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Die Vermessung des Meeresbodens

Betrachtet man eine Weltkarte, scheint jeder Winkel der Erde lückenlos kartiert. Selbst der Meeresboden wirkt auf Karten so, als ob bekannt sei, wie seine Oberfläche in der Tiefe der Ozeane aussieht. Dabei ist nur ein Bruchteil davon bisher erforscht.

Text: Dr. Anne-Cathrin Wölfl
GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

  • Aktuell gibt es für weniger als 20 Prozent der Meeresbodenoberfläche hochauflösende, direkte Tiefenmessungen.
  • Eine systematische Kartierung des Meeresbodens ist jedoch wichtig für die Unterschutzstellung und Verwaltung von Schutzgebieten in der Tiefsee.
  • Ein vielversprechender Weg, um die Kartierung des Meeresbodens weiter voranzutreiben, ist die Nutzung von Forschungsschiffen auf ihren Transitstrecken.

Was wissen wir über die Topographie unserer Meeresböden, der sog. Bathymetrie, eigentlich wirklich? Trägt man neueste Forschungsergebnisse zusammen, zeigt sich, dass wir für weniger als 20 Prozent der Meeresbodenoberfläche hochauflösende, direkte Tiefenmessungen haben. Fast 300 Millionen Quadratkilometer Meeresboden von der Küste bis zur Tiefsee sind im Detail noch gänzlich unbekannt. Allein für die Kartierung von küstennahen Gebieten würde ein einzelnes Schiff über 600 Jahre benötigen. 70 Prozent der Erde sind mit Ozeanen bedeckt, aber letztlich wissen wir über die Oberfläche von Mond  und Mars weitaus mehr als über unsere Weltmeere.

Was sehen wir aber nun eigentlich, wenn wir uns den Meeresboden auf Weltkarten anschauen? Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Daten aus der Satellitenaltimetrie, einer Methode, deren Erfolgsgeschichte in den 1970er-Jahren begann, als die ersten Altimetersatelliten in den Weltraum geschickt wurden. Altimeter messen die Höhe der Meeresoberfläche, die die zugrundeliegende Bathymetrie widerspiegelt. Allerdings zeigen diese Daten lediglich kilometergroße Strukturen des Meeresbodens auf. Wesentlich genauer sind direkte Messungen von Schiffen oder Unterwasserfahrzeugen mit sogenannten Fächerecholoten. Diese senden fächerförmig Schallsignale aus, die am Meeresboden reflektiert werden. Über die Zeit von der Aussendung bis zur Rückkehr des Signals, kann die Wassertiefe bestimmt werden. Schiffsecholote können zum Beispiel Strukturen von deutlich weniger als 100 Meter in der Tiefsee sichtbar machen, während Echolote an bodennah operierenden Tauchfahrzeugen sogar Strukturen im Zentimeterbereich auflösen können.

Bathymetrische Daten sind wichtig für die Sicherheit auf See, für die Definition politischer Grenzen oder auch für die Entwicklung mariner Infrastrukturen. Sie haben auch schon immer eine bedeutsame Rolle in den Meereswissenschaften gespielt, zum Beispiel bei der Entdeckung des Mittelatlantischen Rückens in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Daten finden darüber hinaus Anwendung in Ozeanmodellen, Tsunami-Prognosen, Untersuchungen von marinen Ökosystemen und vielen anderen Bereichen. Hochaufgelöste Karten des Meeresbodens sind aber auch unabdingbar bei der Suche nach vermissten Flugzeugen, wie durch das tragische Verschwinden des Air-France-Fluges 447 im Juni 2009 und des Malaysia-Airlines-Fluges 370 im März 2014 deutlich wurde. Die vorhandenen Daten in dem umfangreichen Suchgebiet waren größtenteils zu ungenau, um mit Tauchfahrzeugen eine detaillierte Untersuchung des Meeresbodens ohne Voruntersuchung durchzuführen.

