Klimawandel

Leben am Limit – der Klimawandel bedroht den Kabeljau

Der Kabeljau ist einer der fruchtbarsten Fische der Erde. Doch die Larven dieser Fischart müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort das passende Lebensstadium erreicht haben, um überhaupt auf ihre Nahrungsorganismen zu treffen. Diese Stadien hängen stark mit den Umweltbedingungen zusammen.

TEXT: Dr. Ute Daewel

Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG)

  • Der Bestand des Kabeljaus in der Nordsee ist stark zurückgegangen.
  • Starke Befischung und Klimawandel führen zum Rückgang des Bestandes.
  • Die Zusammenhänge unter den verschiedenen Faktoren für den Rückgang sind noch nicht vollständig geklärt.
  • Wichtig ist aber der Einfluss eines Match-Mismatch-Problems.
  • Langzeitsimulationen helfen der Wissenschaft weiter.

Kabeljau (Gadus morhua) ist ein bekannter und beliebter Speisefisch. Regelmäßige Kabeljaufänge trugen wesentlich zum Auskommen der Fischerei an der deutschen Nord- und Ostseeküste bei. Der Kabeljau war sozusagen der „Brotfisch“ der Fischer. Der Bestand in der Nordsee, und damit die Fänge, sind jedoch seit den 1990iger Jahren stark zurückgegangen.

Auch in den Nahrungsnetzen der Nordsee und der Ostsee spielt der Kabeljau eine wichtige Rolle, denn der Kabeljau ist ein wichtiger Raubfisch. Während sich die Larven und Jungfische vor allem von Zooplankton, also von kleinen Krebstieren und Kleinfischen ernähren, befindet sich der ausgewachsene Kabeljau beinahe am Ende der Nahrungskette und ernährt sich von kleineren Fischen wie zum Beispiel Hering, Sprotte oder Sandaal.

Auf der anderen Seite wird er aber auch selbst zur Beute z.B. von marinen Säugetieren. Interessant ist besonders die Wechselwirkung mit dem Hering, der – obgleich ein wichtiger Beutefisch des Kabeljaus – seinerseits selbst Jagd auf die Kabeljaularven macht (Hjermann et al., 2013).

Der Kabeljau mag es eher kühl

Der englische Name des Kabeljaus „Atlantic cod“ weist bereits darauf hin, dass das Verbreitungsgebiet des Kabeljaus sehr viel mehr als nur den Nordsee- und Ostseeraum abdeckt. Er bevorzugt kühlere Wassertemperaturen zwischen 0 und 5 °C. Aber man trifft ihn dennoch in einem relativ weiten Verbreitungsgebiet in Zonen mit Wassertemperaturen bis 20 °C und von sehr unterschiedlichem Salzgehalt. Der Lebensraum des Kabeljaus umfasst weite Teile der nordatlantischen Schelfgebiete, einschließlich der Ostküste Nordamerikas, die Nordsee, die Ostsee und die Barentssee (Abb.1).

Die Nordsee ist das südlichste und damit auch das wärmste Laichgebiet im östlichen Nordatlantik. Eine Reihe von Studien zeigen, dass unter deutlich wärmeren Klimabedingungen der Kabeljau-Bestand in der Nordsee verschwinden würde (Drinkwater et al., 2005).

Abb 1: Verbreitungsgebiete des Kabeljaus im östlichen Teil des Nordatlantiks.

Bild: Ute Daewel/HZG

Der Lebenszyklus des Kabeljaus: Alles muss passen

Während der Kabeljau in anderen Regionen ein ausgesprochener Wanderfisch ist, bleiben größere Wanderungen des Nordseekabeljaus weitestgehend aus. Zum Laichen wandert der Nordseekabeljau in den Wintermonaten in die etwas tieferen Regionen der südlichen Nordsee.

Auch wenn der Kabeljau einer der fruchtbarsten Fische der Erde ist, so wird nur ein kleiner Bruchteil der durchschnittlich eine Millionen Eier, die jedes Weibchen legt, schließlich nach drei bis vier Jahren das Erwachsenenalter erreichen. Während der frühen Entwicklungsphasen werden die Eier und Larven durch Fressfeinde, Krankheit und Hunger bedroht. Vor allem aber müssen die Umweltbedingungen stimmen, um den Larven und Jungfischen eine für sie günstige Umgebung zu liefern.

Zum Überleben der Kabeljau-Larven trägt unter anderem die sogenannte „Match-Mismatch“-Dynamik zwischen den kleinen Larven und ihren Nahrungsorganismen, dem Zooplankton, bei (siehe Abb. 2): Die kleinen Larven müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort das richtige Lebensstadium erreicht haben, um auf ihre Nahrungsorganismen zu treffen („Match“). Erreichen sie zu früh oder zu spät ein Entwicklungsstadium, in dem sie dieses bestimmte Futter benötigen oder werden sie durch ungünstige Strömungen aus den produktiven Meeresregionen herausgetrieben, kommt es zu einer „Mismatch“-Situation und die kleinen Larven verhungern.

