Gesellschaft und Vulkanismus

Vulkanausbruch auf Island: Was lässt sich für die Risikovorsorge lernen?

Im Jahre 2010 brach der Vulkan Eyjafjallajökull auf Island aus. Monatelang war der Flugverkehr über Europa lahmgelegt. Was würde heute anders laufen? Wie sinnvoll sind Grenzwerte für Vulkanasche in der Atmosphäre? Ein Rück- und Ausblick von dem Experten des Deutschen GeoForschungsZentrums PD Dr. Thomas Walter.

Interview mit PD Dr. Thomas Walter

Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

  • Die Asche isländischer Vulkane kann für den europäischen Flugverkehr zu einem Problem werden.
  • Vulkanische Aschewolken können erhebliche wirtschaftliche Schäden zur Folge haben.
  • Die Warnung von Piloten vor Aschewolken ist nach wie vor ausbaufähig.
  • Grenzwerte machen nur bedingt Sinn, da die Wirkung von Vulkanasche von der Asche selbst, vom Turbinentyp und von der Nutzungsdauer der Turbinen abhängt.

Sehr geehrter Herr Privatdozent Dr. Walter, ist ein Ausbruch wie der des Eyjafjallajökull auf Island im Jahre 2010 wirklich ein so seltenes Ereignis?

PD Dr. Thomas Walter: Im Mittel finden in Europa ähnlich starke Eruptionen alle sechs bis sieben Jahre statt. Der starke Nordwind, den wir im Jahre 2010 damals hatten und der die Aschewolke auch bis Deutschland verfrachtet hat, ist in der Tat relativ selten. Mit ähnlichen Aschewolken wird etwa alle 40 Jahre gerechnet. Im Jahr 2014 dann brach der Bárðarbunga auf Island aus. Dabei handelt es sich um einen großen Vulkan unter dem größten Gletscher Europas. Zur Zeit des Ausbruchs gab es mehrfach Wetterlagen, die mit einer starken Nordströmung einhergingen. Also auch dort hätten große Mengen von heißer Lava in direkten Kontakt mit Gletscherwasser aufeinandertreffen und gewaltige Aschemengen produzieren können. Warum also keine erneute Aschewolke? Ich glaube wir haben einfach nur Glück gehabt, dass der Hauptteil des Ausbruches neben dem Eisschild stattfand. Deshalb kam Lava nicht in Kontakt mit Schmelzwasser, und es wurden keine großen Tephramengen produziert.

Erinnern Sie wie das damals, im Jahre 2010, gelaufen ist. Was funktionierte gut, was nicht?

Walter: Zu Zeiten des Ausbruchs gab es zwar bereits Ideen die Vulkan- und Risikoforschung europaweit zu koordinieren, allerdings war das noch nicht umgesetzt. Dieses Projekt (FUTUREVOLC) kam erst zwei Jahre darauf, sodass im Jahr 2010 viel Lehrgeld gezahlt wurde. Es gab sehr unterschiedliche Ideen der Messverfahren und auch keinen Konsens der Modellierung und Prognosen von Aschewolken. Insbesondere gab es damals auch kaum geeignete Ansprechpartner und Informationen, man hatte sich auf Einzeldarstellungen von Wissenschaftlern und auf ihre Webseiten zu verlassen. Bei der Vernetzung der Wissenschaften gab es seither deutliche Fortschritte. Aber nicht nur die Wissenschaft war damals überrascht, die Konzentration der Asche über Deutschland und Effekte für den Luftraum trafen auch die Luftfahrtbranche und Entscheidungsträger weitgehend unvorbereitet, sodass sogar so mancher Ministerposten wackelte.

Was passierte daraufhin in Deutschland?

Walter: Man begann sich rasch dem eigentlichen Problem zuzuwenden: Grenzwerte wurden festgelegt, Modellierungen verbessert, und ein längst überfälliges Überwachungssystem erneuert. Es gab zwar schon 2010 in Mitteleuropa und Deutschland ein sogenanntes Lidar-System, welches teils auch durch europäische Fördergelder aufgebaut wurde. Dabei handelt es sich um eine laser-basierte Methode um die Aerosol- und Partikelgröße und Konzentration in der Atmosphäre zu vermessen. Allerdings war das Forschungsprojekt zu diesem Zeitpunkt 2010 bereits weitgehend vorüber, und die Notwendigkeit eines operativen Einsatzes nicht gesehen worden – zumindest bis zum Ausbruch des Eyjafjallajökull. Man hatte sich also 2010 weitgehend auf Angaben anderer Wissenschaftler und Behörden sowie auf deren Modellierungen stützen müssen, ohne diese prüfen, validieren und korrigieren zu können.

