Vielfalt im Meer erhalten

Die Bestimmung von Phytoplanktongruppen durch Fernerkundung in Küstengewässern

Kleinste im Meer driftende Algen produzieren etwa die Hälfte des in der Atmosphäre weltweit vorhandenen Sauerstoffs. Gleichzeitig nimmt der Ozean etwa ein Drittel des jährlich von Menschen freigesetzten CO2 wieder auf. Das Phytoplankton bildet zudem die Basis des marinen Nahrungsnetzes und ist deshalb entscheidend für das Vorkommen und die Artengemeinschaften anderer Meeresorganismen. Es sichert somit viele wichtige Ökosystemleistungen. Jedoch können Algenblüten auch toxisch sein und die Fischerei beeinträchtigen.

Text: Dr. Christiane Eschenbach, Dr. Hajo Krasemann

Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG)

  • Die Überdüngung der Meere wie auch der Klimawandel könnten großräumige Veränderungen des Phytoplanktons mit sich bringen.
  • Mit Hilfe von hoch auflösenden Fernerkundungsdaten und komplexen Berechnungen werden das Auftreten und die Ausbreitung von Algenblüten überwacht.
  • Neuerdings gelingt sogar die Bestimmung einzelner Algengruppen per Satellit.

Als Phytoplankton oder pflanzliches Plankton bezeichnet man kleinste Algen, die mit der Wasserströmung passiv im Gewässer treiben. Das Phytoplankton im Meer umfasst zum Beispiel Kieselalgen, Grünalgen, Dinoflagellaten (Panzergeißler) oder auch Blaualgen (Cyanobakterien). Durch Photosynthese binden diese winzigen Algen Kohlenstoff, aus dem sie mit Hilfe von Nährstoffen ihre Biomasse aufbauen.

Das Phytoplankton produziert damit etwa die Hälfte des in der Atmosphäre vorhandenen Sauerstoffs. Es bildet die Grundlage des Nahrungsnetzes im Meer und spielt eine wesentliche Rolle für die Biodiversität in den Ozeanen. Viele Ökosystemleistungen der Meere, die der Mensch in Anspruch nimmt, basieren auf dem Phytoplankton. So spielen Algen für die menschliche Ernährung direkt und indirekt eine wichtige Rolle.

Wichtig ist auch der Beitrag des Phytoplanktons zur Regulation des Klimas: Es fixiert große Mengen des klimaschädlichen Kohlendioxid. Dessen Konzentration in der Atmosphäre steigt daher langsamer und die globale Erwärmung wird abgemildert.

Andererseits gibt es Algen, die toxische Stoffe entwickeln und bei einem massenhaften Auftreten gefährlich werden können. Daher wird Phytoplankton im Rahmen verschiedener Messprogramme regelmäßig überwacht. Dies geschieht vor Ort als Messung direkt im Wasser (in-situ), durch Fernerkundung und auch indirekt durch Modellierungen. Ein Beispiel dafür ist das Copernicus-Programm mit seinem Marine Environment Monitoring Service (CMEMS). Als Näherungswert für die Phytoplankton-Konzentration wird oft die Konzentration des darin enthaltenen Chlorophylls verwendet.

Abb. 1: Satellitenbild der Nordsee vom 21. April 2019. (Sensor OLCI aus Sentinel-A)
Karte: KOF/HZG

Phytoplankton in bis zu 50 m Wassertiefe mit Fernerkundung messen

Für die Überwachung des Zustands der Meere, sowie der Küsten- und Binnengewässer ist die flächendeckende Fernerkundung unverzichtbar geworden. Aus der Farbe des Ozeans – also aus einem optischen Signal – werden bestimmte Wassereigenschaften abgeleitet. Mittels satellitengestützter Verfahren werden heute routinemäßig die Konzentrationen von Schwebstoffen, Algen (Chlorophyll) und organischen Abbauprodukten wie Gelbstoff gemessen. Seit 1997 sind ohne Unterbrechung Satelliten mit entsprechenden Sensoren im Orbit. Heute sind dies zum Beispiel die US-amerikanischen und europäischen Satelliten MODIS, VIIRS, und OLCI auf Sentinel-3.

