Naturnahe Flächen

Leitbilder für die Renaturierung von Flussauen schaffen

Nur ein Bruchteil der Flussauen in Deutschland ist noch annähernd naturnah erhalten. Inzwischen gibt es in Mitteleuropa kaum noch Auensysteme, die uns zeigen könnten, welchen ökologischen Zustand wir überhaupt anstreben wollen. Ohne Zugeständnisse, insbesondere was die Flächenverfügbarkeit anbetrifft, wird sich am schlechten Zustand der Auen nichts ändern. Grundsätzlich sind Auensysteme hoch dynamische Systeme, die sich hervorragend regenerieren. Eine multifunktionale Nutzung durch verschiedene Wirtschaftsakteure ist dabei durchaus möglich.

Text: Dr. Christian Damm

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • Der Zustand von 90 Prozent der Auen ist deutlich bis stark verändert.
  • Auen stellen aber ein Vielzahl von Ökosystemleistungen zur Verfügung.
  • Es mangelt an konsensuellen Leitbildern, die es ermöglichen könnten, unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ökologisch intakte Fluss- und Auenökosysteme wieder herzustellen.
  • Immerhin gibt es gute Beispiele für einen besseren Umgang mit Flüssen und Auen.

Gehören Flüsse und Auen zu unseren letzten Naturparadiesen oder sind sie schon Opfer einer nicht mehr zu leugnenden Biodiversitätskrise? Wenn man die Bilanz des Bundesamtes für Naturschutz (Brunotte, 2009; BMU/BfN, 2009) liest, war bereits vor zehn Jahren der Zustand der Auen in Deutschland schlecht. 70-90 Prozent der Auen sind durch Deiche vom Fluss abgetrennt.

Der Zustand von 90 Prozent der Auen ist deutlich bis stark verändert und nur noch zehn Prozent sind naturnah erhalten – Trend weiter abnehmend. Die großflächig intensive landwirtschaftliche Nutzung in den Auen wie z. B. der Maisanbau an der Donau, der Umbau der Auwälder zu Hybridpappel-Plantagen am Oberrhein, der Verkehrs- und Siedlungsbau und mit ihnen das weitgehende Verschwinden der natürlichen Lebensräume beschreiben beispielhaft den aktuellen Auenzustand in Deutschland. Dass dies gravierende Folgen für die Biodiversität hat (Ellwanger et al., 2012), ist nicht weiter verwunderlich, sondern eine logische Konsequenz.

Doch was macht Auen so wertvoll für uns Menschen? Typisch für Auen ist der periodische Wechsel von Überschwemmung und Austrocknung. Dies bewirkt eine immense Struktur- und Lebensraumvielfalt mit räumlich und zeitlich großer Variabilität. Dadurch werden Auen zu „Hotspots der Biodiversität“ (Schneider et al., 2017). Kaum ein anderes Ökosystem stellt eine derartige Vielzahl von Ökosystemleistungen zur Verfügung (Constanza et al., 1997), welche die Basis vieler menschlicher Landschaftsnutzungen sind.

Dieser multifunktionale Charakter der Flussauen bringt gleichzeitig eine Vielzahl an Nutzern und Interessengruppen mit sich: Schifffahrt, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserwirtschaft, Erholung und viele andere Nutzungsformen haben seit langem auf Flüsse und Auen eingewirkt, von ihnen profitiert und gleichzeitig ursächlich zu deren kritischer Situation geführt. Nennenswerte Verbesserungen lassen sich nur erreichen, wenn jeder einzelne Bereich zu erheblichen Änderungen bereit ist. Dass dies in Teilbereichen möglich ist, hat die deutliche Verbesserung der Wasserqualität durch technischen Umweltschutz der vergangenen Jahrzehnte bewiesen.

Auenschutz braucht Flächen: Technische Lösungen greifen zu kurz

Die Verbesserungen des gesamtökologischen Zustandes von Auen erfordern darüber hinaus die Verfügbarkeit von Flächen. Gleiches gilt auch für den Hochwasserschutz und andere Auennutzungen. Der Verlust von überflutbaren Auen ist ohne die Bereitstellung von Raum nicht ausgleichbar. Aus Sicht der Forschung lässt sich sagen: Die bisherige, monosektoral ausgerichtete Nutzung wird heutigen Anforderungen an Flächennutzung nicht mehr gerecht. Beispielsweise kann eine Forstfläche nicht nur Holz produzieren, sondern auch Hochwasser zurückhalten, Grundwasser speichern und dabei gleichzeitig Auwaldhabitat und Erholungsraum sein. Multifunktionale Landschaftsnutzung durch sektorenübergreifende Strategien und Handlungen ist daher dringend erforderlich!