Woher kamen die Modellierungen? Vom Volcanic Ash Aviation Center in London?

Walter: Genau. Der Globus ist von der ICAO (International Civil Aviation Organization) in Sektoren unterteilt und den Volcanic Ash Aviation Centers (VAAC) zugeordnet. Neun dieser Vulkan-Warnzentren gibt es weltweit. Zwei davon liegen in Europa: das VAAC in Toulouse in Südfrankreich sowie das VAAC in London. Island und der Luftraum über dem Nordatlantik liegen im Einflussbereich des Londoner Met Office, d.h. des dortigen Wetterdienstes. Wenn der Ätna oder eine der Kanarischen Inseln hingegen aktiv wird, würde Toulouse übernehmen und diese Warnungen aussprechen. Die hier verwendeten Modellierungsverfahren werden schrittweise verbessert; das Problem damals war allerdings eher, dass alle Modellierungen nicht belastbar waren, da es kaum solide Daten gab.

Hat es denn mit den Prognosen gut funktioniert? Was waren die Probleme, die auftauchten?

Walter: Das hat grundsätzlich funktioniert, insbesondere wenn man bedenkt, dass kaum Daten verfügbar waren und die damaligen Modellierungsverfahren nicht die modernsten waren. Ein Problem sah ich damals darin, dass es in Deutschland kaum koordinierte Bemühungen gab, um hier einen signifikanten Beitrag zur kritischen Prüfung, Validierung und Verbesserung zu leisten. Die Modelle sagten nichts darüber aus, wie hoch die Konzentration der Asche oder deren Zonierung war. Teils konnten Messungen des DLR-Forschungsflugzeugs eine hohe Aschekonzentration bestätigen, teils zeigten sich aber auch Abweichungen. Eyjafjallajökull war impulsiv und brach in Pulsen aus, diese Details waren in Prognosen nicht berücksichtigt. Daher, meine ich, muss man unbedingt das Nahfeld und Transportwege verknüpfen.

Bedeutet das, es würde heute nichts großartig anders laufen als im Jahre 2010, d.h. : es gibt jetzt keine Beratungskommission, für die schon Personen nominiert sind? Im Zusammenspiel der Institutionen hat sich seitdem auch nicht viel verändert?

Walter: Es gibt viele Bemühungen, aber diese sind noch nicht ideal koordiniert. Einzelne Länder in Europa haben tatsächlich sehr viel in eine verbesserte Vermessung, Früherkennung und -warnung investiert. Die VAAC Kompetenz wurde öffentlich kritisiert, und es wurden vor allem nationale Ideen vorangebracht. Ich hoffe das läuft in Zukunft anders! Auch in Deutschland hat sich insbesondere die Vermessung mittels Lidar verbessert; eigene und neue Expertisen wurden aufgebaut. Dennoch sind aber auch zahlreiche Disziplinen und Verfahren nicht weiterverfolgt worden. Ein Früherkennungssystem, welches unter anderem Geophysiker, Vulkanologen, Wetter- und Atmosphärenforscher zusammenbringt, um Entscheidungsträger und Katastrophenschutz zu integrieren, haben wir bislang noch immer nicht. Das wäre aber meiner Meinung nach dringend notwendig.

Aschewolken können in wenigen Minuten Höhen erreichen, die für die Luftfahrt relevant sind.

Heißt das, für den Flugverkehr hat sich auch nichts geändert?

Walter: Ja und Nein. Zum Teil gibt es deutlich bessere Informationen, Messungen und Modelle. Zuständigkeiten und Handbücher wurden überarbeitet. Aber so manches ist auch wieder vergleichbar mit damals. Beispielsweise höre ich von Piloten, die Ausschau nach sichtbarer Asche halten sollen. Wie soll das gehen? Wir sprechen hier von feinen Glaspartikeln, die je nach Sonnenstand und Blickwinkel ganz verschiedene visuelle Effekte haben können. Manche Airlines haben on-board Sensoren installiert, um Aschewolken in der Flugbahn zu detektieren, und somit die Entscheidung des Piloten mit Daten zu untermauern. Jedoch sind solch freiwilligen Initiativen bald wieder verschwunden, vermutlich aus Kostengründen. Piloten der Vereinigung Cockpit beklagen sich bei uns Vulkanologen, dass sie zumeist auf sich gestellt sind und die Informationsketten zu langsam seien. Diese Sicht aus Perspektive der Piloten war überraschend und erschreckend zugleich. „Albtraum aller Piloten“ titelte bereits vor 10 Jahren eine große deutsche Wochenzeitschrift, das gilt auch heute noch. Aschewolken können in wenigen Minuten Höhen erreichen, die für die Luftfahrt relevant sind.

