Strategien

Wie geht es nach dem globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES weiter?

Der kürzlich vorgelegte globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats zeigt eindrücklich, dass unsere Wirtschafts- und Konsumweise nicht nachhaltig ist und hohe Kosten auf zukünftige Generationen abwälzt. Wie geht es mit dem Weltbiodiversitätsrat nun aber weiter, nachdem er seinen globalen Bericht vorgelegt hat?

Text: Dr. Elisabeth Marquard

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ

  • Der globale IPBES-Bericht ist ein Weckruf.
  • Seine ernüchternden Kernbotschaften wurden von etwa 130 Staaten verabschiedet.
  • Eine Trendwende ist noch möglich, erfordert aber tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen.
  • Es gilt außerdem, die IPBES-Ergebnisse in internationalen Abkommen zu berücksichtigen.
  • IPBES wird in Zukunft noch stärker die Verknüpfungen des Biodiversitätsverlusts mit anderen Problematiken analysieren.

Die Aufgabe des Weltbiodiversitätsrats IPBES ist es, den Stand des Wissens zu Biodiversität und Ökosystemleistungen für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aufzubereiten. IPBES soll dabei aufzeigen, welche Konsequenzen die fortschreitende menschenverursachte Zerstörung der Natur hat und wie sie aufzuhalten ist. Durch die Arbeit von IPBES soll der Biodiversitätsverlust auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda nach oben rücken, damit er als ein Problem wahrgenommen wird, das mindestens so bedrohlich und akut ist wie der Klimawandel.

Der Weckruf des Weltbiodiversitätsrats

Mit dem Globalen Zustandsbericht  hat der Weltbiodiversitätsrat kürzlich eine umfassende Bestandsaufnahme zur Natur und unserem Umgang mit ihr vorgelegt (IPBES, 2019). Die Kernbotschaften des Berichts sind niederschmetternd: Arten und Ökosysteme gehen weltweit mit hoher Geschwindigkeit verloren. Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, um diese Entwicklung aufzuhalten. Dieser Verlust wird höchst wahrscheinlich weitreichende negative Auswirkungen für die zukünftige Lebensqualität sehr vieler Menschen haben. Eine Trendwende sei zwar noch möglich, hierzu müssten allerdings tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen eintreten, die insbesondere die Wirtschaftssysteme, einschließlich Produktionsweisen sowie „westliche“ Konsum-Gewohnheiten betreffen.

Der globale IPBES-Bericht sei ein „Weckruf“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Ihm waren fünf Regionale Berichte voraus gegangen, sowie mehrere thematische Berichte – zum Beispiel zur Degradierung und Wiederherstellung von Böden.

Alle IPBES-Berichte sollen nicht zuletzt dem internationalen Übereinkommen über biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) nutzen. Sie fließen zum Beispiel in die Verhandlungen über einen neuen globalen Biodiversitäts-Fahrplan ein, den die CBD im Herbst 2020 auf ihrer 15. Vertragsstaatenkonferenz beschließen will. Der Fahrplan soll den seit 2010 gültigen Strategischen Plan der CBD mit seinen 20 Aichi-Biodiversitätszielen ablösen (Krause et al., 2019).

The challenge for IPBES was to raise the profile of biodiversity and ecosystems to the same level as that of climate change.
(Sir Robert Watson, 
ehem. IPBES-Vorsitzender)

Welchen drängenden Fragen sollte sich IPBES in den nächsten Jahren zuwenden?

Hierzu fasste die 7. IPBES-Vollversammlung im Mai 2019 den Entschluss, dass bis zum Jahr 2030 ein flexibles Arbeitsprogramm gilt. Das bedeutet, dass konkrete Aktivitäten im Sinne eines „rolling work programme“, erst schrittweise festgelegt werden, um auf aktuelle Entwicklungen reagieren und erst später aufscheinenden Wissensbedarf bestmöglich abdecken zu können.

Auf der Grundlage eines im Winter 2018/2019 von IPBES durchgeführten Konsultationsprozesses, an dem sich Mitgliedsstaaten, internationale Abkommen, UN-Organisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligen konnten, wurde beschlossen, während der kommenden zwei bis fünf Jahre folgende Problematiken zu bearbeiten:

  • Verknüpfungen zwischen Biodiversität, Wasser, Nahrung und Gesundheit,
  • Ursachen des Biodiversitätsverlusts, Bedingungen für einen transformativen Wandel sowie Möglichkeiten, die 2050-Vision für Biodiversität zu erreichen,
  • Einfluss und Abhängigkeit der Privatwirtschaft auf bzw. von der Biodiversität,
  • Verknüpfungen zwischen Biodiversität und Klimawandel.

