Nutzen von Diversität
Nutzung mikrobieller und pflanzlicher Diversität in der Biotechnologie
- Mikroorganismen spielen eine zentrale Rolle im Stoffkreislauf der Natur.
- Ihre vielfältigen Eigenschaften macht sich der Mensch zunutze – bei der Ernährung, in der Medizin oder der Reinigung von Abwasser.
- Auch bei der Etablierung einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft bieten sich durch den verstärkten Einsatz von Mikroorganismen große Chancen.
Mikroorganismen umfassen ein breites Spektrum an meist einzelligen Lebewesen wie Bakterien und Archaeen. Ein besonderes Merkmal dieser sogenannten Prokaryonten ist, dass sie keinen Zellkern besitzen und besonders klein sind. Typischerweise sind sie nur 1-5 µm lang und 1 µm breit. Aber auch größere Organismen wie Pilze und Algen zählen zu den Mikroorganismen. Sie besitzen im Gegensatz zu Bakterien und Archaeen einen Zellkern und werden in der Fachsprache auch als eukaryontische Mikroorganismen bezeichnet.
Mikroorganismen spielen eine zentrale Rolle im Stoffkreislauf der Natur. Ihre vielfältigen Stoffwechselleistungen macht sich der Mensch seit Jahrtausenden zunutze – etwa bei der Wein- und Bierherstellung, wenn Zucker mit der Hefe Saccharomyces cerevisiae in Alkohol (Ethanol) umgewandelt wird. Diese besonderen Eigenschaften kommen auch bei der Herstellung des Treibstoffs Bioethanol zum Tragen.
Biodiversität für medizinische Anwendungen von Bedeutung
Heute wird eine Fülle von Produkten biotechnologisch aus nachwachsenden Rohstoffen mit Mikroorganismen hergestellt. Dazu gehören Antibiotika, die von Pilzen wie Penicillium und Bakterien wie zum Beispiel Streptomyceten und Myxobakterien als sogenannte „Sekundärmetabolite“ bilden. (Anm. d. Red.: Sekundärmetabolite sind chemische Stoffe, die im Stoffwechsel der Organismen anfallen, aber nicht lebensnotwendig sind.)
Aufgrund der zunehmenden Multiresistenzen krankheitsverursachender (pathogener) Bakterien wird die Suche nach neuen Antibiotika immer dringlicher. Hier spielt die metabolische Diversität von Mikroorganismen eine wichtige Rolle, um Stämme mit neuen antimikrobiell wirkenden Substanzen zu finden. Eine weitere Möglichkeit, Biodiversität für die Bekämpfung pathogener Bakterien zu nutzen, stellen sogenannte Bakteriophagen dar. Dabei handelt es sich um Viren, die hochspezifisch Bakterien angreifen und zerstören. In diesem Feld kann in den kommenden Jahren mit einer rasanten Zunahme an bisher nicht beschriebenen Bakteriophagen und deren Einsatz in der Therapie von Infektionskrankheiten gerechnet werden.
Die Stoffwechselvielfalt von Mikroorganismen wird auch bei der Herstellung anderer Medikamente genutzt. Beispielsweise beinhalten die Synthesen vieler Medikamente auf Steroidbasis mikrobiell katalysierte Schritte, z. B. bei Hydrocortison, Prednisolon und Verhütungsmitteln wie Estrogenen und Gestagenen.
Essentielle Aminosäuren
Eine weitere große Produktfamilie, die ganz überwiegend mit verschiedenen Bakterienarten produziert wird, stellen Aminosäuren dar. Sie sind die Bausteine der Proteine, die einen Großteil fast aller Zellen ausmachen und die biochemischen Prozesse des Lebens beschleunigen bzw. erst in Gang bringen (katalysieren). Proteine bestehen aus 20 verschiedenen Aminosäuren, von denen Menschen und Tiere aber nur 12 selbst herstellen können. Die übrigen acht essentiellen Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden.
