Überdüngung

Ein Zuviel an Nährstoffen in der Ostsee

Über die Atmosphäre, unsere Flüsse und Bäche, aber auch diffus über das Grundwasser gelangen Nährstoffe in die Ostsee. Der Dünger aus der intensiven Landwirtschaft düngt also auch indirekt die Ostsee. Vor allem kleine filamentöse Algen, die schnell wachsen, profitieren vom Nährstoffeintrag. Sauerstoffmangel und das Absterben von wichtigen Strukturbildnern wie Seegräsern und Makroalgen ist eine Folge. Im Interview erläutert Prof. Dr. Martin Wahl, welche Konsequenzen die Überdüngung hat und was man dagegen tun könnte.

Interview mit Prof. Dr. Martin Wahl

GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

ESKP-Video "Überdüngung der Ostsee" mit Prof. Dr. Martin Wahl (GEOMAR) im Interview.

Welches sind die aus Ihrer Sicht drängendsten Probleme für marine Ökosysteme?

Prof. Wahl: Erwärmung ist überall ein ganz wichtiger Faktor. Die Anreicherung von Kohlendioxid und anderen klimawirksamen Gasen führt einerseits zur Erwärmung der Atmosphäre und natürlich auch mit einer gewissen Verzögerung zu einer Erwärmung des Meerwassers. Andererseits führt Kohlendioxid im Wasser zu einer Versauerung. Wenn Sie sich jedoch die Ostsee anschauen, dann ist die Überdüngung eigentlich genauso bedeutend wie die Erwärmung. Wenn Sie ins östliche Mittelmeer gehen, sind es die invasiven Arten, die nun die Gemeinschaften umstrukturieren. Wenn Sie sich die Korallenriffe anschauen, dann dominiert natürlich die Erwärmung als drängendstes Problem, weil dort alle Organismen bereits an ihrer thermischen Obergrenze sind.

 

Was bewirkt Überdüngung?

Prof. Wahl: Überdüngung ist eine Anreicherung an Nährstoffen, die vor allem von Algen benutzt werden - sowohl Planktonalgen wie auch benthischen Algen (Anm. d. Red.: benthisch: am Meeresboden wachsend). Bei den benthischen Algen gibt es die kleinen, schnellwüchsigen Algen, die ganz besonders vom Nährstoffüberschuss profitieren. Sie sind im Gegensatz zu den Seegräsern und Makroalgen darauf angewiesen, jeden Tag eine gewisse Konzentration Nährstoffe über das Wasser zu erhalten. Diese kleinen filamentösen Algen bilden dann eine moos- bzw. flechtenartige Schicht auf den langlebigen Primärproduzenten wie Seegras oder Makroalgen. Wir nennen das Aufwuchs. Größere, langsam wachsende Algen leiden also indirekt, weil sie überwachsen werden. Sie ‘ersticken’ sozusagen an Lichtmangel und kommen ironischerweise nicht mehr an die Nährstoffe, weil diese schon vorher von den kleinen, feingliedrigen Algen aufgenommen wurden.

 

Ein erhöhter Eintrag von Nährstoffen führt häufig zu Sauerstoffmangel im Wasser. Wie kommt dieser Sauerstoffmangel zustande?

Prof. Wahl: Sauerstoffmangel ist eine kombinierte Folge von Überdüngung und Erwärmung. Die Erwärmung führt dazu, dass zumindest in den Sommermonaten das Wasser geschichtet ist und sich die Algenblüten, die sich an der Oberfläche bilden, nach Aufzehrung der Nährstoffe absterben und unter die thermische Grenzschicht sinken und am Meeresboden remineralisiert, das heißt von Bakterien zersetzt werden. Die Bakterien verbrauchen bei dieser Aktivität Sauerstoff. Der Sauerstoff wird von der Wasseroberfläche jedoch nicht mehr nachgeliefert, weil das Wasser geschichtet ist. Das ist ein Wechselspiel zwischen zwei Stressoren.

