Nutzen von Diversität
Wasserqualität und Biodiversität – eine enge wechselseitige Beziehung
- 90 Prozent der Gewässer in Deutschland weisen Degradationserscheinungen auf.
- Das führt zu einem Verlust an Artenvielfalt.
- Umgekehrt beeinflusst Artenvielfalt wiederum die Gewässerqualität.
- Neue Ansätze zur Nahrungsnetzanalyse ermöglichen es, die Zusammenhänge von Artenvielfalt und Gewässerqualität besser zu verstehen.
- Gerade diverse Artengemeinschaften können sich dabei schneller an Gewässerveränderungen anpassen und dadurch wichtige ökologische Funktionen aufrechterhalten.
Dass sich eine schlechte Wasserqualität auf die Artenvielfalt im Gewässer auswirkt, ist lange bekannt. So kam es vor dem nahezu flächigen Ausbau der Kläranlagen noch in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zu sehr starken Belastungen der Gewässer durch organische Verunreinigungen und Giftstoffe. Sauerstoff wurde aufgrund der Zehrungsprozesse zur Mangelware, ganze Gewässerabschnitte waren mit Chemikalien belastet, und als Folge verschwanden viele empfindliche Arten.
Diese Situation hat sich heute mit dem Ausbau von kommunalen und industriellen Kläranlagen verbessert. Dennoch, auch heute sind nur knapp 10 Prozent unserer Gewässer in einem guten ökologischen Zustand. Knapp 90 Prozent weisen Degradationserscheinungen auf, meist verbunden mit einem deutlichen Verlust der für die jeweiligen Gewässer charakteristischen Arten. Die Ursachen sind vielfältig: Abflussregulierung, Gewässerverbauung, Nährstoffe, Bodenerosion und Pestizide aus der Landwirtschaft sowie Rückstände aus städtischen Kläranlagen tragen weiterhin zu einem Verlust der Biodiversität bei.
Was aber heißt der Verlust von Biodiversität für die Gewässerqualität? Gibt es auch den umgekehrten Effekt, d.h. dass der Verlust von Arten und Artenvielfalt zu einer Verschlechterung der Gewässerqualität beitragen?
Tatsächlich zeigen Forschungsergebnisse immer deutlicher, dass dies der Fall ist. In Gewässern tragen Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen an ganz unterschiedlichen Stellen zur Selbstreinigung der Gewässer bei. Ein anschauliches Beispiel sind Muscheln in Flüssen: Sie ernähren sich von einzelligen, schwebenden Algen (dem Phytoplankton) und filtern diese in beachtlichen Mengen aus dem Gewässer. Damit wirken sie dem Problem der Eutrophierung, d.h. der massenhaften Entwicklung von Algen im Gewässer aufgrund hoher Nährstoffbelastung, entgegen. Sie können dadurch die negativen Auswirkungen erhöhter Nährstoffbelastungen kompensieren und zu einer stabileren und verbesserten Wasserqualität beitragen. Fehlen die Muscheln, etwa aufgrund von Kanalisierung und verändertem Fließverhalten in den Flüssen, dann ist auch Algenentwicklung ausgeprägter.
Die Situation in unseren Flüssen ist aber noch ein bisschen komplizierter. In vielen Bereichen sind artenreiche Muschelbestände zunehmend zurückgegangen und oft durch einzelne, nicht einheimische Arten wie z.B. die asiatische Körbchenmuschel ersetzt worden. Diese Vereinheitlichung spiegelt einen dramatischen Verlust von Artenreichtum. Aber ist das auch ein Problem für die Gewässerqualität? Zunächst nicht. Die neue Art erfüllt ihre Funktion und filtriert das Wasser sehr effizient.
Ein Problem wird jedoch dann offensichtlich, wenn auch die neue Art in ihrem Bestand abnimmt. Und das kann schnell passieren, z.B. durch einen heißen Sommer oder die Ausbreitung von Parasiten, die die gesamte Muschelmonokultur befallen. Hier sind artenreiche Muschelbestände im Vorteil: Es können immer andere Arten die Funktion übernehmen, wenn einzelne Arten in Schwierigkeiten kommen. Man spricht von dem „Versicherungseffekt“ der Artenvielfalt.
