalt des Planktons besser erfasst werden. So können auch die Veränderungen der Biodiversität im Plankton erkannt werden, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel auftreten.

Text: Dr. Klas Ove Möller

Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG)

  • Plankton ist die Basis der Ökosysteme des Meeres.
  • Durch den Klimawandel ändern sich die Artenverteilung und -zusammensetzung im Meer.
  • Mehr Wissen über die Zusammenhänge ist eine wichtige Voraussetzung für das nachhaltige Management mariner Ökosysteme.
  • Die Verteilung des Planktons kann mittels neuer bildgebender Verfahren erfasst werden.
  • Vor Helgoland wird ein neues Unterwasser-Zooplankton-Observatorium (ZooObs) eingesetzt.

Die große Rolle der kleinsten Meeresbewohner

Planktonische Organismen sind mikroskopisch kleine Tiere („Zooplankton“) und Pflanzen („Phytoplankton“), welche mit den Meeresströmungen driften. Sie sind die produktive Basis aquatischer Ökosysteme, spielen eine wichtige Rolle in ozeanischen Nahrungsnetzen und haben einen wesentlichen Einfluss auf den Kohlenstoffkreislauf des Ozeans. Somit hat Plankton eine direkte Auswirkung auf die wirtschaftlich wichtigen Fischbestände und das globale Klima. Aus diesen Gründen ist es notwendig, die Prozesse zu verstehen, welche die räumliche und zeitliche Verteilung, sowie die Häufigkeit und Biodiversität dieser Organismen beeinflussen.

Die genaue Aufschlüsselung der Plankton-Verteilung ist jedoch schwierig, da aquatische Ökosysteme durch eine außerordentlich große Vielfältigkeit an biologischen und physikalischen Merkmalen (z. B. Temperatur und Salzgehalt) gekennzeichnet sind und Beobachtungen im Meer somit herausfordernder sind als an Land. Gleichzeitig sind diese unterschiedlichen und variablen Bedingungen im Meer auch der Ursprung der enormen Artenvielfalt des Planktons (Abb. 1).

Traditionelle Methoden der Probenahme mit Hilfe von Planktonnetzen und Pumpen sind in ihrer räumlichen und zeitlichen Auflösung begrenzt. Außerdem erschweren das Fluchtverhalten, der Staudruck vor den Netzen, sowie das Zerbrechen der feinen Organismen eine realistische Abschätzung der Konzentration und Biodiversität des Planktons im Ozean.

Abb. 1: Beispielbilder von Zooplankton. Aufgenommen mit einer Unterwasserkamera (Video Plankton Recorder) im Nord-Atlantik.
Foto: HZG

Photoshooting im Ozean – Unterwasser-Kameras ermöglichen neue Einblicke

Neue technologische Entwicklungen der letzten Jahre führten zur Verbreitung nicht-invasiver, bildgebender Probenahme-Methoden von Plankton. So ermöglicht der Einsatz von Unterwasser-Kameras eine bessere qualitative und quantitative Beprobung der Biodiversität, Artenverteilung und Konzentration dieser fragilen Organismen (z.B. gelatinöse Rippenquallen, kettenbildende Kieselalgen) in ihrem natürlichen Verhalten und Orientation (Abb. 2).

Darüber hinaus ermöglicht die Darstellung einer Planktonprobe im digitalen Bildformat eine Beschleunigung der Auswertung. Während Netzproben langwierig und manuell unter dem Mikroskop sortiert und gezählt werden müssen, ermöglichen neue Softwareentwicklungen und maschinelles Lernen die automatische Klassifizierung unterschiedlicher Arten und riesiger Datenmengen in Echtzeit.

Abb. 2: Beispielbilder eines Video-Plankton-Recorders von zwei Medusen, welche aufgrund ihres gelatinösen Körperbaus in traditionellen Planktonnetzen nicht quantitativ beprobt werden können.
Foto: Klas Ove Möller/HZG

Schneefall im Meer

Kameras beobachten nicht nur Plankton, sondern auch alle anderen Teilchen, die mit dem Meerwasser vor der Linse vorbeidriften, wie z.B. abgestorbene, organische Partikel und Aggregationen einst lebenden Ursprungs. Diese herabsinkenden Partikel werden auch als Schnee der Meere oder „marine snow“ bezeichnet (Abb. 3).