Das führt dazu, dass zumindest in den Sommermonaten auch im flachen Wasser – also in 10 bis 15 Metern Tiefe – der Sauerstoff abnimmt. Wenn wir dann ein Auftriebsereignis haben, wenn also die Winde das oberflächliche Wasser von der Küste wegschieben und so das Tiefenwasser hochgezogen wird, dann kann innerhalb von Stunden selbst im flachsten Wasser, sprich in einem Meter Tiefe, der Sauerstoff weg sein. Das ist natürlich absolut katastrophal für die Organismen, die da leben.<

 

Welche Organismen reagieren bei Sauerstoffmangel besonders empfindlich?

Prof. Wahl: Fische sind auf jeden Fall empfindlich. Im September 2017 hatten wir ein Ereignis, das nur 2-3 Tage dauerte, aber die ganzen Strände waren voller toter Fische. Krebse sind auch sehr empfindlich, sogar Algen sind es, obwohl sie ja ironischerweise den Sauerstoff produzieren sollten. In der Nacht jedoch verbrauchen sie Sauerstoff. Wenn dieser nicht da ist, dann leiden auch Algen darunter. Es gibt also kaum Arten, die mit Sauerstoffmangel über einen längeren Zeitraum zurechtkommen können. 

 

Warum hat man nach all den Jahrzehnten der Untersuchung und des Monitorings in der Ostsee, den Eintrag von Nährstoffen noch nicht in den Griff bekommen?

Prof. Wahl: Ich muss gestehen, dass ich da ein bisschen frustriert bin, denn wir haben seit wirklich vielen Jahrzehnten hinreichend Kenntnisse über die Auswirkungen der Nährstofffracht, die ins Meer geleitet werden und wir wissen auch, dass diese Nährstofffracht schlimme Auswirkungen hat. Es führt zu unkontrollierten Planktonblüten oder auch zur Ausbreitung von Pathogenen. Es führt zur Überwucherung von Großalgen im Meer. Und letztendlich – die vielleicht heftigste Störung – ist der Sauerstoffmangel, der sich in der Ostsee massiv ausbreitet und ohne Sauerstoff ist Leben sehr schwierig.

 

Wie gelangt Phosphor oder das Nitrat in die Ostsee?

Prof. Wahl: Hier gibt es mehrere Wege. Einerseits gelangen die Nährstoffe über die Atmosphäre ins Wasser und auch sehr stark über Flüsse und Bäche. Und mindestens genauso stark, aber völlig unkontrolliert und oft auch nicht untersucht über diffuses Grundwasser, welches an der ganzen Küste mit lokalen Schwerpunkten in die Ostsee strömt und mit Nitraten angereichert ist, zum Teil eben sehr hoch angereichert. Wir machen uns sogar auf EU-Ebene strafbar, weil wir nichts gegen diese Nitratanreicherung im Grundwasser tun.

 

Kommt es auf das Management an? Müssen wir unsere Flussufer besser managen?

Prof. Wahl: Man kann durch das Management von Flussufern wenig dagegen tun. Es ist einfach so, dass unsere Landwirtschaft eine Hochleistungslandwirtschaft geworden ist. Es kommt nur noch darauf an, wie viel Gewinn man pro Hektar machen kann. Da ist es natürlich eine große Verlockung, diesen Erträgen mit Düngung nachzuhelfen. Außerdem haben viele Landwirte, die Viehwirtschaft betreiben, das Problem, dass sie nicht wissen wohin mit der Gülle. Da liegt es nahe, die Gülle auf die Felder zu werfen, weil das ja auch einen düngenden Effekt hat. Jedoch wird nur ein gewisser Prozentsatz von den Pflanzen aufgenommen, der Rest geht ins Grundwasser oder in oberflächennahe Gewässer wie Bäche oder Flüsse.  

 

Wären Sie Küstenmanager, was wären für Sie die ersten Maßnahmen zur Verringerung der Einträge von Nährstoffen?