Von der Artenvielfalt zur Gewährleistung vielfältiger Ökosystemleistungen: Neue Erkenntnisse durch moderne Ansätze der Nahrungsnetzanalysen
Das Beispiel der Muscheln verdeutlicht exemplarisch für eine Ökosystemleistung, wie Artenvielfalt Gewässerqualität beeinflusst. Im natürlichen Gewässer gibt es für die Organismen aber noch viel mehr zu tun; sie bauen z.B. organische Verunreinigungen und Schadstoffe ab und verhindern, dass Bakterien und Krankheitserreger Überhand gewinnen; und sie sorgen dafür, dass die Lückensysteme in der Gewässersohle gut durchströmt werden und damit z.B. als Brutstätte für Forellen und Lachse erhalten bleiben.
Wie können wir diese vielfältigen Funktionen und deren Beziehung zur Biodiversität wissenschaftlich erfassen und bewerten? Hier kann die Methode der stabilen Isotope helfen, mit der Fressbeziehungen zwischen Räuber und Beute erfasst und ganze Nahrungsnetze beschrieben werden können.
Interessant ist dabei, dass man Biodiversität direkt in Funktionalität übersetzen kann. Das heißt, wir sehen nicht nur, welche Arten vorkommen, sondern auch, was die einzelnen Arten im Ökosystem leisten. Wer baut effizient Algen ab und wirkt so der Eutrophierung entgegen? Wer sorgt für einen kontinuierlichen Abbau von Pflanzenresten im System? Sind diese Ökosystemprozesse durch mehrere Arten gewährleistet?
Die Methode der stabilen Isotope beantwortet diese Fragen und hilft so auch dabei, menschlichen Einfluss auf die Gewässer zu bewerten, wie z.B. eine Studie zu den Auswirkungen des Seeuferverbaus verdeutlicht. Hier konnte gezeigt werden, dass Seeufer mit Badestellen eine deutlich eingeschränkte Vielfalt an Nahrungsquellen und wirbellosen Konsumenten aufweisen und damit die Komplexität des Nahrungsnetzes an den stark veränderten Ufern bis zu vierfach geringer war als an natürlichen Ufern (Abb. 2). Das so gewonnene Wissen bildet eine wichtige Entscheidungsgrundlage, um geeignete Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität, der Funktionalität und damit der Gewässerqualität abzuleiten.
Der Blick in die Vergangenheit: Was uns Merkmalseigenschaften von Arten über Prozesse in Gewässern verraten
Nicht jede Situation erlaubt eine gründliche Analyse von Nahrungsnetzen wie sie oben beschrieben ist. Aber auch anhand von Artenlisten, wie sie etwa in der Gewässerüberwachung erfasst werden, lassen sich Rückschlüsse auf die Funktion der Arten im Gewässer und letztendlich auf deren Wirkung auf die Gewässerqualität ziehen.
Dazu macht man sich die Merkmalseigenschaften von Arten (englisch: „traits“) zu Nutze. Ein ganzer Wissenschaftszweig (Trait-basierte Ökologie) hat sich hier etabliert, welcher über die Eigenschaften von Arten Rückschlüsse auf deren Leistungen im Ökosystem zieht.
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg arbeiten mit diesem Ansatz, um zum Beispiel die Auswirkungen von Nährstoffreduktionen durch die Einführung von phosphat-freien Waschmitteln Anfang der 90er Jahre und den Ausbau der Kläranlagen mit Nährstoffelemination auf Algengemeinschaften zu verstehen. Ein gutes Beispiel ist die Rappbode-Talsperre im Harz, in der die Phosphor-Konzentrationen um nahezu 90 Prozent reduziert werden konnten.
