Handlungsoptionen: Stadtklima verbessern

Raumklima verbessern, Wärmebelastung in Gebäuden verringern

Sommerliche Hitzewellen beeinträchtigen erheblich den Wohnkomfort in Innenräumen. Dies ist nicht nur auf den damit verbundenen Temperaturanstieg im Raum zurückzuführen, sondern auch auf die häufig damit einhergehende hohe Luftfeuchte, die durch menschliche Aktivitäten im Raum noch verstärkt wird. Die Wissenschaft sucht gezielt nach pragmatischen und gleichzeitig umweltfreundlichen Ansätzen, um bei zukünftigen Extremwetterereignissen Alternativen zu energieintensiven Klimaanlagen bieten zu können. Die Optimierung von feuchteregulierendem Putz ist ein lohnender weiterer Baustein auf diesem Weg.

Text: Dr. Hans Schipper

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • Das Klima wandelt sich, sowohl global als auch regional, mit Auswirkungen auf die Wohnqualität des Menschen.
  • Neuartige Anforderungsprofile für Putzsysteme berücksichtigen die aktuellen Änderungen in Temperatur und Feuchte.
  • Neue feuchteregulierende Putzsysteme verbessern den Nutzerkomfort in Wohnräumen und Büros.

Das Klima wandelt sich, sowohl global als auch regional. Dies hat auch Auswirkungen auf die Wohnqualität des Menschen, bei denen der Komfort im Innenraum nicht mehr gewährleistet werden kann. Vor allem die Kombination von hoher Lufttemperatur und -feuchte, sprich Schwüle, wird als unangenehm erfahren. Mit Hilfe von Klimaanlagen lässt sich schwüles Raumklima zwar vermeiden, ist aber aus ökologischen Gründen und klimatischer Sicht keine nachhaltige Lösung.

KIT-Wissenschaftler haben nun im Rahmen des interdisziplinären Projekts „Leistungskriterien für wohnkomfortgerechte Wandbaustoffe unter Einfluss des Klimawandels in Baden-Württemberg (raum/klima/putz)“ ein Anforderungsprofil für neue Putzsysteme entwickelt, die das Raumklima verbessern, ohne dass technisch und ökonomisch aufwändige Klimaanlagen benötigt werden. Dazu wurde das Zusammenspiel des Außen- und Innenraumklimas unter Berücksichtigung des thermisch-hygrischen Verhaltens der Wände und des Putzes eines Gebäudes abgebildet. Auf dieser Basis wurde der Einfluss verschiedener Putzsysteme auf das Raumklima und den daraus resultierenden Komfort des Nutzers untersucht. Die Ergebnisse liefern erweiterte Erkenntnisse über den sommerlichen Nutzerkomfort sowie über die notwendigen Eigenschaften solch neuartiger Putzsysteme.

Die Haupterkenntnis im Projekt ist, dass über eine ganzheitliche Betrachtung des Wandsystems ein Anforderungsprofil für Sanierputze bestimmt werden kann. Es berücksichtigt nachhaltig sowohl Komfortkriterien im Innenraum als auch Einflussfaktoren des Außenklimas. Die Aufteilung in die drei Teilbereiche „RAUM“, „KLIMA“ und „PUTZ“ ermöglichte eine grundlegende Betrachtung der unterschiedlichen Disziplinen sowie deren Wechselwirkungen.

Anhand der durchgeführten Nutzerstudien konnten weitaus realistischere Kriterien für den Nutzerkomfort in Wohn- und Geschäftsräumen hergeleitet werden. Unter Anwendung dieser Kriterien können nun quantifizierte Angaben gemacht werden, welche Eigenschaften zukünftige Innenraum-Putzsysteme mit den dazugehörigen Wandaufbauten aufweisen müssen. Letztendlich verbessert sich dadurch der Wohnkomfort in Gebäuden. Hierbei wurde insbesondere nicht nur das aktuelle (d. h. vergangene) Klima als Randbedingung betrachtet, sondern es wurde auch untersucht, wie sich die Veränderungen infolge des Klimawandels auf die Anforderungen der Putzsysteme auswirken werden.

