Klimawandel
Invasive Arten als Chance?
Herr Prof. Dr. Martin Wahl, ist es denn per se ein Problem, wenn eine neue Art zu einem Ökosystem hinzukommt?
Prof. Wahl: Nein, das ist nicht immer ein Problem. Es ist sogar relativ selten ein Problem. Es ist allerdings ebenso schwer abzuschätzen, wann es zu einem Problem werden könnte. Es können viele Jahre oder sogar Jahrzehnte vergehen bis eine Art, die neu zu einem Ökosystem hinzugekommen ist, so abundant oder sogar dominant wird, dass sie möglicherweise ein Problem darstellt. Ich bin generell sehr vorsichtig mit dem Begriff ‚invasive‘ Arten. Diese Definition ist ja immer ein wenig an Schäden gekoppelt, die diese Art verursacht.
Oftmals sind diese Schäden gar nicht so offensichtlich oder auch nur von kurzer Dauer, sodass die Schäden vielleicht nach zehn Jahren schon wieder verschwunden sind, weil sich das System umstrukturiert hat. Wenn wir von “nicht-heimischen” Arten sprechen, dann habe ich überhaupt kein Problem damit. Davon haben wir viele und die haben sich meistens – gerade in der Ostsee – relativ gut eingefügt, sodass wir zumindest in der Ostsee noch gar nicht von massiven, ökosystemaren Schäden sprechen können.
Was begünstigt den Erfolg einer invasiven Art?
Prof. Wahl: Das haben wir über einige Jahre – auch weltweit – untersucht, indem wir Arten bezüglich ihrer Stressresistenz miteinander verglichen haben. Wie gut können invasive Arten also mit nicht-optimalen Bedingungen umgehen? Wir haben auch Populationen innerhalb einer Art, d.h. zum Beispiel die heimische Population einer Rotalge in Japan wie auch deren invasive Population in Westeuropa untersucht. Das Ergebnis ist eigentlich immer dasselbe.
Es ist so, dass die invasiven Arten oder invasiven Populationen sehr viel härter im Nehmen sind. Sie können mit Austrocknung zum Beispiel besser umgehen, mit Sauerstoffmangel, Erwärmung oder Salzgehaltsschwankungen. Das sind alles Faktoren, die es während des Transports dieser Arten zu überleben gilt. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Transport als solcher schon dazu geführt hat, dass nur die Genotypen, sprich die genetischen Zusammenstellungen, die solche Stresse besser wegpuffern können, letztendlich erfolgreich waren.
Sie untersuchen unter anderem den Japanischen Knötchentang, eine invasive Algenart in der Ostsee. Warum haben Sie sich genau mit dieser Art beschäftigt?
Prof. Wahl: Wir arbeiten seit vielen Jahren über heimische Großalgen und da ist uns vor zehn Jahren aufgefallen, dass sich plötzlich eine nicht-heimische Großalge in der Ostsee fast explosionsartig vermehrt hat. Das war besagte Alge aus Japan bzw. Nordchina. Wir wollten wissen, was diese Art hier anrichtet, ob sie Schäden verursacht oder auch nicht. Letztendlich konnten wir kaum direkte Schäden feststellen
Wir haben dann sehr viele Eigenschaften dieser Rotalge gefunden, die sie dazu befähigen, erstens den Transport zu überleben und zweitens es ihr dann ermöglichten, sich in einer doch ziemlich anspruchsvollen Umgebung wie der Ostsee einzunischen. Inzwischen ist diese Alge schon wieder in ihrer Häufigkeit zurückgegangen. Sie stellt aber möglicherweise – das ist unsere Hoffnung – ein Adaptationspotential oder -reservoir dar, wenn es unseren Algen mal so schlecht gehen sollte, dass die invasive Art eines Tages möglicherweise Funktionen übernehmen könnte, die wir sonst verlieren würden.
Kommt es Ihnen dabei eher auf die funktionale Diversität an?
Prof. Wahl: Ja, mir kommt es vor allem auf die Funktionen an, weil ich daran interessiert bin, dass das System überlebt, dass alle Stoff- und Energieflüsse weiterarbeiten können. Es ist natürlich so, dass man die invasiven Arten nicht allzu sehr befördern darf, weil wir dann global eine Vermischung von Arten und eine sinkende globale Diversität haben. Damit sinkt auch insgesamt die Heterogenität und damit auch die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Systeme. Das sind zwei Seiten einer Medaille, es gibt gute und etwas beunruhigende Aspekte.
Ist bekannt wie die invasive Rotalgenart in die Ostsee gelangt ist?
Prof. Wahl: Diese Rotalgenart ist oft assoziiert mit Austerkulturen und wenn diese Kulturen dann von Japan oder China hierher transportiert werden, sind auch immer kleine Stücke von der Alge dabei. Diese Alge hat die Eigenschaft, dass sie aus einem nur ein Zentimeter großen Fragment plötzlich wieder auswachsen kann. Das ist schon sehr beachtlich. Hinzu kommen natürlich alle anderen Transportmechanismen über Ballastwasser oder über Aufwuchs an Schiffsrümpfen. Es gibt viele Wege für die invasiven Arten.
Welche invasive Art, die vielleicht schon vorhanden ist, aber sich noch nicht in größerem Maßstab etablieren konnte, könnte uns in Zukunft Probleme bereiten?