Dieser Schneefall im Meer ist ein wichtiger Transportweg von Kohlenstoff aus der Atmosphäre und der oberen Schicht des Meeres in die Tiefsee und Teil der sogenannten biologischen Kohlenstoffpumpe des Ozeans. Zusätzlich wird vermutet, dass Marine snow eine mögliche und bisher unterschätzte Nahrungsquelle für das tierische Zooplankton ist.

Unser Verständnis der Prozesse, die die biologische Kohlenstoffpumpe des Ozeans kontrollieren, ist jedoch durch einen Mangel an Beobachtungsdaten in einem geeigneten Maßstab begrenzt, und über die Häufigkeit, Zusammensetzung und Nährstofffunktion von Meeresschnee ist wenig bekannt.

Das Plankton-Observatorium in der Nordsee

Um die Beobachtungen vor Ort zu verbessern wurde ein neues Unterwasser-Zooplankton-Observatorium (ZooObs) entwickelt (Abb. 4), welches kürzlich stationär in der südlichen Nordsee vor der Hochseeinsel Helgoland am Meeresboden verankert wurde. Während Kameras meist mobil von Forschungsschiffen eingesetzt werden, liegt der Schwerpunkt hier auf langzeitlichen lokalen Beobachtungen – rund um die Uhr und selbst bei harschen Wetterbedingungen und kurzfristig eintretenden Extremereignissen.

Das Unterwasser-Observatorium ist mit einem Landkabel zur Stromversorgung und Datenübertragung verbunden und kombiniert eine ferngesteuerte Unterwasser-Kamera (Video-Plankton-Recorder, VPR) mit einem akustischen Strömungs-Messinstrument (Acoustic Doppler Current Profiler, ADCP). Der ADCP liefert eine dreidimensionale Vermessung des Strömungsfeldes und misst zusätzlich die akustische Rückstreustärke aller Partikel und Organismen zwischen Meeresboden und Oberfläche im dreidimensionalen Raum.

Mit Hilfe dieser Daten lassen sich tägliche oder auch saisonale Wanderungsmuster von Zooplankton-Gemeinschaften untersuchen und Partikeldichten im Wasserkörper ermitteln. Der VPR nimmt gleichzeitig 15 Bilder in der Sekunde auf und bestimmt Phytoplankton, Zooplankton und Marine Snow ab einer Größe von 50 µm.

Alle Bilder werden anschließend automatisch in unterschiedliche Gruppen und Arten klassifiziert. Diese kontinuierlichen und hochaufgelösten Beobachtungen in nahezu Echtzeit ermöglichen, die zeitlichen Skalen von Minuten bis zu mehreren Monaten abzudecken.

Das ZooObs ist Teil des Coastal Observing Systems for Northern and Arctic Seas (COSYNA) und liefert in Kombination mit einer Reihe anderer Sensorplattformen und Messinstrumente (z.B. Glider, Fernerkundung, Forschungsschiffe und HF-Radar) einen einmaligen Datensatz.

Abb. 3: Beispielbilder von unterschiedlichen "Meeresschnee"-Aggregaten, aufgenommen mit einer Unterwasserkamera (Video Plankton Recorder)
Foto: Klas Ove Möller/HZG

Abb. 4: Das Unterwasser-Plankton Observatorium vor einem Testeinsatz in der Ostsee.
Foto: Klas Ove Möller/HZG

Biodiversitätsänderungen erkennen durch neue Technologie

Die kontinuierlichen und zeitlich hochaufgelösten Daten des Unterwasser-Plankton-Observatoriums schaffen erstmalig die Möglichkeit, komplette Jahreszeitenverläufe zu beobachten und münden längerfristig in die Etablierung einer Langzeitserie. Diese bieten die Gelegenheit, Änderungen in der Biodiversität in Relation zu den hydrographischen Gegebenheiten im Ozean zu erkennen (z.B. Veränderung der Wassertemperatur).

Des Weiteren ermöglichen die Daten das Erkennen von „invasiven“ Arten, welche z.B. durch das Ballastwasser von Containerschiffen verbreitet werden und sich durch umweltbedingte Änderungen in dem marinen Ökosystem etablieren können. Außerdem erlauben die Kameraaufnahmen Untersuchungen und Prozessstudien zum Verhalten von Plankton im Ökosystem. Besonders interessant sind vertikale Tag-Nacht-Wanderungen, Räuber-Beute- Interaktionen und nicht zuletzt die Interaktion zwischen Zooplankton und Marine snow.