Teilbereich „RAUM“

Für den Teilbereich „RAUM“ wurde Probanden-Versuche im Raumklima-Teststand LOBSTER auf dem Gelände des KIT durchgeführt. Der LOBSTER besitzt zwei nahezu identische Testräume, deren thermische Bedingungen sehr exakt kontrolliert werden können. Im Rahmen des Projektes wurden Verdunstungsbefeuchter nachgerüstet, wodurch auch die Luftfeuchte geregelt werden konnte. In den Versuchen wurden die Teilnehmer zunächst in einem, dann im anderen Raum für jeweils 60 Minuten einem von neun vorab festgelegten Zuständen ausgesetzt. Vorgeschaltet war eine halbe Stunde im Vorraum zur Akklimatisierung, zur Anbringung von Sensorik am Körper und zur Beantwortung eines ersten Fragebogens.

Die Auswertung der Versuche im LOBSTER hat gezeigt, dass eine differenziertere Betrachtung der Schwülegrenze sinnvoller erscheint, als sie derzeit in der deutschen Normung festgelegt ist. International liegt diese Grenze bei 12,0 g kg-1, im nationalen Anhang wird jedoch eine obere Grenze von 11,5 g kg-1 bzw. 65 % relative Feuchte empfohlen (DIN EN 15251). Je nach Temperatur werden vom Menschen aber unterschiedliche Luftfeuchtigkeitswerte noch als komfortabel empfunden. Es wurde ein erweiterter Komfortbereich festgelegt, der in den Simulationen des Innenraums als Bewertungskriterium berücksichtigt wurde. Als Basis dieser Simulationen wurde der Gebäudebestand analysiert und es wurden Standard-Wandaufbauten festgelegt. In enger Abstimmung mit dem Teilbereich „PUTZ“ wurde ein Testraum festgelegt, anhand dessen mit den Simulationsprogrammen EnergyPlus™ und WUFI Plus verschiedene Varianten gerechnet wurden. Automatisierte Parametersimulationen bzw. die Kopplung von EnergyPlus™ mit MATLAB erwiesen sich als probates Mittel, um ortsspezifische Einflüsse bzw. ein dynamisches Lüftungsverhalten zu untersuchen.

Fragestellung des Projekts
Grafik: KIT 

Vorgehensweise des Projekts: "Von der Wolke bis zur Pore"
Grafik: KIT

Teilbereich „KLIMA“

Langzeitsimulationen mit dem regionalen Klimamodell COSMO-CLM lieferten den zweiten Einflussfaktor für das Anforderungsprofil des neuen Putzes. Nachdem Testsimulationen zur Parameterwahl im Modellsetup des regionalen Klimamodells COSMO-CLM abgeschlossen und mit Beobachtungsdaten validiert waren, konnten Klimasimulationen von der Vergangenheit (1981 bis 2010) – diese dienen als Referenzdaten und können mit Beobachtungen verglichen werden – bis in die nahe Zukunft 2050 durchgeführt werden. Die regionalen Klimasimulationen wurden mittels der Eingangsdaten eines globalen Klimamodells mit einer Maschenweite von ca. 180 Kilometer über die Zwischenschritte mit 55 Kilometern und 11 Kilometern Maschenweite bis zur konvektionserlaubenden Maschenweite von 2,8 Kilometern gerechnet. Mittels statistischem Downscaling auf Basis eines hoch aufgelösten Beobachtungsdatensatzes konnte zudem der Einfluss der städtischen Wärmeinsel mitberücksichtigt werden. Als bioklimatischer Index für den Komfort im Freien wurde der sog. Universal Thermal Climate Index (UTCI) ausgewählt.