Die Sensoren messen im sichtbaren und im nahen Infrarot-Bereich und zwar nur in definierten Ausschnitten des Spektrums, das heißt in engen Spektralbereichen. In der Fachsprache spricht man von sogenannten „spektralen Bändern“ (Abb. 3). Bei dem ersten Beobachtungssatelliten standen zunächst 8 Bänder zur Verfügung. Heute sind es bis zu 21 Bänder, und damit ein größerer Anteil am gesamten Spektrum.

Die für die Satelliten „sichtbare“ Wasserschicht beträgt je nach Wasserbedingungen 5 Millimeter bis 50 Meter. Im Wattenmeer und in der Trübungszone der Elbe ist die Sichttiefe für die Satelliten mit nur 0,5 bis 50 Zentimetern gering. In der mittleren Nordsee beträgt die sichtbare Schicht bereits 10 bis 15 Meter und in den klaren Gewässern des offenen Ozeans bis zu 50 Meter.

Wie funktioniert die Messung? Genaugenommen werden die Konzentrationen aus den sogenannten Reflektanzen berechnet. Dabei handelt es sich um das Verhältnis der Strahlung, die aus dem Wasser austritt, zu derjenigen Strahlung, die in das Wasser eindringt (ohne den Anteil, der an der Oberfläche reflektiert wird). Die sich anschließenden Berechnungen zur Bestimmung der verschiedenen Konzentrationen sind kompliziert und umfassen viele einzelne Berechnungsverfahren und -schritte. Zum Beispiel müssen zunächst die Einflüsse der Atmosphäre, die einen großen Anteil des gemessenen Signals ausmachen, aus den Reflektanzen herausgerechnet werden („Atmosphärenkorrektur“).

Als Ergebnis einer solchen komplizierten Berechnungskette zeigt Abb. 2 als Beispiel die Verteilung der Chlorophyllkonzentration in der Nordsee an einem Frühlingstag. Aufgrund der höheren biologischen Aktivität ist die Chlorophyllkonzentration in Küstennähe generell hoch. Westlich von Dänemark und auch nördlich der Emsmündung sind Algenblüten (rot) zu erkennen.

Mit den bisher beschriebenen Verfahren kann man die Chlorophyll-Konzentrationen sicher bestimmen und daraus die Algenbiomasse ableiten. Damit weiß man aber noch nichts über die Arten, die zum Beispiel eine Algenblüte bilden. Die Unterscheidung von Algengruppen per Fernerkundung ist weitaus schwieriger und die nächste Herausforderung. Eine Unterscheidung der einzelnen Arten selbst ist aktuell noch nicht möglich.

Abb. 2: Gezeigt wird die Chlorophyllkonzentration der Nordsee. Bestimmt wurde sie aus dem optischen Signal. Eine Rotfärbung steht für "höchste Konzentration", blau bis hellgrün hingegen für die "durchschnittliche Konzentration". Neben den höheren Werten in Küstennähe ist auch eine ausgeprägte Erhöhung, d.h. eine Algenblüte, in der zentralen Nordsee zu sehen. (Sensor OLCI auf Sentinel-3A mit dem Prozessor für optisch komplexe Gewässer bestimmt für den 21. April 2019, 10:17 UTC.)
Karte: KOF/HZG

Algengruppen zuverlässig unterscheiden mit hyperspektralen Messungen

Die Bestimmung der Algengruppen beruht darauf, dass verschiedene Artengruppen des Phytoplanktons, wie Grünalgen, Kieselalgen oder Dinoflagellaten, geringfügig verschiedene Absortionsspektren haben. Allen gemeinsam ist ein Haupt-Absorptionsmaximum im blauen, ein Nebenmaximum in roten Spektralbereich und eine geringe Strahlungsabsorption im Grünen (Abb.3). Bei genauer Betrachtung zeigen die verschiedenen Algengruppen im Detail aber Unterschiede und lassen sich daher anhand ihrer Absorptionsspektren unterscheiden. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Algengruppen sind zwar im vollständigen Spektrum gut zu erkennen, aber anhand nur weniger „Bänder“ lassen sich die Algengruppen nicht sicher voneinander unterscheiden (Abb.3 links).

Ein vollständig gemessenes Spektrum ist daher Voraussetzung, um eine sichere spektrale Unterscheidung der Algengruppen durchzuführen. Nur dann kann die dafür notwendige mathematische Ableitung berechnet werden (Abb. 3 rechts). Die Bestimmung des vollständigen Spektrums im sichtbaren Bereich und im nahem Infrarot mit sehr vielen, das heißt 100 bis 500 engen, aber doch noch etwas überlappenden Bändern wird ‚hyperspektrale‘ Messung genannt.