Das heißt, Piloten*innen fliegen auf Sicht?

Walter: Ein Pilot schilderte kürzlich bei einer Vulkanologie-Tagung seinen Flug von Deutschland nach Catania zur Weihnachtszeit 2018. Der Flughafen liegt, wie die Stadt, am Fuße des Ätna auf Sizilien. Beim Anflug erkennt das Piloten-Team die massive Eruptionswolke des Ätna, prüft eventuelle Fluginformationen und fliegt eine Schleife. Erst dann erscheint die Textnachricht vom VAAC in Toulouse auf den Displays: der Ätna ist aktiv, Details aus den kryptischen Angaben muss sich das Flugpersonal selber erarbeiten. Diese Information kommt einerseits viel zu spät und ist noch dazu ungenau und unhandlich. Ähnliche Berichte gibt es auch von Island. Es genügt nicht die Höhe und Verdriftung von Eruptionswolken anzugeben. Insbesondere die Randbereiche sind mit großen Unsicherheiten behaftet und können zu Fehleinschätzungen führen. Daher ist die Empfehlung der ICAO an die Piloten weiterhin: auf Sicht fliegen. Es muss sich hier also was tun, und als Wissenschaftler ist es schwer nachvollziehbar, warum hier keine Konsequenzen und länderübergreifenden Lehren aus 2010 gezogen werden.

Beraten Sie auch politische Entscheidungsträger oder Verwaltungen?

Walter: Ja, die Beratung ist ganz wichtig, auch wenn politische Entscheidungen natürlich oftmals ihre eigene Dynamik haben. Bei Vulkanen ist der Kontakt meist dann da, wenn es brenzlig wird. Im Jahr 2010 wurde ich in den Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen, es war eine wichtige Möglichkeit, Wissenschaft zu kommunizieren und zeigt auch, dass der Wille da ist, Experten zu Rate zu ziehen. Dort ging es darum, wie man die Asche des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull über Deutschland deuten muss, und inwiefern ein Grenzwert der Aschekonzentration hilfreich ist. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt als es kaum verlässliche Daten zur Aschekonzentration gab.

Wie viel Sinn machen Grenzwerte für Asche in der Atmosphäre, um in einer solchen Krisensituation sichere Entscheidungen zu treffen?

Walter: Grenzwerte sind politisch sinnvoll und geben vermutlich auch die richtige Richtung an. Daher ist der Beschluss ein Flugverbot dann zu erteilen, wenn mehr als zwei Milligramm Asche pro Kubikmeter Luft nachgewiesen werden praktikabel und nachvollziehbar. Vorher war die Regel „zero ash tolerance“, d.h., es galt ein Flugverbot, sobald Asche vorhanden war. Dies lag auch am fehlenden Grundverständnis und der stockenden Forschung zum Thema. Ganz wichtig ist dabei noch immer die Kontrolle der Aschenkonzentration. Es gilt, diese flächendeckend und europaweit zu bestimmen. Wissenschaftlich und technisch machen allgemeingültige Grenzwerte jedoch nur bedingt Sinn, da möchte ich sehr deutlich sein, weil mögliche Schäden sehr von der Vulkanasche selbst, vom Turbinentyp und der Nutzungsdauer der Turbinen abhängen. So manches Flugzeug und auch so mancher Hubschrauber kann selbst dann fliegen, wenn hocheffiziente Düsentriebwerke aufgrund der hohen Temperaturentwicklung bereits deutliche Schäden davontragen.

Welche Flugzeuge können bei Vulkanasche in der Atmosphäre nicht fliegen?

Walter: Diesbezüglich gab es nach 2010 einige neue Untersuchungen, unter anderem von der NASA und der Industrie gefördert. Man hat verstanden, dass Vulkanasche sich in Turbinen deutlich anders verhält als kristalline Sande etwa aus Wüstenregionen. Vulkanasche wird schon bei 600°C weich und schmilzt bei basaltischer Zusammensetzung häufig bei Temperaturen von etwa 1000°C. Moderne Passagiermaschinen entwickeln mittlerweile deutlich höhere Temperaturen, teils über 1600 Grad. Dadurch bilden sich aus der Vulkanasche Schmelztröpfchen, die an der Turbinen-Schaufel und Lüftungslöchern kleben, Temperaturbrücken bilden und somit sogar die hitzeresistente Keramikschicht abplatzen lassen. Hinzu kommen Korrosionsschäden und Langzeitschäden. Studien schlagen vor, dass neben festen Grenzwerten der Aschekonzentration auch das Volumen der eingezogenen Luft pro Sekunde und die Zeitdauer der Nutzung in der Aschewolke berücksichtigt werden sollten. Daher ist es nicht nur vom Flugzeugtyp, sondern auch der Nutzung und Wartung abhängig. Die Frage ist also nicht ganz so leicht zu beantworten. Die derzeitige Lösung, die finale Entscheidung in der Verantwortung der Fluggesellschaft zu lassen, die das wiederum an den Piloten weiterleitet, halte ich für nicht optimal und wird auch von großen Rückversicherern angemahnt.

