Verstädterung und Biodiversität

Wie ernst ist es uns mit der Eindämmung des Flächenverbrauchs?

Zwischen 60 und 70 Hektar, eine Fläche so groß wie 90 Fußballfelder, gehen in Deutschland für Verkehrs- und Siedlungsfläche verloren – und zwar Tag für Tag. Dabei sind längst nicht nur die großen Städte das Problem. Der Flächenverbrauch findet mit starker Dynamik auch in kleineren und ländlichen Kommunen statt. Das Forschungsprojekt SURFACE sucht nach den Gründen, warum es trotz ehrgeiziger Ziele innerhalb der Europäischen Union kaum Fortschritte bei einem nachhaltigen Umgang mit Naturflächen gibt. Welche Strategien wären erfolgversprechend?

Text: Dr. Jana Bovet, Dr. Elisabeth Marquard

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ

  • Schon seit den 1950er-Jahren wird der hohe Flächenverbrauch in Deutschland als ein gravierendes Problem identifiziert.
  • Die Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsflächen hat sich in letzter Zeit innerhalb der EU sogar wieder beschleunigt.
  • Das Forschungsprojekt SURFACE untersucht Instrumente und Wege, um den Flächenverbrauch einzudämmen.

Flächenfraß in Europa

In Europa dehnen sich Siedlungs- und Verkehrsflächen kontinuierlich weiter aus, innerhalb der Europäischen Union jährlich um etwa eine Fläche, die der Größe Berlins entspricht. Fast 1000 km2 Ackerfläche, natürliche bzw. naturnahe Flächen gehen dadurch jährlich verloren. Dies geht mit zahlreichen negativen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen einher und trägt zum weiteren Verlust der biologischen Vielfalt bei, weil Böden versiegelt und Landschaften zerschnitten werden.

Schon in den 1970er-Jahren wurde der Flächenverbrauch durch den Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (1974) als ein gravierendes Problem identifiziert und Lösungen angemahnt. Heute – fast fünfzig Jahre später – stellt sich umso mehr die Frage, warum der Flächenverbrauch weiterhin auf hohem Niveau verharrt, welche Strategien und Instrumente in der EU und den EU-Mitgliedsstaaten zur Reduzierung des Flächenverbrauchs angewendet werden und ob diese den erhofften Erfolg bringen.

Strategien zur Reduzierung des Flächenverbrauchs

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des vom Umweltbundesamt (UBA) geförderten Vorhabens SURFACE („Internationale Maßstäbe und Strategien für die Reduzierung des Flächenverbrauchs – Ableitung von Zielen, Indikatoren und Monitoringkonzepten“). Unter Flächenverbrauch versteht man dabei die Neuinanspruchnahme freier Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke, das heißt für Gebäude und Verkehrsflächen, Betriebsflächen, Freiflächen (z.B. Brachen), Erholungsflächen wie Parks und Gärten sowie Friedhöfe.

Flächeninanspruchnahme ist demnach nicht identisch mit Flächenversiegelung. So ist in Deutschland etwa die Hälfte der in Anspruch genommenen Fläche versiegelt.

Abb. 1: Beispiel für eine Neubausiedlung im Außenbereich. Bild: Ansgar Wernst

Die Debatte um Flächenverbrauch

Um zu analysieren, wie das Problem des Flächenverbrauchs in verschiedenen europäischen Ländern wahrgenommen und diskutiert und mit welchen Maßnahmen ihm begegnet wird, wurden im Jahr 2018 im Rahmen des SURFACE-Projekts Befragungen unter mehr als 20 Expertinnen und Experten aus 16 verschiedenen europäischen Ländern und zusätzlich Literaturstudien durchgeführt.

Die bisher vorliegenden Ergebnisse aus dieser Untersuchung zeichnen folgendes Bild: In allen betrachteten Ländern wird Flächenverbrauch zumindest von bestimmten Expertenkreisen als gravierendes Problem eingeschätzt, das Problembewusstsein in Politik und Öffentlichkeit ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Und selbst dort, wo es eindeutige politische Absichtserklärungen zur Eindämmung des Flächenverbrauchs gibt, setzen sich in der Praxis vielfach andere Interessen durch.

