Vielfalt im Meer erhalten

Mikrobielle Biodiversität im Meer erhalten

Mikroorganismen im Meer stellen eine riesige Schatzkammer dar. Ihr Stellenwert für das Funktionieren von Ökosystemen ist vielfach noch unbekannt. Auch das Potenzial für industrielle Anwendungen etwa in der Medizin oder der Lebensmittelherstellung kann momentan nur ansatzweise abgeschätzt werden. Umso wichtiger ist es, die Vielfalt von Kleinstlebewesen im Meer zu erhalten und intensiver zu erforschen.

Text: Dr. Jutta Wiese, Prof. Dr. Ute Hentschel Humeida

GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

  • Mikroorganismen sind enorm vielfältig und in allen marinen Lebensräumen anzutreffen.
  • Aufgrund ihrer großen Diversität nehmen sie eine entscheidende Rolle im Ökosystem Meer ein.
  • Ein nachhaltiger Umgang mit der biologischen Vielfalt von Mikroorganismen in den Ozeanen ist daher wichtig.

Mikroorganismen

Zu den Mikroorganismen zählen Bakterien, Archaeen, Protisten – zum Beispiel Pilze – und Viren. Es handelt sich um winzige Lebewesen, von denen viele nur einen Bruchteil eines Zentimeters (etwa 1 Mikrometer) groß sind. Wie klein sie sind veranschaulicht dieser Vergleich: Würde man 10.000 Bakterienzellen aneinanderreihen, käme man gerade mal auf eine Gesamtlänge von nur einem Zentimeter.

Mikroorganismen sind in allen marinen Lebensräumen anzutreffen. Sie sind im Meerwasser der Arktis genauso nachweisbar wie an den 400°C heißen Quellen der Tiefsee. An beiden Standorten herrschen extreme Wachstumsbedingungen wie niedrige bzw. hohe Temperaturen oder hoher Druck. Mikroorganismen finden ihren Lebensraum aber auch bei anderen Meeresbewohnern wie zum Beispiel Schwämmen, Korallen, Algen oder Muscheln, mit denen sie häufig in Symbiose leben.

Je nach Lebensraum variiert die Anzahl an Mikroorganismen enorm. So findet man in Meerwasserproben der Kieler Förde (Ostsee) über fünf Millionen Bakterien schon in einer kleinen Menge, die einem Teelöffel entspricht (1 Milliliter). Im Sediment des Wattenmeeres der Nordseeküsten wurden mehrere Milliarden Meeresbakterien bereits in einem Gramm Schlick nachgewiesen. In marinen Schwämmen können Mikroorganismen in sehr großer Anzahl zwischen 100 Millionen und 10 Milliarden in einem Gramm der Schwammbiomasse vorkommen. Bei dem Hornkieselschwamm Aplysina aerophoba machen Mikroorganismen bis zu einem Drittel der Schwammbiomasse aus (Abb. 1).

Über die Gesamtzahl von Mikroorganismenarten im Meer gibt es lediglich Schätzungen. Man geht davon aus, dass mindestens 37.000 Bakterien- und Archaeenarten, 100.000 Protistenarten (inklusive der Pilze) sowie 5.500 Viruspopulationen im Meer vorkommen. Innerhalb jeder Art findet man wiederum zahlreich verschiedene Gruppen nah verwandter Individuen. Jede Art sowie jede Gruppe an Individuen weist Eigenschaften auf, die sie von anderen Arten bzw. Gruppen unterscheidet.

Wichtige Funktionen im Meer

Mikroorganismen nehmen aufgrund ihrer großen Biodiversität eine entscheidende Rolle im Ökosystem Meer ein: Dazu zählt die Beteiligung am Nährstoffkreisläufen, wie dem Stickstoff- und Kohlenstoffkreislauf. Durch die Aufnahme von Kohlenstoffdioxid tragen Mikroorganismen wesentlich zur Verminderung der Ozeanversauerung bei. Darüber hinaus bieten sie ihren Wirtsorganismen Nahrung, Schutz von Fressfeinden oder wehren Krankheitserreger ab. Dadurch tragen sie zum Überleben der Meeresbewohner, mit denen sie in Symbiose leben, bei.

Die vielfältigen Aktivitäten der unterschiedlichen Mikroorganismen kommen auch zum Tragen, wenn es um die Verringerung von Umweltschäden geht. Ihre Fähigkeiten umfassen beispielsweise die Zersetzung von Kohlenwasserstoffen, die als Bestandteile von Öl u.a. bei Tankerunfällen in die Meere gelangen. Allerdings dürfen wir trotz der nützlichen Eigenschaften der Mikroorganismen für die Meere nicht vergessen, dass es dringend erforderlich ist, Maßnahmen zu treffen, die den Eintrag von Schadstoffen in die Meere verhindern.