Prof. Dr. Wahl: Das ist ein wenig wie Kristallkugel lesen. Ich würde eher darauf tippen, dass es gar nicht die großen auffälligen Arten sein werden, die möglicherweise Probleme bereiten, sondern die kryptischen, solche, die man nicht so gut sehen kann. Hier denke ich vor allem an die pathogenen Arten oder die Parasiten. Diese begleiten oft eine invasive Art. Letztere gelangt ja nicht alleine hierher, sondern hat so einiges im Gepäck, was eine Art Zeitbombe darstellen könnte. Nach einer gewissen Anpassungsphase könnte ein solcher Parasit dann hier in der Nord- oder Ostsee virulent werden, also auch neue Wirte für sich entdecken und das kann dann natürlich zu einer massiven Erkrankung von lokalen Arten führen.
Was wissen wir über invasive Arten beispielsweise im Mittelmeer?
Prof. Wahl: Wir wissen, dass vor 150 Jahren ein neuer Weg vom Roten Meer ins Mittelmeer eröffnet wurde. Das ist der Suezkanal und obwohl es diesen nun schon seit so langer Zeit gibt, sind anfänglich gar nicht so viele Arten vom Roten Meer ins Mittelmeer eingewandert, das ging recht bedächtig. In den letzten dreißig Jahren allerdings ist diese Dynamik explodiert, sodass jetzt an der israelischen Küste nahezu 90 Prozent der Organismen, die man am Meeresgrund sieht, invasiv sind, also gar nicht dorthin gehören. Sie kommen aus dem Roten Meer, aus dem Indischen Ozean und zum Teil aus dem Persischen Golf und haben jetzt die lokalen Arten weitgehend ersetzt.
Das ist eigentlich ein ganz schönes Beispiel dafür, wie invasive Arten ein System übernehmen können ohne einen gewaltigen Schaden anzurichten, denn im östlichen Mittelmeer sind die meisten nativen, also einheimischen Arten bereits an ihrer thermischen Toleranzgrenze. Bei 32 Grad bekommen sie arge Schwierigkeiten. In jedem Sommer werden diese 32 Grad nun erreicht oder inzwischen sogar überschritten, sodass wir Hunderte von Arten haben, die verschwinden und ihrerseits wieder ersetzt werden durch robustere aus wärmeren Gegenden. Das ist also ein Fall, in dem man gar nicht beurteilen kann: sind denn diese invasiven Arten nun schädlich oder nützlich? In der Bilanz würde ich sagen: „Gut, dass es wenigstens die gibt.“
Hat es Versuche gegeben, diese invasiven Arten zurückzudrängen?
Prof. Wahl: Man hat ja aus der Terrestrik ein bisschen was gelernt. So etwas wie biologische Kampfmittel – also Parasiten oder Pathogene von invasiven Arten einzuführen – macht man heute nicht mehr. Da hat man zu schlechte Erfahrungen gemacht. Es gibt in Australien so einige getestete Möglichkeiten. Diese funktionieren aber nur wirklich ganz am Anfang, sprich wenn man z.B. in einem Hafen einen kleinen Fleck einer neuen Art entdeckt. Dann werfen die Australier gerne viele Tonnen Salz drauf und bringen die Art auf eine an sich umweltverträgliche Weise um. Das geht aber wirklich nur in den ersten Wochen.
Im Mittelmeer gibt es ja dieses erschreckende Beispiel der aus Australien stammenden Alge Caulerpa taxifolia, die sich im Mittelmeer so ausgebreitet hat, dass sie auch das Seegras stellenweise verdrängt hat. Soweit ich weiß, geht sie jetzt allmählich zurück, aber sie hat immerhin 20 bis 30 Jahre gewütet. Das ist mal einer von den wenigen Fällen, wo ich wirklich sagen würde: hier ist eine invasive Art auch im Meer richtig schädlich gewesen. Sie hat sich rasant verbreitet wohl auch weil sie keine Fressfeinde hatte. Die heimischen Organismen müssen ja zunächst erst einmal lernen, wie man mit einem neuen Futter umgeht. Und die Alge hat sich wohl auch relativ gut geschützt. Sie wurde also nicht in dem Maße konsumiert, dass sie dadurch kontrolliert werden konnte.
Was sind die großen Forschungsfragen, die Sie hinsichtlich invasiver Arten momentan umtreiben?
Prof. Wahl: Die Invasionsbiologie ist ein sehr langfristiges Forschungsthema. Ich sagte ja bereits, dass die Arten eine gewisse Latenzzeit haben. Bis sie so richtig zum Zuge kommen können einige Jahre bis Jahrzehnte vergehen. Für uns ist interessant, wie sich diese invasiven Arten vor dem Hintergrund des globalen Wandels darstellen, ob sie damit besser umgehen, längerfristiger leben können als die heimischen Arten. So untersuchen wir momentan vor allem die Kombination von verschiedenen Drücken, wenn wir also Versauerung und Erwärmung und Sauerstoffmangel und Nährstofferhöhung haben. Dann kommt es ganz stark darauf an, welcher Druck nun in welcher Jahreszeit wirkt und wie sie hintereinander geschaltet sind, denn ein Organismus muss ja all diese Herausforderungen überleben, um sich dann fortzupflanzen. Bei uns im Augenblick eine der wichtigsten Fragen: Wie schaffen das die heimischen Arten im Vergleich zu den invasiven Arten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP).
Zitiervorschlag: Wahl, M. (2020). Invasive Arten als Chance? [Interview]. In D. Spreen, J. Kandarr, P. Klinghammer & O. Jorzik (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 69-71). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.3.2