Normalerweise würde dies auch zu verringerten Algenbiomassen führen, da Phosphor als Hauptnahrung für Algen dient. Überraschenderweise war dies hier jedoch nicht der Fall, und die Algenbiomassen blieben weiterhin hoch. Hier kommen die genannten Merkmalseigenschaften von Arten ins Spiel.
Die Forscher konnten zeigen, dass sich die Zusammensetzung der Algenarten nach den Phosphorreduktionen verändert hat und die Algengemeinschaft nun Merkmalseigenschaften aufwies, die es ihr erlaubten, trotz geringerer Nährstoffe hohe Biomassen beizubehalten. So dominierten plötzlich Arten, die im Stande sind, Bakterien als zusätzliche Nahrungsquelle zu nutzen.
Analog zu der fliegenfressenden Venusfliegenfalle auf unserer Fensterbank erschließen sich diese sogenannten Mixotrophen oder Mischernährer im Gewässer durch die Aufnahme der Bakterien eine neue Phosphorquelle. Sie können so auch unter nährstoffarmen Bedingungen überleben und wachsen. Da die Mixotrophen die Nährstoffe aus den Bakterien auch für andere Arten verfügbar machen, profitieren alle davon und die Gesamt-Algen Biomasse konnte trotz der dramatisch gesunkenen Phosphoreinträge hoch bleiben.
Die Funktion der Algengemeinschaft, wie die Bindung von Nährstoffen und die Bereitstellung von Nahrung für Tiere, blieb so erhalten. Positiver Nebeneffekt: Die Mixotrophen reduzieren durch ihre Aktivität auch noch Bakterien und damit auch die Zahl an potenziell problematischen Keimen.
Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie schnell und effizient sich Artengemeinschaften durch die Änderung von Merkmalseigenschaften an veränderte Umweltbedingungen im Gewässer anpassen können und dabei ihre ökologische Funktion aufrechterhalten können. Voraussetzung dafür ist aber, dass es viele unterschiedliche Merkmalseigenschaften in einer Lebensgemeinschaft gibt, d.h. dass die Gemeinschaft divers ist.
Fazit
Gewässerqualität und Biodiversität bilden eine enge und wechselseitige Beziehung. Wir müssen Biodiversität erhalten und fördern, und zwar nicht nur als Selbstzweck. Vielmehr stellen wir damit sicher, dass Organismen jetzt und auch unter dem Einfluss von Klima- und Landnutzungswandel ihre vielfältigen Leistungen zur Selbstreinigung der Gewässer optimal bereitstellen können.
Quellen
- Brauns, M., Brabender, M., Gehre, M., Rinke, K. & Weitere, M. (2019). Organic matter resources fuelling food webs in a human-modified lowland river: importance of habitat and season. Hydrobiologia, 841(1), 121-131. doi:10.1007/s10750-019-04011-4
- Rinke, K., Keller, P.S., Kong, X., Borchardt, D. & Weitere, M. (2019). Ecosystem services from inland waters and their aquatic ecosystems. In M. Schröter, A. Bonn, S. Klotz, R. Seppelt & C. Baessler (Hrsg.), Atlas of ecosystem services: drivers, risks, and societal responses (S. 191-192). Cham: Springer International Publishing. doi:10.1007/978-3-319-96229-0_30
- Wentzky, V. C., Tittel, J., Jäger, C. G. & Rinke, K. (2018). Mechanisms preventing a decrease in phytoplankton biomass after phosphorus reductions in a German drinking water reservoir – results from more than 50 years of observation. Freshwater Biology, 63(9), 1063-1076. doi:10.1111/fwb.13116
- Wentzky, V. C., Frassl, M. A., Rinke, K. & Boehrer, B. (2019). Metalimnetic oxygen minimum and the presence of Planktothrix rubescens in a low-nutrient drinking water reservoir. Water Research, 148, 208-218. doi:10.1016/j.watres.2018.10.047
Zitiervorschlag: Weitere, M., Brauns, M., Rinke, K., Borchardt, D. & Wentzky, V. (2020). Wasserqualität und Biodiversität – eine enge wechselseitige Beziehung. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 54-57). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.2.4