Zu diesen vier Themen wird der Weltbiodiversitätsrat umfassende Berichte erstellen, um jeweils das verfügbare Wissen aufzubereiten und zu bewerten. Dies geschieht zeitlich gestaffelt, als erstes soll die Arbeit zu den Bedingungen für einen transformativen Wandel und zur Verknüpfung von Biodiversität und Klimawandel beginnen. Für letzteres ist eine enge Kooperation mit dem Weltklimarat IPCC vorgesehen (IPBES, 2019, 22. Mai, S. 14).

Welche spezifischen Fragen die einzelnen Berichte in welchem Umfang adressieren, steht noch nicht fest. Dies werden eigens dafür gebildete Expertenteams erörtern; für die ersten drei der oben genannten Themen trifft dazu erst die nächste oder übernächste IPBES-Vollversammlung die finale Entscheidung. Für das letztgenannte Thema, also für die verknüpfte Betrachtung von Biodiversität und Klimawandel, wurde eine alternative Vorgehensweise beschlossen, um möglichst unverzüglich beginnen zu können. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass das vorgesehene Produkt (das sog. „Technical Paper“) noch rechtzeitig vor den nächsten Vertragsstaatenkonferenzen der Klimarahmenkonvention und der Biodiversitätskonvention im Jahr 2020 vorliegt (CBD-COP 15 und UNFCCC-COP 26).

Daneben wird sich IPBES weiterhin dafür einsetzen, dass für das IPBES-Arbeitsprogramm relevante Kapazitäten aufgebaut werden (v.a. in Ländern des globalen Südens) und die Wissensgenerierung im Bereich Biodiversität und Ökosystemleistungen insgesamt unterstützt wird. Auch sollen politische Akteure effektiver über zur Verfügung stehende Instrumente und Methoden informiert werden.

Der Weltbiodiversitätsrat wird somit auch mit seinem nächsten Arbeitsprogramm dazu beitragen, die Zerstörung der Natur stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Er will weiterhin die Debatte über drohende Konsequenzen, aber auch über die notwendigen Bedingungen für eine Trendumkehr wissenschaftlich untersetzen und vorantreiben.

ESKP zum Bericht des Weltbiodiversitätsrates: Der Weltbiodiversitätsrat hat in seinem globalen Bericht nur wenige gute Nachrichten und Trends zu verkünden. Immerhin kann noch gehandelt werden, um das Artensterben zumindest zu begrenzen.

 

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Video Netzwerk Forum Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo): Die Fragestellungen des Weltbiodiversitätsrates IPBES

Die positive Kernbotschaft des Weltbiodiversitätsrats

Der Globale IPBES-Bericht enthält auch folgende Kernbotschaft: Es liegt weiterhin in der Macht des Menschen, seine Lebensgrundlagen zu schützen und zu erhalten. Dies kann noch gelingen, wenn die Mehrheit der Menschen versteht, dass „das Aufhalten und Rückgängigmachen von Biodiversitätsverlust nicht einfach ein Umweltproblem ist, sondern eine ökonomische, entwicklungspolitische, sicherheitsrelevante, soziale und ethische Angelegenheit“, wie es der bisherige Vorsitzende von IPBES, Sir Robert Watson, ausdrückte (IPBES-7, 2019, Übers.: ESKP).

Rolle des NeFo-Projekts in Deutschland

Das im Zeitraum 2009-2019 vom BMBF geförderte Projekt „Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung (NeFo )“ hatte das Ziel, die Biodiversitätsforschung in Deutschland stärker inter- und transdisziplinär zu vernetzen und den Wissens-Politik-Dialog zu Biodiversitätsthemen zu unterstützen. Es trug durch seinen Informationsservice sowie zahlreiche Dialog- und Vernetzungsveranstaltungen maßgeblich dazu bei, den Weltbiodiversitätsrat unter deutschen Biodiversitätsexpertinnen und -experten bekannt zu machen und eine hohe und aktive Beteiligung an seinen Aktivitäten zu fördern (Geschke, 2019).

Durchgeführt wurde das Netzwerk-Forum durch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), das Museum für Naturkunde Berlin – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung und (bis 2012) auch durch die AG Vegetationsökologie und Naturschutz an der Universität Potsdam.

Um den Zugang zum globalen IPBES-Bericht für deutsche Leser zu erleichtern, hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) unter dem Titel „Das ‚Globale Assessment‘ des Weltbiodiversitätsrates IPBES“ eine nochmals gekürzte Übersetzung der IPBES-Zusammenfassung für Entscheidungsträger erstellt.

Bild: UFZ

Infokasten: Weltbiodiversitätsrat warnt – Artenvielfalt nimmt so schnell ab wie noch nie

Zu dem im Mai 2019 in Paris vorgestellten globalen Assessment des Weltbiodiversitätsrats (englisch: Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) gibt es auch eine Kurzfassung für politische Entscheidungsträger. In diesem „Summary for Policymakers“ (SPM) werden wesentliche Aspekte des Weltbiodiversitätsberichts zusammengefasst und nachvollziehbar dargestellt. Selbst diese Zusammenfassung ist noch recht umfangreich, da sie sich bemüht, wesentliche Aspekte und deren wechselseitige Verflechtung darzustellen (IPBES, 2019).

