Verstädterung und Biodiversität

Wie steht es um die Biodiversität der Städte?

Sind Städte biologische Wüsten oder Hotspots der Biodiversität? Der Blick auf die Vielfalt der Organismen in unseren Städten hat sich gewandelt. Galten sie noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als ökologisch uninteressant, ist heute klar, dass neben uns Menschen auch viele Pflanzen und Tiere ihren Lebensraum innerhalb städtischer Grenzen finden. Doch wie ist diese biologische Vielfalt einzuordnen? Beherbergen Städte nur Allerweltsarten oder können sie auch einen Beitrag zum Schutz seltener und gefährdeter Arten leisten?

Text: Dr. Sonja Knapp

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ

  • Städte werden durch zahlreiche Schadstoffe aus Industrie und Verkehr belastet.
  • Städte können aber auch ein vielfältiger Lebensraum sein, d. h. Orte, an denen eine globalisierte Tier- und Pflanzenwelt zuhause ist.
  • Darüber hinaus können Städte einen Beitrag zum Schutz seltener und gefährdeter Arten leisten.
  • Dieses Potential muss aber erhalten und gepflegt werden.

Städte sind meist wärmer als ihr Umland, sie sind nährstoffreich und von versiegelten Flächen geprägt, ihre Luftfeuchtigkeit ist oft gering, Schadstoffe aus Industrie und Verkehr belasten sie (Sukopp & Wittig, 1993). Stadtlandschaften sind aber zugleich vielfältiger als so manche intensiv genutzte Agrarlandschaft. Prägen dort wenige Feldfrüchte Hektar um Hektar, liegen in Städten schattige Parks, verkehrsumtostes Abstandsgrün und kleinteilige Gartenanlagen oft dicht beieinander – um nur wenige Beispiele zu nennen.

Auf Pflanzen und Tiere wirken Städte deshalb wie Filter (Croci et al., 2008; Williams et al., 2015): Wer passende Eigenschaften mitbringt, wird hier gedeihen, alle anderen werden sich schwertun. Pflanzen mit behaarten Blättern, die Licht reflektieren und sich so vor Hitze schützen, wachsen beispielsweise problemlos entlang trockener, schattenfreier Straßen. Pflanzen, die bereits wenige Wochen nach dem Auskeimen Samen produzieren, schaffen es oft, sich fortzupflanzen, bevor ein Fuß sie platt tritt. Allesfresser, wie die Füchse, finden Nahrung an Komposthaufen oder an Mülltonnen. Vögel, die noch vor dem morgendlichen Berufsverkehr singen, hören einander.

Das Tempelhofer Feld in Berlin ist von ausgedehnten Wiesenflächen geprägt, die extensiv gepflegt werden. Hier ist die Feldlerche zu Hause.
Foto: Sonja Knapp

Betrachten wir eine Stadt im Vergleich mit der sie umgebenden Landschaft, so werden wir in ihr wahrscheinlich mehr Pflanzen- und z. T. auch Tierarten finden, als in ihrem Umland (Balmford et al., 2001; Kühn et al., 2004). Die Vielfalt der Lebensräume in Städten bietet ihnen viele verschiedene Nischen. Mit unseren Handels- und Verkehrsströmen sorgen wir zudem dafür, dass zahlreiche Arten aus anderen Weltregionen in unsere Städte gelangen. Deswegen werden wir große Überlappungen finden, wenn wir die Tier- und Pflanzenwelt nord- und süddeutscher oder tschechischer und amerikanischer Städte vergleichen. Regional betrachtet ist die Biodiversität der Städte also hoch, doch auf globaler Ebene wird sichtbar, dass sie tatsächlich viele Allerweltsarten beherbergen.

Dennoch können Städte einen wichtigen Beitrag zum Schutz seltener und gefährdeter Arten leisten. Das Tempelhofer Feld in Berlin – früher Flughafen, heute beliebter Sport-, Grill- und Tummelplatz – beherbergt auf seinen ausgedehnten Wiesen über 200 Brutpaare der Feldlerche (berlin.de, 2019). Ihre Nester baut diese Vogelart auf dem Boden, versteckt zwischen hohem Gras. Ihre Bestände in Deutschland nehmen immer stärker ab, da Wiesen in Äcker verwandelt oder zu häufig gemäht werden. Die Feldlerche ist daher gefährdet (Witt & Steiof, 2013). Auf dem Tempelhofer Feld inmitten Deutschlands größter Stadt bedroht dagegen kein Mähdrescher ihre Nester. 