Für den Kabeljau in der Nordsee ist das besonders kritisch, da seine Hauptlaichperiode im Winter liegt. Die Eier und später die Larven driften dann mit den Meeresströmungen und entwickeln sich in Abhängigkeit von der Temperatur. Je wärmer, desto schneller.

Für das Auftreten des Zooplanktons gilt hingegen,  dass es der lichtabhängigen Phytoplanktonproduktion folgt und deshalb erst im Frühjahr und Sommer zur Verfügung steht. Sein Auftreten ist daher weniger temperaturabhängig als das Wachstum der kleinen Kabeljaue (Abb.2).

Abb 2: Die „Match-Mismatch“ -Dynamik  zwischen Kabeljaularven und ihrer Hauptnahrung, dem Zooplankton. Nur wenn die Larven räumlich und zeitlich mit dem Zooplankton zusammentreffen, haben sie eine Chance zu überleben.

Bild: Ute Daewel/HZG, verändert nach Cushing (1990)

Warum gehen die Kabeljaubestände zurück?

Die intensive Befischung des Kabeljau-Bestandes in der Nordsee bedeutet einen starken Druck auf die Populationen was sich bereits in einem Rückgang bemerkbar macht. Aber auch der Klimawandel hat bereits jetzt einen großen Einfluss auf den Rückgang der Kabeljaupopulation in der Nordsee und dieser Einfluss wird mit den prognostizierten Temperaturerhöhungen des Meerwassers voraussichtlich noch zunehmen.

Welche Ursachen diesen Veränderungen zu Grunde liegen, ist allerdings bisher nicht vollständig geklärt. Besonders schwierig ist, dass viele verschiedene Prozesse zusammenkommen. Dazu gehören Veränderungen im Nahrungsangebot, temperaturbedingte Veränderungen in der Entwicklung und Sterblichkeit der Jungfische, und Veränderungen im Nahrungsnetz. Insbesondere die Wechselwirkungen mit dem Hering, der einerseits vom Kabeljau gefressen wird, und andererseits selbst Jagd auf die Kabeljaularven macht, spielen eine wichtige Rolle.

Der Einfluss des oben beschriebene Match-Mismatch-Problems kann unter wärmeren Klimabedingungen ebenfalls eine zunehmende Rolle spielen und den Rückgang des Kabeljaus in der Nordsee weiter befördern.

Wie dem Kabeljau, ergeht es auch anderen Fischen, die bereits im Grenzgebiet ihres Toleranzbereiches leben.

Computer-Simulationsmodelle liefern eine Erklärung für den beobachteten Rückgang

Mit Hilfe mathematischer Modelle lassen sich die vielen verschiedenen Prozesse, die die Population des Kabeljaus bestimmen, beschreiben und analysieren. Das hier eingesetzte Modell ECOSMO-IBM (Daewel et al., 2008) simuliert die Dynamik des Zooplanktons auf der einen Seite und die Entwicklung und Verdriftung von Fischlarven auf der anderen Seite in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen, u.a. der Wassertemperatur und Strömungen. Damit kann der potentielle Einfluss von Klimaveränderungen auf das Überleben der Larven untersucht werden.

In einer aktuellen Studie haben wir Simulationen für einen 60-Jahres-Zeitraum (1949-2008) durchgeführt und einen Index zur Überlebenswahrscheinlichkeit der Larven erstellt. Zusätzlich wurden Modellszenarien entwickelt, um den spezifischen Einfluss von einzelnen Parametern und veränderlichen Umweltbedingungen (z.B. Lufttemperatur und Wind) zu untersuchen.

Eine Temperaturerhöhung in der Nordsee, wie in Folge des Klimawandels erwartet, verändert die Gleichgewichtssituation in den Küstengewässern: Die Kabeljaueier und -larven entwickeln sich schneller. Das führt dazu, dass die Jungfische Nahrung benötigen, bevor die Zooplanktonproduktion in der Nordsee überhaupt begonnen hat.

Zusätzlich sorgen stärkere Westwinde dafür, dass die Tiere aus den sehr produktiven Regionen der südlichen Nordsee heraus in die weniger günstigen Regionen der zentralen und nördlichen Nordsee getrieben werden. Durch die veränderten Umweltbedingungen wird die Überlebenschance der Kabeljaularven also geringer.