Gleichzeitig ist die Bereitschaft, bisherige Nutzungsweisen anzupassen oder in Einzelfällen auch darauf zu verzichten, ausgesprochen gering, sodass die Umsetzung von Renaturierungsprojekten meist auf Widerstand stößt. Die Strategie, die Probleme auf möglichst kleiner Fläche zu lösen, um Konflikte zu minimieren, führt z. B. im Hochwasserschutz zu technischen Lösungen, die allein die großräumigen Probleme nicht beheben. Ebenso wenig sind Minimalflächen-Lösungen für die Bewältigung der ökologischen Defizite zielführend.

Leitbilder für ökologisch intakte Auen fehlen heute fast gänzlich

Es mangelt heutzutage an Leitbildern, die als Grundlage eines gesellschaftlichen Konsenses dienen könnten. Hier ist die Wissenschaft gefragt. Sie kann klären, wie ökologisch intakte Fluss- und Auenökosysteme heute überhaupt aussehen können und was unter den derzeitigen Rahmenbedingungen wieder herstellbar ist? Wie kann eine multifunktionale Auennutzung gelingen? Die statischen Schutzstrategien, die auch heute noch die Schutzbemühungen dominieren, sind gescheitert. Heute kommt es vielmehr darauf an, dass Schutzstrategien durch ein Prozessverständnis und eine Prozessorientierung ersetzt werden, die den dynamischen Charakter der Auen berücksichtigen und nachhaltig erfolgreich sein können.

Die anthropogenen Landschaftsveränderungen der vergangenen Jahrhunderte haben die Flüsse und Auen ihrer ureigensten Eigenschaft beraubt: der Dynamik. Durch Kanalisierung und Uferbefestigung, Eindeichung und Entwässerung sind die den Auen eigene permanente Erosion, Anlandung und Regeneration nicht mehr möglich. Erosion als zerstörender Prozess setzt Lebensräume wieder auf null, konkurrenzschwache Pflanzen und Tiere können neue Flächen besiedeln, Entwicklungsketten von Lebensraumstadien, sogenannte Sukzessionen, können entstehen. Sie sind es, die die große Vielfalt von Auenlandschaften ausmachen. Diese Prozesse sind für die Entwicklung von Auenlebensräumen und ihren Arten unverzichtbar und ihr Fehlen begründet das heutige funktionale Versagen auf Landschaftsebene – Monotonie und Überalterung prägen die ehemals dynamischen Auen. Einen „schützenden“ Zaun um einen vorhandenen Auwaldrest zu ziehen oder ein Durchlassrohr zu vergrößern, reicht daher längst nicht mehr aus.

Wie sich einerseits Eingriffe, wie auch andererseits Renaturierungsmaßnahmen auf Abflussdynamik, Feststoffhaushalt, Arten und Habitate auswirken, ist ein aktuelles Forschungsfeld. Die Entwicklung von Prognosetools und eine enge Anbindung an die Praxis sind für die zukünftigen Forschungsbemühungen von großer Bedeutung.

Die Aufgabe der ökosystemaren Forschung bleibt zudem die Vertiefung der Systemkenntnis, zumal wir heute im Detail oft nicht mehr wissen, wie intakte Flussauensysteme in Mitteleuropa zusammengesetzt waren und wie sie funktionieren. Unter den heutigen Bedingungen werden die Auen zukünftig nicht 1:1 den historischen Auenlandschaften entsprechen. Wichtig ist deshalb die Erforschung des heutigen potentiell natürlichen Zustandes, wofür es die Umsetzung mutiger Restorationsprojekte in prozessorientierten Ansätzen und eine intensives Ergebnismonitoring erfordert.