Prof. Wahl: Es gibt ja eine Grüne Landwirtschaft, die mit deutlich weniger Dünger auskommt. Wenn man diese fördern könnte, sie eventuell subventionieren könnte, es also attraktiver macht für die Landwirte von traditionell zu grün zu wechseln, dann wäre das schon sehr hilfreich. Wenn die Nährstoffe einmal im Boden oder im Wasser sind, ist es wahnsinnig schwierig oder aufwendig, sie wieder herauszuholen.

Eine Möglichkeit, die wir mal durchgerechnet haben, sind großflächige Algenkulturen – in der Ostsee zum Beispiel. Hier wurden einige hundert Hektar Wasseroberfläche mit Großalgen beimpft, die dann heranwachsen und dann natürlich die Nährstoffe binden. Diese kann man dann herausnehmen und zum Beispiel in eine Biogasanlage tun. Dann sind die Nährstoffe wieder an Land. Das scheint attraktiv zu sein, es gibt schon Firmen, die sich dafür interessiert haben; unsere Politik allerdings noch gar nicht. Es scheint auch wirtschaftlich zu sein, zumindest gibt es diese Chance, aber es wird leider nicht probiert. Nicht bei uns jedenfalls, in Schweden schon.


Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP).

Eutrophierung: Die Rolle von Nährstoffen an der Küste

Pflanzennährstoffe wie Stickstoff und Phosphor sind wichtige Bestandteile aller Lebewesen. Ein Zuviel davon kann zu übermäßigem Algenwachstum und damit zu ernsten Umweltproblemen wie Artenschwund oder Sauerstoffmangel führen. Im Wattenmeer stiegen die Nährstoffkonzentrationen seit Mitte des 20. Jahrhunderts stark an. Das führte zu einem vermehrten Algenwachstum im Wasser, massiven Grünalgenmatten auf den Wattflächen, einer Abnahme von Seegras und zu Sauerstoffproblemen in der Deutschen Bucht. Politische Maßnahmen führten zu einer Halbierung der Nährstofffrachten seit 1985 und zu einer deutlichen Erholung des Wattenmeeres. Damit gehört die Nährstoffproblematik aber noch nicht der Vergangenheit an: Im Grundwasser vieler Gebiete mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung überschreiten die Nitratkonzentrationen europäische Grenzwerte. Erhöhte Nährstoffkonzentrationen in Flüssen und Seen stimulieren üppiges Wachstum von manchmal sogar giftigen Algen. Infolge der Algenblüten kann – wie im Hamburger Hafengebiet – Sauerstoffmangel entstehen.

Die "Schlaglichter" des Helmholtz-Zentrum Geesthacht erklären verständlich wichtige Themen der Forschung am Institut für Küstenforschung, wie zum Beispiel Schiffsemissionen, langlebige Schadstoffe oder auch Eutrophierung. Ein wichtiger Aspekt der Arbeit der Wissenschaftler ist die Forschung an den Stoffkreisläufen im Küstenmeer. Aus den Schlaglichtern ist ein direkter Zugang auf die Daten und Visualisierungen der coastMap-Arbeiten möglich. Link.

Weiterführende Informationen

  • Oschlies, A., Achterberg, E., Ayon, P., Bange, H., Breitburg, D., Bristow, L., ... Visbeck, M. (2018). Kieler Erklärung zur Sauerstoffabnahme im Ozean (verabschiedet von den Teilnehmern der internationalen Konferenz „Ocean Deoxygenation: Drivers and Consequences – Past – Present – Future“, 3.-7. September 2018 in Kiel, veranstaltet vom: Sonderforschungsbereich 754 und dem Global Ocean Oxygen Network, GO2NE – IOC-UNESCO) [www.geomar.de].

Zitiervorschlag: Wahl, M. (2020). Ein Zuviel an Nährstoffen in der Ostsee [Interview]. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 89-91). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.4.2