Die Langzeitsimulation zeigt (Abb.3), dass es bereits in den 90iger Jahren zu einer signifikanten Abnahme der Überlebensrate während der jüngsten Lebensstadien des Kabeljaus kam. Der direkte Vergleich mit dem Rekrutierungserfolg des Nordseekabeljaus für den gleichen Zeitraum unterstützt die Aussage der Simulationsergebnisse. Der Rekrutierungserfolg ist ein indirektes Maß, wie viele Larven die ersten Lebensstadien überleben. Er wird üblicherweise nicht direkt gemessen, sondern aus Beobachtungen und Populationsmodellen bestimmt.

Der Vergleich zwischen simuliertem Überleben und dem nachträglich abgeschätzten Rekrutierungserfolg zeigt grundsätzlich zwei Dinge. Erstens, die Hypothese, dass das Überleben der jüngsten Lebensstadien eine wesentliche Rolle für den Rekrutierungserfolg spielt, konnte bestätigt werden.

Zweitens zeigte sich aber, dass der Rekrutierungserfolg unter anderen Bedingungen – wie zum Beispiel in den 1980er Jahren – durch das Model nicht zureichend abgebildet werden konnte. Wenn die Nahrungsverfügbarkeit für die kleinen Larven nicht der entscheidende Prozess fürs Überleben ist, spielen offensichtlich andere Prozesse eine wichtigere Rolle. Das könnte zum Beispiel die Fischerei, durch die die Laicherbiomasse reduziert wird, oder ein erhöhtes Vorkommen von Fressfeinden (z.B. die Heringe) sein.

Abb 3: Ergebnisse aus den Modelsimulationen zum Larvenüberleben
Oben: mittlere räumliche Verteilung der potentiell überlebenden Larven, zu dem Zeitpunkt, an dem sie Zooplankton als Nahrungsquelle benötigen. Man sieht deutlich, dass nur die Larven, die sich in den sehr produktiven Regionen der südlichen Nordsee befinden, überleben können.
Unten: Langzeitvariabilität des simulierten Überlebensindex der Larven und, zum Vergleich, die Variabilität des Rekrutierungserfolges des Kabeljaus (Verfügbar vom International Council for the Exploration of the Sea).

Bild: Ute Daewel/HZG

Bedeutung für die Biodiversität in Zeiten des Klimawandels

Wie dem Kabeljau, ergeht es auch anderen Fischen, die bereits im Grenzgebiet ihres Toleranzbereiches leben. Zumeist befindet sich das Ökosystem in einem sensiblen Gleichgewicht, in dem „Timing“ eine wichtige Rolle spielt. Lebensformen am Rande ihres Toleranzbereiches haben daher nur wenig Spielraum ihren Lebenszyklus schnellen oder besonderes starken Veränderungen der Umweltbedingungen anzupassen und verschwinden daher aus vorher angestammten Lebensräumen.

Um die damit verbundenen Veränderungen in der Biodiversität zu begreifen und/oder vorherzusagen ist es wichtig, die zu Grunde liegenden Prozesse zu verstehen. Simulationsmodelle, wie das hier vorgestellte, können dazu beitragen, solche Prozesse, die sich nicht direkt in der Natur messen lassen, zu identifizieren und ihre Relevanz für Biodiversitätsveränderungen in regionalen Ökosystemen abzuschätzen.

Quellen

  • Cushing, D. H. (1990). Plankton Production and Year-class Strength in Fish Populations: an Update of the Match/Mismatch Hypothesis. Advances in Marine Biology26, 249-293. doi:10.1016/S0065-2881(08)60202-3
  • Daewel, U., Peck, M. A., Kühn, W., St. John, M. A., Alekseeva, I. & Schrum, C. (2008). Coupling ecosystem and individual-based models to simulate the influence of environmental variability on potential growth and survival of larval sprat (Sprattus sprattus L.) in the North Sea. Fisheries Oceanography, 17(5), 333-351. doi:10.1111/j.1365-2419.2008.00482.x
  • Daewel, U., Schrum, C. & Gupta, A. K. (2015). The predictive potential of early life stage individual-based models (IBMs): an example for Atlantic cod Gadus morhua in the North Sea. Marine Ecology Progress Series, 534, 199-219. doi:10.3354/meps11367
  • Drinkwater, K. (2005). The response of Atlantic cod (Gadus morhua) to future climate change. ICES Journal of Marine Science, 62(7), 1327-1337. doi:10.1016/j.icesjms.2005.05.015
  • Hjermann, D., Fisher, J., Rouyer, T., Frank, K. & Stenseth, N. (2013). Spatial analysis of North Sea cod recruitment: concurrent effects of changes in spawning stock biomass, temperature and herring abundance. Marine Ecology Progress Series, 480, 263-275. doi:10.3354/meps10315

Zitiervorschlag: Daewel, U. (2020). Leben am Limit – der Klimawandel bedroht den Kabeljau.  In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 76-79). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.3.4