Bathymetrische Daten spielen auch eine zentrale Rolle bei der Erreichung des 14. Zieles für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen – Leben unter Wasser. Dieses zielt auf Erhaltung der ökologischen Vielfalt, nachhaltige Nutzung und gerechte Aufteilung des Ozeans und der marinen Ressourcen ab. Angestrebt wird u.a. die Unterschutzstellung mariner Ökosysteme und die nachhaltige Verwaltung von Schutzgebieten. Dazu sind aber wesentlich mehr Informationen über diese teilweise noch unbekannten Lebensräume notwendig als uns heute zur Verfügung stehen.

3D-Darstellung der Marie Byrd Seamounts.
Grafik: R. Werner, GEOMAR; Datengrundlage: Smith and Sandwell (1997, Science 277)

Welcher Teil des Meeresbodens soll als Nächstes kartiert werden?

Die lückenlose Kartierung des Meeresbodens ist eine gewaltige Aufgabe und kann nur gelingen durch internationale Zusammenarbeit und Koordination, sowie öffentliche Datenfreigabe und Strategien zur weiteren Datenaufnahme. Kostspielige Doppelarbeiten gilt es zu vermeiden und nachteilige Umweltauswirkungen, wie zum Beispiel Unterwasserlärm durch Schiffe und Echolote, so gering wie möglich zu halten. 

Wie eine systematische Kartierung des Meeresbodens aussehen kann, zeigt ein Modellversuch im Nordatlantik von der Atlantic Seabed Mapping International Working Group (ASMIWG), der innerhalb des EU-Projektes AtlantOS durchgeführt wurde. Ziel dieses Versuchs war es, drei Gebiete für zukünftige Kartierungsvorhaben zu identifizieren. Dafür wurde das nordatlantische Hochseegebiet in 400 x 400 Kilometer große Gebiete unterteilt und jedem Gebiet ein Eignungswert zugewiesen. Die Analyse beruhte auf der Abdeckung momentan verfügbarer bathymetrischer Daten und der Verbreitung verschiedener Parameter im Untersuchungsgebiet, die gemeinsam mit Wissenschaftlern, Industrie und Umweltorganisationen ausgewählt wurden.

Zu den Parametern gehörten u.a. Meeresschutzgebiete, Luftkorridore, sowie Gebiete mit potentieller Manganknollenbildung. Für die Analyse wurden alle Parameter in 3 Kategorien eingeordnet: 1) umweltsensible Regionen, 2) Regionen von allgemeinem Interesse und 3) Regionen mit hohem Rohstoffpotential. Die Ergebnisse der Analyse zeigen die Eignung jedes einzelnen Gebietes, die sich aus dem Vorkommen der Parameter ergibt. Die Grundannahme ist, je mehr Kategorien in einem Gebiet vorkommen, also je größer das Interesse an einem bestimmten Gebiet ist, desto geeigneter ist es für zukünftige Kartierungsvorhaben. Basierend auf den Eignungswerten sowie der Datenabdeckung wurden drei potenzielle Gebiete hervorgehoben.

Das erste Zielgebiet, das Milne-Seamount Gebiet, liegt im nördlichen Teil des Untersuchungsgebiets in der Nähe des Kontinentalhangs und reicht bis in Wassertiefen von 6.000 m. Es beinhaltet Teile des 21.000 km2 großen sog. Milne Seamount Complex MPA, eines von sieben Meeresschutzgebieten im nordatlantischen Hochseegebiet.  Bisher wurden nur 13 Prozent des Zielgebietes mit Fächerecholoten kartiert. Südwestlich des Milne-Seamount Gebietes, liegt das Sohm-Plain Gebiet. Hierbei handelt es sich um eine große Tiefseeebene, aus der immer wieder vereinzelt Unterwasserhügel und -berge aufragen.  In diesem Gebiet wurden bereits 24 Prozent des Meeresbodens hochauflösend kartiert. Das dritte Zielgebiet ist das östlich der US-Küste und der Karibik gelegene Sargasso-Sea-Gebiet. Auch dieses Gebiet liegt in einer Tiefseeebene. Die derzeitige Datenlage lässt erahnen, dass sich in diesem Gebiet Bereiche im sogenannten Hadal befinden, also in Wassertiefen unterhalb von 6.000 Metern. Die Datenabdeckung liegt hier bei 26 Prozent. Durch das US-amerikanische Forschungsschiff Okeanos Explorer wurde bereits im Juli und August dieses Jahres eine erste große Kartierungskampagne in dem Sargasso-Sea Gebiet durchgeführt. Insgesamt wurden über 50.000 Quadratkilometer Meeresboden mit Fächerecholoten kartiert, was ungefähr der Größe Niedersachsens entspricht.