Best Practices: Auen sind potentiell gut wiederherstellbare Ökosysteme

Gute Beispiele für einen besseren Umgang mit Flüssen und Auen gibt es inzwischen viele: Diverse europäische Richtlinien wie die Wasserrahmenrichtlinie, die Hochwassermanagement-, sowie die Flora-Fauna-Habitat- oder auch die Grundwasser-Richtlinie haben umfangreiche Renaturierungsaktivitäten an Gewässern befördert. Zwar sind nicht alle gleichermaßen funktionell ausgerichtet, aber wo immer die funktionelle Verbindung von Fluss und Aue wiederhergestellt oder erheblich verbessert wird und von dieser Entwicklung nennenswerte Flächen erreicht werden, werden erfolgreiche Projekte umgesetzt (Damm et al., 2012). Dazu trägt bei, dass gerade Flussauen aufgrund ihrer natürlichen Anpassung an hohe Störungsdynamik vergleichsweise leicht wiederherstellbare Ökosysteme sind.

Selbst urbane Räume haben hier ihre Potentiale wie die Stadt München im Bereich der Isar gezeigt hat (siehe Infokasten). Dass die guten Beispiele nur Beispiele und noch lange keine Normalität sind, d.h. ein Vielfaches an Umsetzungsprojekten bzw. eine generelle Veränderung des Gewässermanagements erforderlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in Gesellschaft, Verwaltung und Politik zu tragen, ist eine Herausforderung für die Wissenschaftskommunikation. Das Thema Klimawandel zeigt, dass die Verankerung in der Gesellschaft durch strategische Kommunikation durchaus möglich ist.

Die statischen Schutzstrategien, die auch heute noch die Schutzbemühungen dominieren, sind gescheitert.

Infokasten: Die Umsetzung des Isar-Plans

Im Rahmen des Isar-Plans wurde in München zwischen Deutschem Museum und dem Großhesseloher Wehr auf einer Strecke von acht Kilometern die Uferzone der Isar neu gestaltet. Das bisher kanalisierte Flussbett wurde aufgeweitet und neue Seitenarme sowie Flachwasserzonen angelegt. Als Folge kann sich der Fluss nun seinen natürlichen Lauf weitgehend wieder selber suchen.

Mit der Weideninsel wurde ein wertvolles Biotop für viele Tier- und Pflanzenarten geschaffen und bislang monotone Uferwiesen konnten zu Trockenwiesen umgewandelt werden. Durch die Umgestaltung wurden nicht nur die Voraussetzungen verbessert, damit sich neue Arten entlang der Isar ansiedeln. Gleichzeitig wurden die technischen Voraussetzungen des Hochwasserschutzes verbessert und die Aufenthalts- und Erholungsqualität erhöht.

Die Umbaumaßnahmen haben sich bereits bewährt. So verlief das erste große Hochwasser nach der abgeschlossenen Renaturierung im Juni 2013 glimpflich, weil den Wassermassen nun deutlich mehr Raum zur Verfügung stand.

Blick auf die Isar in der Münchener Innenstadt. Foto: Pixabay

Quellen

  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – BMU & Bundesamt für Naturschutz – BfN. (2009). Auenzustandsbericht. Bonn, Berlin.
  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – BMU & Bundesamt für Naturschutz – BfN. (2014). Naturbewusstseinsstudie 2013. Bonn, Berlin.
  • Brunotte, E., Dister, E., Günther-Diringer, D., Koenzen, U. & Mehl, D. (2009). Flussauen in Deutschland – Erfassung und Bewertung des Auenzustandes (Naturschutz und Biologische Vielfalt, 87). Bonn: BfN.
  • Damm, C., Dister, E., Fahlke, N., Follner, K., König, F., Korte, E., Lehmann, B., Müller, K., Schuler, J., Weber, A. & Wotke, A. (2011). Auenschutz – Hochwasserschutz – Wasserkraftnutzung. Beispiele für eine ökologisch vorbildliche Praxis. (Naturschutz und Biologische Vielfalt, 112). Bonn: BfN.
  • Ellwanger, G., Finck, P., Riecken, U., & Schröder, E. (2012). Gefährdungssituation von Lebensräumen und Arten der Gewässer und Auen in Deutschland. Natur und Landschaft, 87 (4), 150-155.

Zitiervorschlag: Damm, C. (2020). Leitbilder für die Renaturierung von Flussauen schaffen. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 126-129). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.6.1