Aufgrund ihrer besonderen biologischen Eigenschaften können Mikroorganismen und die von ihnen produzierten Inhaltsstoffen biotechnologisch genutzt werden. Dazu zählen antibiotisch wirksame Substanzen, Pigmente, Antioxidantien, Vitamine, Fettsäuren oder Enzyme. Diese Inhaltsstoffe werden für Lebensmittel, Tierfutter, Kosmetik, Aquakultur oder Arzneimittel verwendet, um einige Beispiele zu nennen.

Abb. 1 a-b: Der Zuckertang Saccharina latissima, eine Braunalge aus der Ostsee, ist mit zahlreichen Bakterien besiedelt. Es sind stäbchenartige, runde und spiralformende Bakterien, die die Algenoberfläche besiedeln, zu erkennen.

Aufnahmen: Jutta Wiese 

Abb. 1 c-d: Der Mittelmeer-Schwamm Aplysina aerophoba beherbergt eine ungeahnte Vielfalt an Mikroorganismen, die in Symbiose mit dem Wirtsschwamm leben.

Aufnahmen: Ute Hentschel 

Artenvielfalt erhalten

Mikroorganismen sind in der Lage, sich in einem gewissen Umfang an verändernde Umweltbedingungen wie Klimaerwärmung, Ozeanversauerung, Nährstoffeintrag (Eutrophierung) oder Schadstoffe (Mikroplastik) anzupassen. Diese Anpassungsvorgänge sind von großer Bedeutung nicht nur für die Mikroorganismen selbst, sondern für die Nahrungskette, für andere Meeresbewohner, aber auch das gesamte Ökosystem Meer. Allerdings haben sich zum Teil Bakterienarten erst in mehreren hundert Millionen Jahren entwickelt und ihre spezifischen Fähigkeiten ausgebildet. Ihrer Anpassungs- und Leistungsfähigkeit sind aufgrund dieser langen Entwicklungszeiträume Grenzen gesetzt – beispielsweise, wenn es um die Beseitigung von Umweltproblemen geht.

Um die Diversität und die für das Ökosystem Meer wichtigen Funktionen von Mikroorganismen zu untersuchen, ist der Zugang zu Forschungsschiffen mit entsprechenden Geräten zur Probennahme von essentieller Bedeutung. Denn viele Arten sind überhaupt noch nicht bekannt geschweige denn erforscht.

Gleichzeitig gilt es, die rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen. Dazu zählt in wesentlichem Maße das international geltende Nagoya-Protokoll. Dieses Umweltabkommen der UN-Biodiversitätskonvention gibt einen Rahmen für die Nutzung von genetischen Ressourcen eines Landes vor. So kann jedes Land, welches das Nagoya-Protokoll unterzeichnet hat, Bedingungen zur Sammlung und Nutzung des in ihrem Land gesammelten Materials an landesfremde Forscher stellen. Damit ist gewährleistet, dass die „Herkunftsländer in gerechter Weise an den Vorteilen, die sich aus der Nutzung ihrer Ressourcen ergeben, beteiligt werden. Auf diese Weise wird in den Herkunftsländern auch ein ökonomischer Anreiz für den dauerhaften Erhalt von biologischer Vielfalt gesetzt“ (Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit, 17.11.2017).

Für ein funktionierendes Ökosystem sowie für die biotechnologische Nutzung von Mikroorganismen ist ein nachhaltiger Umgang mit der biologischen Vielfalt, letztendlich auch der von Mikroorganismen, von entscheidender Bedeutung. Denn möglicherweise finden sich in den Lebensgemeinschaften und Arten wichtige Erbinformationen, Bestandteile und Stoffe, die einen bedeutsamen Nutzen etwa für medizinische Zwecke haben können, beispielsweise die Identifizierung neuer Antibiotika. Oder sie sind zentral für das Funktionieren von Stoffkreisläufen, dienen der Stabilisierung von Ökosystemen im Meer bzw. erbringen wichtige Ökosystemdienstleistungen etwa bei Schadstoffen, bei der Produktion von Sauerstoff oder der Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid.

Abb. 2: Diversität mariner Pilze: Dargestellt sind die unterschiedlichen Wuchsformen der Pilze auf Nährmedium im Labor sowie die entsprechenden Zellformen, die nur mit dem Rasterelektronenmikroskop zu erkennen sind.

Fotos: Rolf Schmaljohann, GEOMAR

Quellen

  • Goecke, F., Thiel, V., Wiese, J., Labes, A. & Imhoff J. F. (2013). Algae as important environment for bacteria – phylogenetic relationships among new bacterial species isolated from algae. Phycologia, 52, 14-24. doi:10.2216/12-24.1
  • Meyer-Reil, L. A. (2005). Mikrobiologie des Meeres: Eine Einführung. Wien, Austria: Fakultas.
  • Pita, L., Rix, L., Slaby, B. M., Franke A. & Hentschel, U. (2018). The sponge holobiont in a changing ocean: from microbes to ecosystem. Microbiome, 6:46. doi:10.1186/s40168-018-0428-1

Zitiervorschlag: Wiese, J. & Hentschel Humeida, U. (2020). Mikrobielle Biodiversität im Meer erhalten. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 172-175). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.7.6