Im Orbit wurden erst wenige spezielle Sensoren eingesetzt, die auch über Wasser ein vollständiges Spektrum messen können. Dies geschah bisher nur in experimentellen Anordnungen – zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation ISS (Hyperspectral Imager for the Coastal Ocean / HICO, DESIS). Zurzeit sind mehrere Satellitenmissionen mit derartigen Sensoren in Vorbereitung, die eine solche Analyse mit ausreichender Qualität ermöglichen sollen. Eine davon ist die EnMAP-Mission, die für Ende 2020 den Start eines neuen Satelliten plant.

Als Vorbereitung für die Satellitenmissionen wurde untersucht, inwieweit es möglich ist, einzelne Algengruppen durch ‚hyperspektrale‘ Messung voneinander zu unterscheiden (Abb. 4). Dafür wurde nicht das direkte Absorptionsspektrum (Abb. 3 links) verwendet, sondern die vierte Ableitung davon. Damit sind systembedingte Störsignale deutlich unterdrückt und kleine Abweichungen der jeweiligen Kurvenspitzen gut zu erkennen (siehe Abb. 3 rechts). Die Unterscheidungsfähigkeit hängt von der Chlorophyll-Konzentration ab (Abb. 4).

Bei geringen Konzentrationen ist der sogenannte Similaritätsindex – als Maß für die Ähnlichkeit der Spektren – für alle Algengruppen fast gleich und liegt nahe eins. Die verschiedenen Algengruppen sind also bei geringen Konzentrationen – wie sie z.B. für den blauen Ozean in großer Küstenferne, für die zentrale Nordsee oder zwischen den Kontinenten typisch sind – durch die hyperspektrale Fernerkundung kaum zu unterscheiden. Mit steigender Konzentration wird die Unterscheidungsfähigkeit besser und bei Konzentrationen von 1 bis 10 mg/m3 ist eine Unterscheidung realistisch möglich. Solche Konzentrationen sind zum Beispiel typisch für die Deutsche Bucht.

Wenn die Chlorophyllkonzentrationen hoch genug sind, können auf diese Weise künftig Algengruppen anhand von Satellitenmessungen taxonomisch bestimmt werden. Für jedes Pixel einer Satellitenszene können Aussagen über Algengruppen getroffen werden. Zum Beispiel können die Algenblüten in der Nordsee (Abb. 1 und 2) dann einer bestimmen Algengruppe zugeordnet werden.

Abb. 3: Beispiele von Absorptionsspektren für verschiedene Phytoplanktongruppen (links) und mit den entsprechenden Spektren der vierten Ableitung (rechts). Grau hinterlegt sind die vom Sensor OLCI auf Sentinel-3 genutzten Spektralbänder, als schwarze Linie die jeweils zentrale Frequenz und grau der jeweils gesamte Bereich aus dem die Strahlung gemessen wird. Weitere Bänder im nahen Infrarot oberhalb 700nm sind nicht dargestellt. Man kann gut erkennen, dass die spektrale Lage der Bänder gewählt wurde, um typische Maxima und Minima erkennen zu können.
Grafik aus Xi, H. et al. 2015 / CC BY 4.0

Abb. 4: Similaritätsindex zwischen verschiedenen Algengruppen in Abhängigkeit von der Chlorophyllkonzentration. Dominante Gruppen sind bei Chlorophyllkonzentration von 1–10 mg/m3 gut unterscheidbar.
Grafik aus Xi, H. et al. 2015 / CC BY 4.0

HREP (HICO and RAIDS Experiment Payload) auf der ISS.

Bild: NASA

Infokasten: Ein Hyperspektrometer für das Küstenmeer (HICO)

  • HICO war der erste weltraumgestützte Hyperspektralsensor, der speziell für den Küstenmeerbereich und Ästuarien, Flussgebiete oder andere Flachwassergebiete entworfen wurde.
  • Der Sensor war bis September 2014 auf der Internationalen Raumstation (ISS) im Einsatz.
  • Er befand sich im HREP-Messkomplex, der am 10.September 2009 mit einem japanischen HTV-Raumfrachter zur ISS gebracht und an der Außenplattform des japanischen Labormoduls Kibo installiert wurde.
  • HICO erzeugte hyperspektrale Bilder, vor allem im Spektralbereich von 400-900 nm, mit einem Bodenprobenabstand von ≈ 90 m.
  • Die Sichtfelder für die Quer- und Längsspur betrugen 42 km (im Nadir) bzw. 192 km bei einer Gesamtszenenfläche von 8000 km2.