Wo liegt der Grenzwert heute?

Walter: Es gibt eine mehrstufige Teilung. Der für die zivile Luftfahrt vermutlich wichtigste Grenzwert liegt bei 2 Milligramm Vulkanasche pro Kubikmeter Luft. Unter Auflagen kann auch darüber geflogen werden. Wichtig ist es nun, diese Konzentrationen zu überwachen und zwar im Nahfeld und im Fernfeld. Einen Flug auf Sicht finde ich da weniger beruhigend und würde erwarten, dass in Kombination Lidar-, Satellitendaten, experimentelle Daten erhoben und Testflüge durchgeführt werden müssen. Auch hier liegen die Tücken im Detail: Boden- und satellitengestütztes Lidar und Bildverfahren erlauben es, insbesondere hohe und weit entfernte Transportwege abzubilden. Aber die nahen und scharfen Grenzen von Grenzwerten können sie nur unscharf abbilden. Aus vulkanologischer Sicht ist besonders wichtig, schnell Überwachungsdaten vom Umfeld der Vulkane zu liefern und Pulse, Chemie, Schmelzpunkt und Korngröße der Asche, wie auch die Verdriftung der Aschewolke zu messen.

Angenommen, es gäbe Vulkanausbrüche wie 2010 in Island, die Europa und Deutschland betreffen: An welche Stellen oder Gremien könnte sich die Politik in der Wissenschaft wenden? Wie sähe hier eine Informationskette aus?

Walter: Wichtig wäre meines Erachtens, unterschiedliche Expertisen in ein Gremium einzuladen. Deutschland hat enorme technische Möglichkeiten, was die Untersuchung von Vulkanen direkt etwa auf Island angeht, um schon dort den Eruptionsverlauf zu vermessen und in der Ferne mit Lidar die Aschekonzentration und Windverdriftung zu überwachen. Bei einem neuen Ausbruch gehe ich davon aus, dass zügig ein solches Expertengremium zusammengestellt wird. Das verlief im Jahr 2010 noch etwas holprig, wichtige Brücken zwischen den unterschiedlichen Fachdisziplinen wie Vulkanologie, Atmosphärenforschung, Wettermodellen, bis hin zur Anwendung waren gänzlich neu. Auf dieser Information kann man nun aufbauen, auch wenn es noch große Herausforderungen gibt.

Das wird insbesondere jetzt interessant, da gegenwärtig (Juni 2020) isländische Behörden vor dem Vulkan Grimsvötn warnen – auch dieser Riese liegt unter einem großen Eisschild. Wichtig bei einem neuen Ausbruch wird es auch sein, komplexe wissenschaftliche Daten für Entscheidungsträger und die Luftfahrtbranche verständlich aufzuarbeiten. Die Politik würde insbesondere etwa auch in den Helmholtz-Zentren Ansprechpartner*innen finden, welche gut vernetzt und ausgestattet sind, und über die erforderliche technische und fachliche Expertise verfügen.

Herr Privatdozent Dr. Walter, wir danken für das Gespräch.


Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP).

Die neun Volcanic Ash Advisory Centers auf der Welt sind:  
Anchorage VAAC - USA  
Buenos Aires VAAC - Argentinien  
Darwin VAAC - Australien  
London VAAC - England  
Montreal VAAC - Kanada  
Tokyo VAAC - Japan  
Toulouse VAAC - Frankreich  
Washington VAAC - USA  
Wellington VAAC - Neuseeland  

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2020.2.3.4

Zitiervorschlag: Walter, T. (2020). Vulkanausbruch auf Island: Was lässt sich für die Risikovorsorge lernen? In O. Jorzik, J. Kandarr, P. Klinghammer & D. Spreen (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Vulkanismus und Gesellschaft. Zwischen Risiko, Vorsorge und Faszination (S. 62-66). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.2.3.4

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