Bei der direkten Gabe von Nährstoffen in den Blutkreislauf, d.h. unter Umgehung des Darms, der sogenannten parenteralen Ernährung des Menschen, spielen biotechnologisch produzierte Aminosäuren eine wichtige Rolle. Auch in der Tierernährung sind sie von Bedeutung. Mikroorganismen wie Corynebacterium glutamicum produzieren z .B. die Aminosäure L-Lysin. Aminosäuren werden zum Teil in Mengen von mehreren Millionen Tonnen pro Jahr hergestellt.
Lebenswichtige Vitamine herstellen
Wie die essentiellen Aminosäuren müssen auch die vom Menschen benötigten Vitamine mit der Nahrung aufgenommen werden. Und sie sind lebenswichtig. Drei der 13 humanen Vitamine werden mit Mikroorganismen produziert: Vitamin C mit den Bakterien Gluconobacter oxydans und Ketogulonicigenium vulgare; Vitamin B2 (Riboflavin) entweder mit dem Pilz Ashbya gossypii oder dem Bakterium Bacillus subtilis; Vitamin B12 mit Stämmen von Pseudomonas denitrificans oder Propionibacterium freundenreichii.
Im Vergleich zu den essentiellen Aminosäuren sind die produzierten Jahresmengen viel geringer – man geht hier von maximal 100.000 Tonnen im Fall von Vitamin C aus. Die Preise für die hergestellten Vitamine sind jedoch deutlich höher.
Bakterien- und Pilzstämme nutzen
Mikrobiell produzierte organische Säuren spielen in vielen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Insbesondere Milchsäurebakterien, die Zucker in Milchsäure umwandeln, sind Grundlage für viele Milchprodukte wie Joghurt oder Käse. Sie werden aber auch für die Haltbarmachung von Rohwurst wie Salami oder für die Herstellung von Silage eingesetzt.
Zitronensäure, die mit dem Pilz Aspergillus niger gewonnen wird, findet Anwendung z.B. in der Getränkeindustrie. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von verschiedenen Bakterien- und Pilzstämmen konstruiert, die Zucker effizient in Bernsteinsäure (Succinat), Äpfelsäure (Malat) oder Itaconsäure umsetzen können. Ein besonders vielversprechendes Einsatzgebiet dieser organischen Säuren ist die Verwendung als Ausgangstoff zur Produktion von gut abbaubaren Biopolymeren, mit denen langfristig die derzeit genutzten schwer abbaubaren chemischen Polymere ersetzt werden können.
Proteine wie Insulin werden mit Bakterien hergestellt
Neben den bisher beschriebenen niedermolekularen Verbindungen sind Proteine – insbesondere solche mit enzymatischer Aktivität – eine weitere wichtige Klasse von mikrobiell erzeugten Produkten. Dazu zählen Amylasen zur Konversion von pflanzlicher Stärke in Zucker, Waschmittelenzyme wie Proteasen und Lipasen, Futtermittelenzyme wie Phytasen sowie technische Enzyme wie Alkohol-Dehydrogenasen. Sie alle werden mit verschiedenen Mikroorganismen produziert, z.B. Bacillus-Stämmen. Für den Abbau von Cellulose und Hemicellulose werden beispielsweise Cellulasen und Hemicellulasen mit dem Pilz Trichoderma reesei produziert. Auch viele Pharmaproteine werden mit Mikroorganismen hergestellt. Dazu gehört auch Insulin, das mit Escherichia coli-Stämmen erzeugt wird.
Mikrobielle Gemeinschaften zur Wasserreinigung und Biogas-Produktion nutzen
Während in den oben genannten Beispielen einzelne Stämme von Mikroorganismen genutzt werden, sind bei der Wasseraufbereitung und der Biogasproduktion hochkomplexe mikrobielle Gemeinschaften notwendig. Der zentrale Schritt bei der Reinigung kommunaler Abwässer in der Kläranlage beruht auf der biologischen Reinigungsstufe im Belüftungsbecken. Dabei werden die im Wasser enthaltenen Schmutzstoffe durch eine mikrobielle Lebensgemeinschaft bestehend aus vielen verschiedenen Arten von Mikroorganismen, überwiegend Bakterien, zu CO2 oxidiert.