In ökonomisch schwächeren und entweder von der Finanzkrise im Jahr 2008 oder von den post-kommunistischen gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüchen stark betroffenen Ländern scheint Flächensparsamkeit ganz besonders als Widerspruch zu dem gewünschten wirtschaftlichen Aufschwung wahrgenommen zu werden.

Abb. 2: Beispiel für eine Gewerbeansiedlung. Bild: Ansgar Wernst

Eine neue Hoffnung: Die EU

Einige Hoffnung ruht auf der von der EU und ihren Mitgliedsstaaten eingegangenen Verpflichtung, die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (englisch Sustainable Development Goals, SDGs) umzusetzen. Die SDGs enthalten unter anderem die Ziele, Städte nachhaltig zu entwickeln (SDG 11.3) und die Land-Degradation zu bekämpfen (Ziel 15.3). Aktuell sind jedoch auf europäischer Ebene noch keine deutlichen Fortschritte erkennbar. Die Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsflächen hat sich in letzter Zeit innerhalb der EU sogar wieder beschleunigt (eurostat, 2018).

Die Lage in Deutschland

Und wie sieht es in Deutschland aus? In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsflächen zwar insgesamt verlangsamt. Dennoch liegt die tägliche Flächeninanspruchnahme mit 60 bis 70 Hektar noch weit entfernt von dem von der Bundesregierung im Jahr 2002 beschlossenen 30-Hektar-Ziel für das Jahr 2020.

In der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2016 hat die Bundesregierung auf die absehbare Verfehlung des 30-Hektar-Ziels kurzerhand mit einer Kurskorrektur reagiert und das Ziel auf einen Wert von „unter 30 Hektar pro Tag“ bis zum Jahr 2030 modifiziert (Die Bundesregierung, 2016, S. 159).

Ein Großteil des Flächenverbrauchs in Deutschland findet in eher kleineren und ländlichen Kommunen statt. Während in Städten inzwischen ein Trend zu einer flächensparenden Verdichtung zu erkennen ist, steigt der Flächenverbrauch pro Kopf in ländlichen Kommunen weiter an, obwohl ihre Bevölkerungsdichte stagniert oder sogar sinkt (Siedentop, 2018). Dies erklärt sich maßgeblich daraus, dass Kommunen höhere Steuereinnahmen erhoffen, wenn Einwohner oder Unternehmen zuziehen. Diese Rechnung geht jedoch oftmals nicht auf, da mit der Ausweisung von neuen Wohn- und Gewerbegebieten auch dauerhaft Infrastrukturkosten für eine Kommune entstehen.

Ein Großteil des Flächenverbrauchs in Deutschland findet in eher kleineren und ländlichen Kommunen statt.

Abb. 3: Beispiel für eine Neubausiedlung. Bild: Ansgar Wernst

ESKP-Infobox: Flächennutzung

Deutschland hat eine Fläche von 357.582 Quadratkilometern (km²) (Stand 2017). Zur dieser Fläche gehören etwa Waldflächen, landwirtschaftlich genutzte Flächen, Gewässer (Seen, Flüsse, Kanäle, nahe Küstengewässer) sowie Siedlungs- und Verkehrsflächen.

Die Nutzungsweise von Flächen lässt sich durch die Auswertung von Grundstückskatastern ermitteln. Inzwischen werden aber auch zunehmend Fernbeobachtungsmittel wie Luftbilder und Satellitendaten zur Ermittlung der Flächennutzung herangezogen.