Ziel des Modellversuchs im Nordatlantik war die Hervorhebung von Gebieten, die für Kartierungsvorhaben geeignet sind, weil an ihnen ein erhöhtes Interesse besteht. Die Ergebnisse sollten nicht dazu verleiten, Gebiete mit einem geringen Eignungswert auszuschließen. Die Analyse hat nämlich auch gezeigt, dass das Fehlen regionaler bathymetrischer Daten zu geringen Eignungswerten führen kann, da nicht ausreichend Kenntnisse über den Meeresboden vorliegen, um zum Beispiel Aussagen über Rohstoffvorkommen zu treffen oder Regionen in Schutzkonzepte einzugliedern. Daher ist es ebenso wichtig, sich auf Regionen zu konzentrieren, die großflächige Datenlücken aufweisen. Gleichzeitig ist der Analyseansatz ein dynamisches Bewertungssystem, das neue Informationen jederzeit integrieren kann, wodurch sich auch die Priorität für ein Gebiet zeitnah verändern kann.

Das Projekt Seabed 2030

Das Seabed 2030 Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, eine verbindliche, hochauflösende bathymetrische Karte der Weltmeere bis zum Jahr 2030 zu erstellen und öffentlich verfügbar zu machen. Seabed 2030 ist ein Gemeinschaftsprojekt der japanischen Nippon Foundation und der General Bathymetric Chart of the Oceans (GEBCO).

GEBCO arbeitet unter der Schirmherrschaft der Internationalen Hydrographischen Organisation (IHO) und der Zwischenstaatlichen Ozeanographischen Kommission (IOC) der UNESCO und ist ein Zusammenschluss führender Wissenschaftler/-innen und Forschungsorganisationen auf dem Gebiet der Meeresforschung. Beteiligt sind u.a. auch Wissenschaftler/-innen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Kiel.

Seabed 2030 begann offiziell auf der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen im Juni 2017 in New York.  Angetrieben wurde das Projekt von der Motivation, die Welt dazu zu ermächtigen politische Entscheidungen zu treffen, die Ozeane nachhaltig zu nutzen und wissenschaftliche Forschung zu betreiben, auf Grundlage hochauflösender, bathymetrischer Informationen. Dabei hat man sich folgende Mindestziele gesetzt, was die Auflösung der Daten in der jeweiligen Meerestiefe angeht (s. Tabelle).

  

Erklärvideo zum Seabed 2030 Projekt

Jede nautische Meile zählt

Ein vielversprechender Weg, um die Kartierung des Meeresbodens weiter voranzutreiben, ist die Nutzung von Forschungsschiffen auf ihren Transitstrecken. Größere Forschungsschiffe operieren international und haben zudem häufig lange Transite zu bewältigen, sei es vom Hafen ins Untersuchungsgebiet oder zwischen verschiedenen Einsatzgebieten. Beispielsweise bestehen 15 Prozent der Strecken, die deutsche Forschungsschiffe zurücklegen, aus Transitstrecken, die zur Kartierung genutzt werden könnten. Bathymetrische Daten können uneingeschränkt in internationalen Gewässern aufgezeichnet werden und moderne Fächerecholote können inzwischen auch ohne ständige Überwachung erfolgreich betrieben werden.