Quellen: Feldmann, o.D.; Internationale Raumstation - Nutzen für den Menschen 2012, S. 41-43; Lucke et al., 2011.

Algenblüten jahreszeitlich genau erfassen können

Die neuen Ansätze zum Monitoring von Algengruppen mittels Fernerkundung dienen dazu, das räumliche und zeitliche Auftreten von Algen zu erkennen. Spannende Fragen sind zum Beispiel: Wo treten bestimmte Algengruppen auf? Gibt es großräumige Verschiebungen von Artengemeinschaften? Ist ein Zusammenhang mit Klimaveränderungen zu erkennen? Wann und wo treten toxische Algen auf?

Besonders wichtig ist der Zeitpunkt des Auftretens von Algenblüten im Jahresverlauf. Die Primärproduktion der Algen ist die Grundlage für das Nahrungsnetz im Meer und hat daher wiederum Einfluss auf die Biodiversität derjenigen Lebewesen, die sich von Phytoplankton ernähren. Dieser Einfluss geht weiter durch die sich im Nahrungsnetz anschließenden sogenannten trophischen Ebenen und ihre Artengemeinschaften.

Das Algenwachstum ist zum Beispiel direkt und indirekt wichtig für das Überleben von Fischlarven. Wenn die verschiedenen Komponenten des Nahrungsnetzes aus der Balance geraten, hat das weitreichende Folgen. Siehe dazu auch den Artikel „Leben am Limit – der Klimawandel bedroht den Kabeljau”.

Andererseits können zum Beispiel Fischfarmer rechtzeitig vor dem Auftreten von toxischen Algenblüten gewarnt werden. Sie können entsprechend reagieren und die Fischaufzuchtkäfige aus dem gefährdeten Gebiet entfernen oder die Fische gegebenenfalls rechtzeitig entnehmen.

Quellen

  • Blondeau-Patissiera, D., Gower, J. F. R., Dekker, A. G., Phinn, S. R. & Brando, V. E. (2014). A review of ocean color remote sensing methods and statistical techniques for the detection, mapping and analysis of phytoplankton blooms in coastal and open oceans. Progress in Oceanography, 123, 123-144. doi:10.1016/j.pocean.2013.12.008
  • Dierssen, H. M. & Randolph, K. (2012). Remote Sensing of Ocean Color. In J. Orcutt (Hrsg.), Earth System Monitoring (S. 439-472). New York: Springer.
  • Guanter, L., Kaufmann, H., Segl, K., Foerster, S., Rogass, C., Chabrillat, S., ... Sang, B. (2015). The EnMAP Spaceborne Imaging Spectroscopy Mission for Earth Observation. Remote Sensing, 7(7), 8830-8857. doi:10.3390/rs70708830
  • Lucke, R. L., Corson, M., McGlothlin, N. R., Butcher, S. D., Wood, D. L., Korwan, D. R., Li, R. R., Snyder, W. A., Davis, C. O. & Chen, D. T. (2011). Hyperspectral Imager for the Coastal Ocean: instrument description and first images. Applied Optics, 50(11), 1501-1516. doi:10.1364/AO.50.001501
  • Xi, H., Hieronymi, M., Krasemann, H. & Röttgers, R. (2017). Phytoplankton Group Identification Using Simulated and In situ Hyperspectral Remote Sensing Reflectance. Frontiers in Marine Science, 4:272, 1-13. doi:10.3389/fmars.2017.00272
  • Xi, H., Hieronymi, M., Röttgers, R., Krasemann, H. & Qiu, Z. (2015). Hyperspectral Differentiation of Phytoplankton Taxonomic Groups: A Comparison between Using Remote Sensing Reflectance and Absorption Spectra. Remote Sensing, 7(11), 14781-14805. doi:10.3390/rs71114781

Weiterführende Informationen

Zitiervorschlag: Eschenbach, C. & Krasemann, H. (2020). Die Bestimmung von Phytoplanktongruppen durch Fernerkundung in Küstengewässern. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 162-166). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.7.4