Selbst entlang von Straßen können wertvolle Biotope gedeihen: Seit die Stadt Bamberg Magerwiesen und Sandmagerrasen entlang ihrer Straßenbankette angelegt hat, wachsen gefährdete Pflanzen, wie Alpen-Leinblatt und Violette Königskerze unweit des fließenden Verkehrs (Stadt Bamberg ..., 2014).

Wohnumfeld muss nicht aus monotonen Rasen- und Kiesflächen bestehen. Hier wächst das Taubenkropf-Leimkraut auf einer vor kurzem im Rahmen des Projektes „Treffpunkt Vielfalt“ naturnah gestalteten Fläche.
Foto: Sonja Knapp

Mit dem Wachstum der Städte wächst der Wert von Grünflächen

Die Lebensqualität in Städten wird entscheidend beeinflusst von der verfügbaren Fläche an urbanem Grün. Doch nicht nur die Anzahl oder Größe ist maßgeblich. Grünanlagen müssen für Bürger auch gut erreichbar sein. Mit dem ungebrochenen Wachstum der Städte wächst der Druck auf freie Flächen und damit auch auf das Stadtgrün.

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Städte haben also das Potential, eine hohe Biodiversität zu unterstützen. Um dieses Potential voll zu entfalten, muss die Vielfalt der Lebensräume in Städten erhalten werden – so wie die gestaltete Natur der Parks und Gärten, die wilde Natur entlang der Bahnlinien, die Reste ursprünglicher Natur in Auenwäldern und die Zeugen der Kulturlandschaft auf Streuobstwiesen. Alle Arten der Stadtnatur gemeinsam schaffen die Vielfalt an Lebensräumen, die wir brauchen, um die Vielfalt der Arten zu erhalten (Kowarik, 1992).

Dazu kommt das richtige Maß an Pflege. Die Wiesen auf dem Tempelhofer Feld müssen gemäht werden, damit sie Wiesen bleiben. Werden sie aber zu früh im Jahr gemäht, werden die Nester der Feldlerchen zerstört. Werden Bäume gefällt, verliert ein Heer an Insekten sein Zuhause. Füllen wir unsere Vorgärten mit Kies anstelle vielfältiger Blumenbeete, werden sich weder Schmetterlinge noch Hummeln einstellen.

Stadtnatur steht unter Druck. Der wachsende Bedarf nach Wohnungen in Deutschlands Städten lässt Grünflächen verschwinden. Der Schutz der Biodiversität muss stärker als bisher in Städtebauförderung, Stadtplanung und Baurecht verankert werden. Das Bewusstsein für den Wert der Biodiversität und das Wissen über Tiere und Pflanzen in unseren Städten sollte gefördert werden – bei Bau- und Gartenbaufirmen, Anwohnern, Verwaltungen und nicht zuletzt bei Kindern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern können hier Wissen weitertragen und vermitteln.

Natur in die Stadt – mit seinem Biodiversitätsplan geht Paris neue Wege

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Quellen

  • Balmford, A., Moore, J.L., Brooks, T., Burgess, N., Hansen,L.A., Williams, P. & Rahbek, C. (2001). Conservation Conflicts Across Africa. Science, 291(5513), 2616-2619. doi:10.1126/science.291.5513.2616
  • Croci, S., Butet, A. & Clergeau, P. (2008). Does Urbanization Filter Birds on the Basis of Their Biological Traits? The Condor, 110(2), 223-240. doi:10.1525/cond.2008.8409
  • Kowarik, I. (1992). Das Besondere der städtischen Vegetation. Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege, 61, 33-47.
  • Sukopp, H. & Wittig, R. (1993). Stadtökologie. Stuttgart, Germany: Gustav Fischer Verlag.
  • Williams, N.S.G, Hahs, A.K. & Vesk, P.A. (2015). Urbanisation, plant traits and the composition of urban floras. Perspectives in Plant Ecology, Evolution and Systematics, 17, 78–86. doi:10.1016/j.ppees.2014.10.002

Weiterführende Informationen

Zitiervorschlag: Knapp, S. (2020). Wie steht es um die Biodiversität der Städte? In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 113-115). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.5.1