Im Jahr 2015 haben drei deutsche Forschungsschiffe – Maria S. Merian, Meteor und Sonne – mit der Erhebung von bathymetrischen Daten auf Transitstrecken begonnen. Dieser Ansatz wird seitdem aktiv von der Schiffsbesatzung und von den leitenden Wissenschaftlern unterstützt. Pro Jahr kartieren diese Schiffe etwa 200.000 Quadratkilometer Meeresboden. Das entspricht zwar nur einem geringen Prozentanteil der nicht erfassten Fläche in der Tiefsee, liefert aber immer noch eine nicht unerhebliche Menge neuer Informationen über die Struktur des Meeresbodens. Vor kurzem hat sich auch das niederländische Forschungsschiff Pelagia diesem Ansatz angeschlossen.

Nach Beendigung des Transits, werden die Rohdaten zum GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Kiel geschickt, wo sie einer Qualitätskontrolle unterzogen und Fehlmessungen entfernt werden. Anschließend werden verschiedene Datenprodukte in gängigen Formaten (z.B. Rasterformat) erstellt, um sie einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. Öffentlich zur Verfügung gestellt werden Rohdaten und Datenprodukte unter einer Creative-Commons-Lizenz bei PANGAEA – Data Publisher for Earth & Environmental Science, einem digitalen Archiv für Daten aus der Erdsystemforschung und den Umweltwissenschaften.

Darüber hinaus werden die Daten an das Datenzentrum für Digitale Bathymetrie der Internationalen Hydrographischen Organisation (IHO DCDB) geschickt, das bei NOAA in Boulder, Colorado beheimatet ist. Von dort aus werden die Daten in das Seabed 2030 Projekt integriert und sind darüber hinaus für Forschende aus aller Welt frei zugänglich. Ähnliche Arbeitsabläufe gibt es inzwischen auch für den Forschungseisbrecher Polarstern. Die bathymetrischen Daten von der Polarstern werden vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) verwaltet und bearbeitet.

Ausblick

Die lückenlose Kartierung unserer Weltmeere ist in vollem Gange. Deutlich zu erkennen ist, dass die Erfüllung dieser Aufgabe nur durch internationale Zusammenarbeit und Koordination möglich ist. Datenfreigabe ist eines der zentralen Themen und ist unabdingbar für eine vollständige Inventur der weltweiten bathymetrischen Datenbestände. Ebenso wichtig ist die Entwicklung von Strategien für die zukünftige Datenaufzeichnung. Eine vollständige Karte der Weltmeere wird unser Wissen über den Meeresboden, seine Prozesse und über die Ozeane im Allgemeinen verbessern. Dieses Wissen ist ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung eines nachhaltigen Meeresmanagements und eröffnet die Chance angemessen auf moderne Herausforderungen wie Umweltzerstörung, Klimawandel, Georisiken und eine wachsende marine Industrie zu reagieren.

Beitrag erstellt am 6. Dezember 2018

Bathymetry-Viewer des Datenzentrums für Digitale Bathymetrie der Internationalen Hydrographischen Organisation (IHO DCDB): Globale bathymetrische Datenbestände werden visualisiert und die Daten größtenteils öffentlich verfügbar gemacht.
Screenshot der IHO Datenbank für Bathymetrie (Karte: NOAA), Link

Referenzen

  • Mayer, L., Jakobsson, M., Allen, G., Dorschel, B., Falconer, R., Ferrini, V., Lamarche, G., Snaith, H. & Weatherall, P. (2018). The Nippon Foundation – GEBCO Seabed 2030 Project: The Quest to See the World’s Oceans Completely Mapped by 2030. Geosciences, 8(2):63. doi:10.3390/geosciences8020063
  • Wölfl, A.-C., Jencks, J., Johnston, G., Varner, J. D. & Devey, C. D. (2017). Where to Go Next? Identifying Target Areas in the North Atlantic for Future Seafloor Mapping Initiatives. The Journal of Ocean Technology, 12(4), 28-42.

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2018.2.4.1

Zitiervorschlag: Wölfl, A.-C. (2018). Die Vermessung des Meeresbodens. In O. Jorzik, J. Kandarr & P. Klinghammer (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Rohstoffe in der Tiefsee. Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft (S. 60-64). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2018.2.4.1