  • Nach Angaben des Umweltbundesamtes, die auf Basis des amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystems der Bundesländer erstellt wurden, wurden im Jahr 2016 50,9 % der Gesamtfläche landwirtschaftlich genutzt.
  • 30,8 % der Gesamtfläche waren bedeckt von Wäldern und Gehölzen (davon Wälder 29,7 %).
  • Die Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV-Fläche) umfasste 13,8 % und war damit 2016 die drittgrößte Nutzungsart.
  • Gewässer im Sinne der obigen Definition nahmen 2,3 % der Fläche Deutschlands ein.
  • Die restlichen Anteile der Gesamtfläche (11.300 km²) werden als „sonstige Flächen“ geführt. Dazu zählen zum Beispiel „Abbauland“ wie Kies- oder Braunkohlengruben sowie „Unland“ wie Felsen, ehemalige Militärgelände oder ehemalige Abraumhalden. Seit 2016 werden zum sogenannten „Unland“ auch ungenutzte Vegetationsflächen (z.B. Heideland, Moore, Sümpfe) gerechnet.

Quelle: Umweltbundesamt. (2019, 5. Juni). Struktur der Flächennutzung. Abgerufen 31. Juli 2019.

Rechtliche Veränderungen

Gefördert wurde das Flächensparen in den vergangenen Jahren durch einige rechtliche Veränderungen: Insbesondere die Neugewichtung des Bodenschutzbelangs im Recht der Bauleitplanung, die Einführung des besonderen Planungstyps „Bebauungspläne der Innenentwicklung“ (2006) und das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung sind hier zu nennen.

Letzteres sieht u.a. eine besondere Begründungspflicht bei Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen vor (§ 1a Abs. 2 S. 4 BauGB). Zusätzlich gibt es die Ergänzung des Schutzgutkataloges der Strategischen Umweltprüfung mit dem Schutzgut „Fläche“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UVPG). Durch den 2017 eingeführten § 13b BauGB hat der Bundesgesetzgeber zwischenzeitlich jedenfalls temporär – die Geltung der Regelung ist noch bis zum 31.12.2019 befristet – das Signal wieder in die andere Richtung gestellt.

Ob in Deutschland angesichts des nicht eindeutigen und konsequenten Kurses zumindest das auf 2030 hinausgeschobene Ziel erreicht werden kann, bleibt fraglich, denn um dieses zu erreichen, müssten Ländern und Kommunen wissen, welchen Beitrag sie zu leisten haben.

Ein in Bayern durchgeführtes, breit unterstütztes Volksbegehren zur Einführung einer Flächenverbrauchsobergrenze von fünf Hektar pro Tag ist im Jahr 2018 aus formalen Gründen vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof gestoppt worden (Süddeutsche Zeitung, 17.07.2018). Gleichwohl wurde im Freistaat eine Diskussion zum Flächenverbrauch angestoßen. Und in den Koalitionsvertrag 2018-2023 von CSU und Freien Wählern wurde immerhin eine – allerdings unverbindliche – Richtgröße von fünf Hektar pro Tag Flächenneuinanspruchnahme aufgenommen.

Es ist wichtig, dass diese Ziele ernstgenommen und mit Strategien und Instrumenten gestützt werden, denn es bleibt nicht viel Zeit bis 2030. Angesichts der Tatsache, dass die die Ressource „Fläche“ endlich ist und eine Inanspruchnahme häufig den quasi irreversiblen Verlust von vielen Ökosystemleistungen zur Folge hat, ist ein konsequentes Flächensparen in Deutschland und allen anderen europäischen Ländern dringend erforderlich.

Quellen

  • BMZ – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. (2017). Der Zukunftsvertrag für die Welt. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Bonn/Berlin: BMZ.
  • Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen. (1974). Umweltgutachten 1974. Stuttgart/Mainz: Kohlhammer.
  • Siedentop, S. (2018). Ursachen der Flächeninanspruchnahme in Deutschland – eine Zwischenbilanz. In M. Behnisch, O. Kretschmer & G. Meinel (Hrsg.), Flächeninanspruchnahme in Deutschland. Auf dem Wege zu einem besseren Verständnis der Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklung (S. 45-55). Berlin, Heidelberg, Germany: Springer Spektrum.

Weiterführende Informationen

Zitiervorschlag: Bovet, J. & Marquard, E. (2020). Wie ernst ist es uns mit der Eindämmung des Flächenverbrauchs? In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 119-122). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.5.3