Strategien
Mainstreaming: Biodiversität in nationalen Strategien verankern
- Um den Rückgang der Biodiversität zu stoppen ist das Mainstreaming, also die Einbeziehung von Biodiversität in wirtschaftliche Prozesse entscheidend.
- Wichtige Sektoren sind dabei Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Tourismus, aber auch Energie, Infrastruktur, Fertigung und Verarbeitung.
- Im weltweiten Vergleich zeigt sich, dass insbesondere die afrikanischen Staaten beim Biodiversitäts-Mainstreaming vorne liegen, während es in Europa noch erhebliche Defizite gibt.
Die biologische Vielfalt erleidet weltweit dramatische Rückgänge. Der Weltbiodiversitätsrat schätzt, dass auf der Erde 1 Million Arten vor dem Verschwinden stehen. Mit dem Rückgang des Artenreichtums ist die Fähigkeit von Ökosystemen bedroht, diejenigen Dienstleistungen zu erbringen, die für die Menschheit wichtig sind und von denen sie abhängig ist. Dazu zählen zum Beispiel die Versorgung mit Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser oder die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Die Integration von Belangen der biologischen Vielfalt in die nationalen Entwicklungspläne, Strategien und politische Ausgestaltung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche ist entscheidend, um diesen Rückgang umzukehren. In der Fachsprache heißt dieser Prozess der Integration von Biodiversität in alle Lebensbereiche des öffentlichen Lebens bis hin zu nationalen Gesetzen „Biodiversity Mainstreaming“ bzw. „Mainstreaming von Biodiversität“.
Die Bedeutung des Biodiversity Mainstreamings wird durch das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention, engl. Convention on Biological Biodiversity, CBD) und der damit verbundenen Aichi-Ziele anerkannt. Einzelne Länder können die Ziele der CBD durch ihre Nationalen Strategien und Aktionspläne zur biologischen Vielfalt umsetzen (engl. National Biodiversity Strategies and Action Plans, NBSAPs). Sie zielen unter anderem darauf ab, in den einzelnen Ländern die Integration der biologischen Vielfalt in die nationale Politik wichtiger Wirtschaftssektoren wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Tourismus zu unterstützen. Auf der Sitzung des Weltklimarates 2018 in Sharm El-Sheik wurde als Erklärung verabschiedet, diese Sektoren um die Bereiche Energie, Infrastruktur, Fertigung und Verarbeitung zu erweitern.
Frühere nationale Fortschrittsberichte zeigten bereits, dass der Prozess der Überführung der Biodiversitätsziele in nationale Regelungen nicht einfach ist. Als Hemmnisse treten in vielen Ländern die überwiegende Orientierung an kurzfristigen Vorteilen für Industrie und Gewerbe, die unklaren Entscheidungsfindungen sowie eine eingeschränkte Kommunikation zwischen beteiligten Akteuren auf. Erschwerend kommt in Entwicklungs- und Schwellenländern häufig ein Mangel an finanziellen und zeitlichen Ressourcen hinzu, aber auch fehlendes Know-how. Positive Ansätze, um das Mainstreaming zu unterstützen, wurden zum Beispiel in Vietnam identifiziert, um die Vertrauensbildung in zertifizierte Palmölgewinnung oder Meeresfischerei zu fördern.
Aktionspläne der Staaten im Vergleich
Vor kurzem wurde von einem internationalen Forscher*innen-Team, eine rückblickende wissenschaftliche Analyse durchgeführt, um das Abschneiden von Regionen und einzelnen Ländern bei der Einbeziehung der biologischen Vielfalt in ihre jeweiligen nationalen Strategien und Aktionspläne seit 2010 zu überprüfen. An dieser Studie war auch das Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beteiligt. Im Rahmen der Untersuchung wurden 144 Nationale Strategien und Aktionspläne zur biologischen Vielfalt anhand von fünf Kriterien ausgewertet, und auf Basis dieser Kriterien ein Indikator auf nationaler Ebene berechnet. Dies ermöglichte, den Grad des Mainstreamings länderübergreifend vergleichbar zu machen. Die Analyse sollte ein besseres Verständnis ermöglichen, welches Gewicht und Priorität die biologische Vielfalt auf nationaler Ebene hat und wie der NBSAP-Prozess als Instrument zur Einbeziehung der biologischen Vielfalt funktioniert.
Der Grundgedanke der Mainstreaming-Analyse ist, dass diese ausgearbeiteten nationalen Strategien und Aktionspläne als Input für andere Politikbereiche dienen und deren Ansatz zum Schutz der biologischen Vielfalt beeinflusst und verändert. Die Einbeziehung der biologischen Vielfalt in die sektorale Politik würde dann idealerweise eine Verhaltensänderung fördern, die wiederum zu einem verbesserten Zustand der biologischen Vielfalt führen würde. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die biologische Vielfalt, wenn sie in den NBSAPs eindeutig in die einzelnen Wirtschaftssektoren integriert wird, potenziell wirksamer bei der Beeinflussung der sektoralen politischen Regelungen wäre.
Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen als Erfolgsparameter
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass im Vergleich Entwicklungsländer, insbesondere die afrikanischen, besser abschneiden. Das deutet darauf hin, dass es in diesen Ländern ein höheres Bewusstsein für die Bedeutung des Mainstreaming der biologischen Vielfalt gibt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit rührt dies daher, dass am Entwicklungsprozess ein breites Spektrum an Interessengruppen beteiligt war. Diese Gruppen liegen in der Regel außerhalb der Regierung. Dazu zählen zum Beispiel Akteure der Zivilgesellschaft oder der private Wirtschaftssektor.
Aus der Forschung ist bekannt, dass die Beteiligung mehrerer gesellschaftlicher Gruppen für den Erfolg des Mainstreaming der biologischen Vielfalt von entscheidender Bedeutung ist. Ein integrativer Prozess schafft ein Gefühl von Eigenverantwortung. Dieses führt zu einem verstärkten Engagement aller beteiligten Interessengruppen sowie zu einer verstärkten Sensibilisierung für den Wert biologischer Vielfalt. Das ist besonders relevant, wenn man bedenkt, dass die für den Verlust der biologischen Vielfalt verantwortlichen Wirtschaftssektoren wie Land- und Forstwirtschaft von einem breiten Spektrum von Akteuren außerhalb der nationalen Regierungen verwaltet werden.
Im Gegensatz dazu haben in der Analyse die entwickelten Länder, von denen sich die meisten in Europa befinden, schlechter abgeschnitten. Dort sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es spezifische Angaben über den monetären Beitrag der biologischen Vielfalt zur jeweiligen Volkswirtschaft gibt. Dies deutet darauf hin, dass es in den entwickelten Ländern ein geringeres Bewusstsein für die Bedeutung der Einbeziehung der biologischen Vielfalt in alle Wirtschaftssektoren vorhanden ist als in den untersuchten Entwicklungsländern. Als positives Beispiel für die monetäre Bewertung von Biodiversität dienen die Seychellen und Peru. Auf den Seychellen betont der Nationale Aktionsplan, dass die biologische Vielfalt 35 Prozent der Staatseinnahmen, 38 Prozent der nationalen Beschäftigung und 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. Auch in Peru hat Biodiversität eine hohe wirtschaftliche Bedeutung. Hier sind 22 Prozent der Volkswirtschaft mit Biodiversität verbunden.
Verankerung von Biodiversität in wirtschaftlichen Prozessen zentral für den Erfolg
Es muss betont werden, dass die Studie zur biologischen Vielfalt keine Aspekte der Integration konkreter Maßnahmen auf Unternehmensebene berücksichtigt hat. Die Nationalen Strategien und Aktionspläne spiegeln in erster Linie die politischen Absichten von Regierungen wieder, sind aber noch keine verbindlichen Erklärungen. Tatsächlich deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die NBSAPs ein eher schwaches politisches Instrument sind. Sie werden nur von einer Minderheit der Regierungen unterstützt und vor allem auf der Ebene der zuständigen Umweltministerien behandelt.
Die Erwähnung des Mainstreaming der biologischen Vielfalt innerhalb der NBSAPs ist oft weit gefasst und spezifiziert nicht die institutionellen und rechtlichen Anforderungen, die zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich sind. Dieser Faktor, kombiniert mit dem Fehlen eines Koordinierungsmechanismus, schafft ein erhebliches Hindernis für die Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen. Dadurch wird schnell übersehen, welche Chancen ein nachhaltiges Management zur Verbesserung von Biodiversität bietet. Beispielsweise betont der NBSAP in Belgien, dass landwirtschaftliche Diversifizierung die Nachfrage nach vielfältigen landwirtschaftlichen Produkten, Freizeitaktivitäten im ländlichen Raum sowie die Steigerung der Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe fördern kann.
Trotz der Einschränkungen, denen die Studie unterliegt, hat sie gezeigt, dass in den Nationalen Strategien und Aktionsplänen vieler Länder die Grundlagen für die Einbeziehung der biologischen Vielfalt bereits gelegt wurden. Allerdings müssen die Industrieländer mehr tun, um den Wert der biologischen Vielfalt für ihre Produktionsbereiche anzuerkennen. Die stärkere normative Verankerung des Wertes von Biodiversität in Entwicklungsländern deutet auf eine stärkere Bindung dieser Länder an die Natur hin. Auch scheint ein höheres Bewusstsein für Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Biodiversität und den damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen zu bestehen. Weltweit gesehen gibt es in allen Ländern noch einen größeren Bedarf, wenn es darum geht, die Belange der Biodiversität in die jeweiligen Wirtschaftsprozesse zu integrieren. Dies würde einen Weg aufzeigen, um das Mainstreaming von Biodiversität auf globaler Ebene zu erreichen.
Quelle
- Whitehorn, P. R., Navarro, L. M., Schröter, M., Fernadez, M., Rotllan-Puig, X. & Marques, A. (2019). Mainstreaming biodiversity: A review of national strategies. Biological Conservation, 235, 157-163. doi:10.1016/j.biocon.2019.04.016
Zitiervorschlag: Whitehorn, P.(2020). Mainstreaming: Biodiversität in nationalen Strategien verankern. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 196-198). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.8.3