Der 2012 gegründete Weltbiodiversitätsrat ist eine Organisation unter dem Dach der Vereinten Nationen. Er leistet wissenschaftliche Politikberatung zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der natürlichen Umwelt und insbesondere der biologischen Vielfalt auf internationaler Ebene. Mehr als 130 Staaten sind ihm beigetreten und mehrere tausend wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Expertinnen und Experten haben seit seiner Gründung im Jahr 2012 an seinen Aktivitäten zur Stärkung des Wissens-Politik-Dialogs über Biodiversität und Ökosystemleistungen mitgewirkt.

In seinem globalen Zustandsbericht zeigt IPBES ein Paradoxon auf, das mit der Industrialisierung von Handwerk und Landwirtschaft in die Welt gekommen ist. Die industrielle Produktivitätssteigerung ermöglicht einerseits die Herstellung von erheblich mehr Verbrauchsgütern und Nahrungsmitteln. Dadurch kann eine wachsende Weltbevölkerung mit Nahrung versorgt werden.

Aber nicht nur bedingen vielfältige soziale Verwerfungen und politische Machtgefüge erhebliche Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten in der Verteilung dieser Güter. Vielmehr schädigen die Produktivitätsfaktoren „die Natur“ und damit auch die Lebensgrundlage der anwachsenden Menschheit. Der Weltbiodiversitätsrat kommt in seiner Bewertung zu einer ernüchternden Einschätzung: „Während heute an den meisten Orten mehr Nahrung, Energie und Materialien als je zuvor an die Menschen geliefert werden, geht dies zunehmend zu Lasten der Fähigkeit der Natur, solche Beiträge auch zukünftig zu leisten. […] Die Biosphäre, von der die gesamte Menschheit abhängt, wird […] in einem beispiellosen Ausmaß verändert. Die Biodiversität – die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und der Ökosysteme – nimmt schneller ab als je zuvor in der Geschichte der Menschheit.“ (Übers.: ESKP)

Laut IPBES haben wir es gegenwärtig mit einer ernsthaften Bedrohung der biologischen Vielfalt zu tun, die im Wesentlichen auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist. Die überwiegende Mehrheit der Indikatoren für Biodiversität weise einen „schnellen Rückgang“ auf. Menschliches Handeln bedrohe heute mehr Tier- und Pflanzenarten als jemals zuvor. Das betrifft sogar domestizierte Pflanzensorten und Säugetierrassen. Dazu heißt es im Wortlaut: „Dieser Verlust der Vielfalt, einschließlich der genetischen Vielfalt, stellt ein ernsthaftes Risiko für die globale Ernährungssicherheit dar, da er die Widerstandsfähigkeit vieler landwirtschaftlicher Systeme gegenüber Bedrohungen durch Schädlinge, Krankheitserreger und Klimawandel beeinträchtigt. […] Darüber hinaus fehlt für viele Wildnisverwandten, die für die langfristige Ernährungssicherheit wichtig sind, ein wirksamer Schutz. Der Erhaltungszustand der Wildnisverwandten domestizierter Säugetiere und Vögel verschlechtert sich daher.“ (Übers. ESKP)

Um den Zugang zum globalen IPBES-Bericht für deutsche Leser zu erleichtern, hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) eine sehr empfehlenswerte und nochmals verdichtete deutsche Übersetzung der IPBES-Zusammenfassung für Entscheidungsträger veröffentlicht (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, 2019).

Ein detaillierter Bericht zur Verabschiedung des Berichts des Weltbiodiversitätsrates findet sich auf der ESKP-Seite.

Quellen

  • Geschke, J. (2019). Wie gut ist die deutsche Biodiversitätsforschung vernetzt? In Earth System Knowledge Platform (hrsg. vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land. Vom Wert biologischer Vielfalt (S. 209-213). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.8.6
  • IPBES-7. (2019). Stakeholder Day and 7th Session of the Plenary of the Intergovernmental Platform for Biodiversity and Ecosystem Services. Summary of the Meeting. [enb.iisd.org/ipbes/7-plenary]. Aufgerufen am 02.09.2019.
  • Krause, G., Happe, A.-K. & Scheve, J. (2019). Der Weg von internationalen Umweltberichten in die deutsche Politik. In Earth System Knowledge Platform (hrsg. vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land. Vom Wert biologischer Vielfalt (S. 193-195). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. 10.2312/eskp.2020.1.8.2

Weiterführende Informationen

  • NeFo – Vielfalt im Dialog. Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung in Deutschland. [www.biodiversity.de].

Zitiervorschlag: Marquard, E. (2020). Wie geht es nach dem globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES weiter? In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 188-192). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.8.1