Bei der Biogas-Produktion aus pflanzlichen Reststoffen oder eigens dafür angebauten Pflanzen werden die Stoffwechselleistungen einer diversen Gemeinschaft zum einen von Bakterien genutzt, die ohne Sauerstoff zurechtkommen wie z. B. Clostridien. Zum anderen aber auch von methanbildenden Archaeen (z.B. Methanosarcina), um das organische Material letztendlich in Methan (CH4) und CO2 umzusetzen.
Mikroorganismen können pflanzliche Naturstoffe herstellen
Ein hochaktuelles Forschungsgebiet in der Biotechnologie ist die mikrobielle Herstellung von Naturstoffen, von denen viele gesundheitsfördernde Wirkungen besitzen oder für therapeutische Zwecke eingesetzt werden. Sowohl die Mikroorganismen selbst, aber auch Pflanzen synthetisieren Naturstoffe. Bei letzteren wird eine Zahl von etwa 200.000 verschiedenen Naturstoffen angenommen.
Der Zugang zu diesen Stoffen ist problematisch, da die Isolation aus der Pflanze aufgrund der oft geringen Konzentration und der Anwesenheit vieler anderer Naturstoffe sehr aufwändig ist und die chemische Synthese in vielen Fällen nicht möglich oder unrentabel ist. Daher wird die mikrobielle Produktion pflanzlicher Naturstoffe als vielversprechende Alternative betrachtet. Dabei werden die Gene für pflanzliche Biosynthesewege in geeigneten Mikroorganismen exprimiert. Beispiele sind die Bildung von Resveratrol, einem Polyphenol mit antioxidativen Eigenschaften, mit Saccharomyces cerevisiae oder die Synthese von Salidrosid – einem möglichen Wirkstoff gegen die Huntington-Krankheit – mit Corynebacterium glutamicum.
Grund- und Feinchemikalien ohne fossile Rohstoffe synthetisieren
Im Rahmen der Etablierung einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft, muss die bisher vorwiegend fossile Rohstoffe nutzende chemische Industrie schrittweise dazu übergehen, nachwachsende Kohlenstoffquellen zu nutzen und geschlossene Stoffkreisläufe zu etablieren. Auch dabei spielen die vielfältigen Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen eine wichtige Rolle, z. B. um neue Hochleistungsstämme für die Synthese von Grund- und Feinchemikalien zu entwickeln. In diesem Kontext werden derzeit auch die verschiedenen von Mikroorganismen im Laufe der Evolution herausgebildeten Stoffwechselwege zur autotrophen CO2-Fixierung bezüglich einer möglichen biotechnologischen Nutzung evaluiert.
Ein letzter wesentlicher Punkt bei der Betrachtung der Biodiversität von Mikroorganismen ist die Tatsache, dass ein Großteil der auf der Erde vorkommenden Bakterien und Archaeen bisher nie untersucht wurde. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen hier auch von der sogenannten „mikrobiellen dunklen Materie“. Mit Hilfe der heute verfügbaren DNA- und RNA-Sequenzierungstechnologien konnte bereits gezeigt werden, dass die Mikrobiome vieler Habitate auf der Erde von bisher nicht kultivierten Bakterien und Archaeen dominiert werden. Die Stoffwechselleistungen dieser Mikroorganismen können bisher nur anhand der Genomsequenzen vorhergesagt werden. Es ist jedoch zu erwarten, dass mit Hilfe neuartiger Kultivierungsansätze sowie mit Methoden der synthetischen Biologie die Stoffwechsel-Fähigkeiten dieser Organismen in Zukunft besser erforscht und für die Biotechnologie nutzbar gemacht werden.
Zitiervorschlag: Bott, M. (2020). Nutzung mikrobieller und pflanzlicher Diversität in der Biotechnologie. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt. Potsdam (S. 50-53): Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.2.3