Überdüngung

„Mehr ist besser“ – Seegras als Indikator für den Zustand von Küstengewässern

Seegraswiesen sind grüne Oasen am Meeresboden. Anhand der Verbreitung von Seegras lässt sich erkennen, wie es um ein aquatisches Ökosystem steht.

Text: Dr. Tobias Dolch

Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)

  • Seegräser reagieren empfindlich auf die Verschlechterung der Umwelt.
  • Daher zeigt ihr Zustand an, wie gut es um ein Meeresökosystem bestellt ist.
  • Im nördlichen Wattenmeer hat sich das Seegras gut entwickelt.
  • Das ist auf die Reduzierung des Nährstoffeintrags seit den 1980er Jahren zurückzuführen.

Seegräser sind keine Algen, sondern blütentragende Meerespflanzen (Abb. 1). Sie bilden auf dem Meeresboden ganze Wiesen aus (Abb. 2). Diese Seegraswiesen findet man sowohl im küstennahen Flachwasserbereich als auch auf den trockenfallenden Wattflächen. Abgesehen von der Antarktis kommen sie in allen Küstenzonen der Erde vor und sind damit weltweit die dominierende Vegetation flacher, sandiger Küsten.

Lebensraum Seegraswiese

Seegraswiesen sind nicht nur aufgrund ihrer großen räumlichen Verbreitung bedeutsam. Sie gelten auch als eine der produktivsten Vegetationstypen an der Küste. Seegräser erfüllen eine Vielzahl wichtiger ökologischer Funktionen. Verglichen mit dem unbewachsenen Meeresboden stellen Seegraswiesen regelrecht grüne Inseln oder Oasen dar, wo sich viele Tiere zwischen den einzelnen Seegrasblättern verstecken können. Sie bieten somit Lebensraum sowie Schutz vor Fressfeinden und erhöhen dadurch ganz entscheidend die Biodiversität an den Küsten.

Zudem dienen Seegraswiesen als Laichgebiete und Kinderstube für Jungfische, darunter auch kommerziell bedeutsame Arten wie Hering und Scholle. Darüber hinaus sind sie eine wichtige Nahrungsquelle: in den Tropen für Meeresschildkröten und Seekühe, im Wattenmeer für Zugvögel. Hinsichtlich des Klimawandels sind Seegraswiesen ebenfalls sehr bedeutsam. Sie zeichnen sich durch eine effiziente Kohlenstoffspeicherung aus, die um ein Vielfaches höher liegt als bei Wäldern.

Abb. 1: Die Blätter der Seegraspflanzen bieten für viele Tiere hervorragende Versteckmöglichkeiten. Im Bild sieht man eine Strandschnecke, die den Algenaufwuchs von den Blättern abweidet.
Foto: Tobias Dolch

Nutzung von Seegras

Seegras war vor allem in der Vergangenheit auch von wirtschaftlichem Interesse. Es wurde in erster Linie als Stopfwolle für Kissen und Matratzen bzw. als Dünger in der Landwirtschaft verwendet. Während früher die lebenden Seegraspflanzen geerntet wurden, zieht man heute die Verwendungsmöglichkeiten von angespülten Seegras am Strandufer in Betracht: als Material für Erosionsschutzmatten zur Sand- und Deichstabilisierung, als Baustoff und Dämmmaterial, als medizinisch-kosmetische Rohstoffbasis, als Grundlage für Biokunststoffe, als Nahrungs(ergänzungs)mittel, als Tierstreu oder als Streu für Komposttoiletten.

Gefahren fürs Seegras

Seegräser sind jedoch sehr empfindlich gegenüber einer Reihe von Umweltparametern. Sie reagieren besonders stark auf zu hohe Nährstoffeinträge. Zu viele Nährstoffe, die in erster Linie über Flüsse ins Meer eingetragen werden, bedeuten eine Überdüngung des Wassers und bringen eine Fülle von negativen Konsequenzen für das gesamte Ökosystem mit sich. Auf Seegras wirken die vielen Nährstoffe direkt giftig.

Zudem erhöhen sie das Algenwachstum, sodass sich das Wasser grün färbt, was für Seegras ein reduziertes Lichtangebot bedeutet. Darüber hinaus werden Seegräser durch starke Strömungen und Wellen deutlich beeinträchtigt sowie durch die damit oft einhergehende ständige Umverlagerung von Sedimenten. Das ist problematisch, da Seegras nur in geschützten und strömungsberuhigten Gebieten wächst.

Es ist zu befürchten, dass dies die große Gefahr der Zukunft für Seegras sein wird: Mit dem Klimawandel gehen ein steigender Meeresspiegel, stärkere Strömungen sowie ein verändertes Sturmklima einher. Dies bedeutet einen Verlust an geschützten Lebensräumen, auf die Seegras angewiesen ist. Zudem vertragen Seegräser keine starken Veränderungen der Temperatur und des Salzgehaltes. Primär durch diese Faktoren werden die räumliche Verbreitung, Größe und Bewuchsdichte einer Seegraswiese bestimmt.