Ein virtuell erstellter Raum innerhalb eines Mehrfamilienhauses bildete die Grundlage für die Raumsimulationen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus den Probandenversuchen und der Einflüsse aus den Klimasimulationen.
Grafik: KIT

Teilbereich „PUTZ“

Nach eingehender Literaturrecherche konnten bezüglich des Gebäudebestands in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg die maßgebenden Wandaufbauten in Verbindung mit den dazugehörigen Putzsystemen identifiziert werden. Weiterhin wurden die relevanten bauphysikalischen Materialkennwerte ermittelt, die einen wesentlichen Einfluss auf das Raumklima ausüben. Nach der Implementierung der ermittelten Kennwerte in das Programmpaket WUFI Plus wurden für eine ausgewählte Raumgeometrie und -anordnung numerische Raumklimasimulationen durchgeführt. Es konnte hierbei gezeigt werden, dass die Art des sommerlichen Außenklimas sowie der genaue Standort des betrachteten Gebäudes in Baden-Württemberg einen entscheidenden Einfluss auf die Anzahl an unbehaglichen Stunden im betrachteten Raum haben. Eine deutliche Reduktion von unbehaglichen Stunden konnte durch Einsatz von Putzen, die ein hohes Sorptionsvermögen aufwiesen und deren Wärmeleitfähigkeit sowie Wärmespeicherkapazität größtmögliche realistische Werte annahmen, erzielt werden. In einer Parameterstudie wurden auf Grundlage von zwei Bewertungsansätzen die jeweiligen erfolgverheißendsten Putze identifiziert. Deren Leistungsfähigkeit konnte in allen Regionen von Baden-Württemberg erfolgreich bestätigt werden.

Im Vergleich mit Kennzahlen eines Anforderungsprofils zeigen die Projektergebnisse für die Parameter mit den behaglichsten Werten für den Innenraum Wertebereiche, die vergleichbar sind mit herkömmlichen Putzsystemen. Einzelne Werte sagen aber wenig darüber aus, ob ein neues Putzsystem technisch realisierbar ist. Deswegen wäre der nächste sinnvolle Schritt, die Werte des Anforderungsprofils zu kombinieren, um daraus ein neues Putzsystem zu entwickeln, was technisch und wirtschaftlich umsetzbar ist.

Beitrag erstellt am 9. Mai 2018

Der Vergleich einzelner Parameter des Anforderungsprofils des neuen Putzsystems zeigt, dass die zehn Werte, welche laut Raumsimulationen die meisten behaglichen Stunden haben, innerhalb des Wertebereichs herkömmlicher Putzsysteme liegen.
Grafik: KIT

Forschungssteckbrief

Die Ergebnisse entstanden im Rahmen des Projektes: "NaBau-9 raum/klima/putz - Leistungskriterien für wohnkomfortgerechte Wandbaustoffe unter Einfluss des Klimawandels in Baden-Württemberg", finanziert von der Baden-Württemberg Stiftung. Beteiligt an der Erstellung der Studie waren:

  • Benedict Brecht: Süddeutsches Klimabüro, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Department Troposphärenforschung, Karlsruher Institut für Technologie
  • Dr.-Ing. Michael Haist, Dr.-Ing. Michael Vogel und Martin Umminger: Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Karlsruhe, Karlsruher Institut für Technologie
  • Prof. Andreas Wagner und Michael Kleber: Fachgebiet Bauphysik & Technischer Ausbau, Karlsruher Institut für Technologie

Quellen

  • Kleber M. & Wagner A. (2017). Investigation of indoor thermal comfort in warm-humid conditions at a German climate test facility. Building and Environment, 128, 216-224. doi:10.1016/j.buildenv.2017.11.018
  • Kleber, M., Umminger, M., Brecht, B., Vogel, M., Haist, M., Müller, H. S., Schipper, J. W. & Wagner, A (2017). Leistungskriterien für Innenraumputze vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Nutzerkomforts. Bauphysik, 39(4), 234-244. doi:10.1002/bapi.201710026
  • Umminger, M., Kleber, M., Schipper, H., Haist M., Vogel, M., Brecht, B., Wagner, A. & Müller, H. S. (2016). Leistungskriterien für wohnkomfortgerechte Wandbaustoffe unter Einfluss des Klimawandels in Baden-Württemberg. In W. Jäger (Hrsg.), Mauerwerk-Kalender 2016: Baustoffe, Sanierung, Eurocode-Praxis (S. 547-551). Berlin: Ernst & Sohn.

Lesetipps

  • Süddeutsches Klimabüro, Website.