Zudem sind Vergleiche und Ergänzungen mit den vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) mit traditionellen Methoden erhobenen Datensatz „Helgoland Reede“ geplant, einem der weltweit wichtigsten Datensätze mit täglichen Probennahmen seit mehreren Jahrzehnten.

Herausforderungen und Visionen

Das ZooObs ergänzt das Unterwasserknoten-System, das von HZG und AWI im Rahmen von COSYNA vor Helgoland eingesetzt wird. In diesem küstennahen Ozean sind die Sichtbedingungen durch die von den Gezeiten und zeitweise durch die von Stürmen aufgewirbelten Sedimente trübe. Der Einsatz von Unterwasser-Kameras ist daher besonders herausfordernd.

Trotzdem ist der Standort gerade durch die hohe Produktivität an der Küste und den hohen anthropogenen Einfluss wissenschaftlich interessant. Der Einsatz der neuartigen Erfassungsmethode ist nicht zuletzt aufgrund der sich schnell ändernden Artenvielfalt notwendig.

Für die Zukunft ist der Einsatz eines weiteren Plankton-Observatoriums in der Arktis geplant. In diesem Gebiet ist die menschliche Nutzung gering, der Klimawandel macht sich aber bereits besonders durch steigende Temperaturen bemerkbar und ist daher für Vergleichsstudien besonders interessant. Der integrative Monitoring-Ansatz überbrückt die Lücke zwischen der Primärproduktion und den höheren Ebenen der Nahrungskette und hilft dabei, schnell auftretende Umweltveränderungen zu erkennen und zu verfolgen. Eine überregionale Etablierung mehrerer Unterwasser-Observatorien kann somit ein mögliches Instrument für eine ganzheitliche Bewertung der marinen Biodiversität darstellen. Das wäre eine wichtige Voraussetzung für ein nachhaltiges Management mariner Ökosysteme.

Forschungsthema Kohlenstoffdioxid: Einblicke in wichtige Forschungsarbeiten zum Thema Kohlenstoffdioxid bieten Wissenschaftler*innen der Helmholtz-Gemeinschaft.

 

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Kooperationspartner

Das Unterwasserplankton- und Partikelbeobachtungszentrum wurde in Zusammenarbeit zwischen dem HZG (Dr. Klas Ove Möller), dem Thünen-Institut für Seefischerei (Dr. Boris Cisewski) und dem Alfred-Wegener-Institut (Prof. Dr. Philipp Fischer) gemeinsam mit Unternehmen für Meerestechnik entwickelt. Das Zooplankton-Observatorium wurde im Rahmen des Verbundprojekts AutoMAt („Anpassung und Weiterentwicklung von innovativen, nicht-invasiven Monitoringsystemen und Auswerteverfahren für die Fischereiforschung“) entwickelt. AutoMAt wurde vom Projektträger BLE (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung) gefördert.

Quellen

  • Lombard, F., Boss, E., Waite, A. M., Vogt, M., Uitz, J., Stemmann, L., Sosik, H. M., ... Appeltans, W. (2019). Globally consistent quantitative observations of planktonic ecosystems. Frontiers in Marine Science, 6:196, 1-21. doi:10.3389/fmars.2019.00196
  • Möller, K. O., Schmidt, J. O., St.John, M., Temming, A.,  Diekmann, R., Peters, J., Floeter, J., Sell, A. F., Herrmann, J.-P. & Möllmann, C. (2015). Effects of climate-induced habitat changes on a key zooplankton species. Journal of Plankton Research, 37(3), 530-541. doi:10.1093/plankt/fbv033
  • Möller, K. O., St. John, M., Temming, A., Floeter, J., Sell, A. F., Herrmann, J.-P. & Möllmann, C. (2012). Marine snow, zooplankton and thin layers: indications of a trophic link from smallscale sampling with the Video Plankton Recorder. Marine Ecology Progress Series, 468, 57-69. doi:10.3354/meps09984

Zitiervorschlag: Möller, K. O. (2020). Neue Einblicke durch Plankton-Observatorien. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 158-161). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.7.3