Abb. 2: Seegräser treten in Gemeinschaft auf und können große Wiese ausbilden, so wie hier im Nordfriesischen Wattenmeer bei der Insel Föhr.
Foto: Tobias Dolch

Seegras als Indikator

Seegräser reagieren sehr schnell auf veränderte Umweltbedingungen. Die Wiesen können rasch an Fläche verlieren und der Bestand kann ausdünnen, aber genauso können sie in kurzer Zeit größer und dichter werden. Wegen ihrer raschen Reaktion, ihrer Empfindlichkeit und ihrer hohen ökologischen Bedeutung sind Seegraswiesen als ein wichtiger Indikator für den ökologischen Zustand von Küstengewässern anerkannt. Sie werden daher vielerorts als Güteparameter kartiert, z.B. für die EU-Wasserrahmenrichtlinie.

Wenn Seegraswiesen groß und dicht gewachsen sind, wird davon ausgegangen, dass die ökologischen Bedingungen im Küstengewässer gut sind: nicht nur für Seegras sondern für das gesamte Ökosystem. Werden die Wiesen kleiner und dünner, dann muss nach der Ursache für diese Warnsignale geforscht werden. 

In vielen Regionen der Erde ist aktuell ein deutlicher Rückgang der Seegrasbestände zu beobachten, der vor allem seit dem 20. Jahrhundert akut geworden ist. Die Zerstörung von Lebensräumen durch Sandgewinnung, oder die Eindeichung und Verbauung von Küsten sowie Wasserverschmutzung, vor allem durch zu viele Nährstoffe, sind hierbei die Hauptgründe.

Wer beim nächsten Strandbesuch also Seegras am Ufer findet, sollte sich freuen, dass es in der Region wächst.

Auch im Wattenmeer an der süd-östlichen Nordsee sind die Seegrasvorkommen in den 1970er/1980er Jahren stark zurückgegangen, in erster Linie wegen zu hoher Nährstoffkonzentrationen. Die Nährstofffrachten gelangten hauptsächlich über Rhein, Weser, Ems und Elbe ins Wattenmeer.

Der Eintrag von Düngemittel wurde in Folge deutlich reduziert und Klärwerke modernisiert. Seit Mitte der 1980er Jahren wird eine deutliche Abnahme der Nährstoffzufuhr ins Wattenmeer gemessen, wodurch sich die Wasserqualität verbessert hat. In den späten 1990er Jahren begannen die Seegrasbestände im nördlichen Wattenmeer positiv hierauf zu reagieren und haben an Fläche zugenommen. Mittlerweile haben sie ihre Fläche verfünffacht und heute kommt im nördlichen Wattenmeer mehr Seegras vor als in den 1930er Jahren.

Leider beschränkt sich diese Erholung der Seegrasbestände auf das nördliche Wattenmeer, da dieses Gebiet von den großen Flussmündungen weit genug entfernt liegt. An der Küste Niedersachsens und der Niederlande, wo die Auswirkungen der großen Flussmündungen auf die nahgelegenen Wattflächen unmittelbar sind, ist leider keine Zunahme der Seegrasbestände zu verzeichnen. Hierfür sind die Nährstofffrachten aus den Flüssen nach wie vor zu hoch.

Dennoch bleibt für das nördliche Wattenmeer festzuhalten, dass es sich um eine Erfolgsgeschichte handelt, wo sich Umweltschutzmaßnahmen deutlich sichtbar und nachhaltig positiv auf ein Ökosystem auswirkten. Hierbei muss man jedoch beachten, dass sich so ein Erfolg selten von heute auf morgen einstellt. Meistens braucht es Geduld, bis sich ein Ökosystem wieder erholt. Aber in den meisten Fällen haben Ökosysteme nach Belastungen ihre Regenerationsfähigkeit nicht verloren und erholen sich von alleine, wenn die Quelle der Belastung abgestellt wird.

Wer beim nächsten Strandbesuch also Seegras am Ufer findet, sollte sich freuen, dass es in der Region wächst.

Video: Küstenforschung – Das Seegras ist zurück

Quellen

  • Dolch, T., Folmer, E. O., Frederiksen, M. S., Herlyn, M., van Katwijk, M. M., Kolbe, K., Krause-Jensen, D., Schmedes, P. & Westerbeek, E. P. (2017). Seagrass. In S. Kloepper et al. (Hrsg.), Wadden Sea Quality Status Report 2017 [qsr.waddensea-worldheritage.org]. Wilhelmshaven: Common Wadden Sea Secretariat.
  • Larkum, W. D., Orth, R. J. & Duarte, C. M. (2006). Seagrasses, biology, ecology and conservation. Cham, Germany: Springer.
  • Mcleod, E., Chmura,G. L., Bouillon, S., Salm, R., Björk, M., Duarte, C. M., Lovelock, C. E., Schlesinger, W. H. & Silliman, B. R. (2011). A blueprint for blue carbon: toward an improved understanding of the role of vegetated coastal habitats in sequestering CO2. Frontiers in Ecology and the Environment, 9(10), 552-560. doi:10.1890/110004
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Zitiervorschlag: Dolch, T. (2020). „Mehr ist besser“ – Seegras als Indikator für den Zustand von Küstengewässern. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 97-99). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.4.4