Handlungsoptionen: Vor Naturgefahren schützen

Smarte technische Textilien schützen Häuser bei Erdbeben

Erdbebenputze sind keine Utopie mehr. Technische Textilien können, in Verbindung mit Spezialputz, die Widerstandsfähigkeit von Gebäuden massiv erhöhen und sie bei leichteren Beben wirksam vor Schäden bewahren. Bei schweren Erschütterungen zögern besonders elastische Kunstfasern den Einsturz hinaus und retten Leben. Das Karlsruher Institut für Technologie entwickelte gemeinsam mit einem mittelständischen Unternehmen die Systemlösung EQ-Grid. Ein Tag reicht, um ein ganzes Einfamilienhaus erdbebensicherer zu machen.

Text: ESKP-Redaktion (Jana Kandarr)
Fachliche Durchsicht: Prof. Dr. Lothar Stempniewski

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • Ein neu entwickeltes technisches Textil erhält die Statik von Gebäuden bei kleineren Erdbeben.
  • Dabei stabilisieren Glasfasern das Mauerwerk bei kleineren Beben, ein Spezialputz gewährleistet zusätzliche Stabilität.
  • Entstanden ist die Systemlösung EQ-Grid als massentaugliches Produkt, das auch geeignet ist für Gebäude, deren Untergrund sich absenkt.

Durch Erdbeben allein kommt in der Regel niemand zu Schaden. Auf einem freien Feld müssten die wenigsten Menschen Erdbeben fürchten. Es machte daher in früheren Zeiten in Erdbebengebieten Sinn, in einfachen Hütten oder auch Zelten zu siedeln. Seit Menschen jedoch komplexere Häuser in Dörfern und Städten beziehen, hängt es zum großen Teil von der Erdbebensicherheit der Bauwerke und auch der Dichte der Bebauung ab, ob sie Opfer eines Erdbebens werden. Dann werden enge Gassen und Straßen häufig zur Falle. Doch wie Gebäude in den entscheidenden Momenten zusammenhalten und statisch sichern? Bislang versprachen wenige, wirklich massentaugliche Lösungen in genau den Momenten Schutz, in denen Gebäude angesichts der gewaltigen Einwirkung eines Bebens quer scheren und auseinander zu brechen drohen.

Das Problem: Es bedarf einer überaus intensiven Forschung, in welche die Expertise aus völlig unterschiedlichen Disziplinen einfließen muss, damit ein Produkt entsteht, welches die Statik eines Gebäudes erhalten kann. Ausgereifte aber auch erschwingliche Produktsysteme für den Katastrophenfall zu entwickeln, diese Aufgabe hatte sich deshalb ein Wissenschaftlerteam vom Karlsruher Institut für Technologie gesetzt. Der Kerngedanke dabei war, alle Wände eines Hauses zu aktivieren, anstatt zusätzlich einzelne, stabilisierende Elemente einzubauen. Die Stahlbetonbauer im Team von Prof. Dr. Lothar Stempniewski betraten mit der Forschung an technischen Textilien, die als eine Art 'Superputz' an Häusern angebracht werden sollte, auch fachfremdes Terrain.
 

Wie ein technisches Textil für Erdbeben entwickeln

Die Idee erschien zunächst recht simpel, doch die Raffinesse steckt im Detail. Der textile Fertigungsprozess gestaltete sich extrem anspruchsvoll und auch die Veredelung war eine große Herausforderung. Die miteinander verarbeiteten Gewebe wiesen in der ersten Entwicklungsphase noch sehr unterschiedliche Stoffeigenschaften auf. Was in der Verwendung der speziellen Wandfasern zur Stärke wird, bereitete den Forschern im Fertigungsprozess Kopfzerbrechen. So etwa die unterschiedliche Schmelztemperatur des Material-Mixes aus Glas- und Kunstfasern. Hier erwies sich die Zusammenarbeit mit Textilspezialisten als großer Glücksfall. Ein mittelständisches Unternehmen, das zusätzliche Mittel für die Entwicklung bereitstellte und sein Produktions-Know-How zur Verfügung stellt, entwickelte die besondere Prozedur. Das Ergebnis war die Herstellung eines markanten quadraxialen Textils. Mit einem neuen Veredelungsverfahren gelang es dem Unternehmen nach vielen Versuchen, der gerollten Meterware eine so gute Festigkeit zu verleihen, dass die Verarbeitung vor Ort einfach möglich ist. Das Textil sollte zwingend für die Serienproduktionen taugen und für Handwerker im Alltag problemlos handhabbar sein.

Nach einer intensiven Forschungsphase und mühsamer, sorgfältiger Kleinarbeit ist eine Systemlösung namens „EQ-Grid“ entstanden, welche den hohen Ansprüchen der Forscher Genüge leistet. Zwei Komponenten zeichnen das System aus: einerseits das technische Textil sowie andererseits der speziell darauf abgestimmte Putz. Erst durch die Kombination entfaltet „EQ-Grid“ seine wahre Stärke. 

Erdbeben – Wie man Gebäude davor schützt

Unterwegs in Risikoregionen: Wie verhalte ich mich bei einem Erdbeben?

Das Merkblatt „Erdbeben“ des Deutschen GeoForschungsZentrums gibt ausführliche Tipps, was im Falle eines Erdbebens zu tun ist. Wir haben einige wichtige Informationen daraus zusammengestellt, damit besondere Gefahrensituationen erkannt werden können und der Einzelne im Notfall richtige Entscheidungen treffen kann.

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Eine Stoffbahn für das ganze Haus: die Anbringung des technischen Textils

Die Aufbringung des technischen Textils ist denkbar einfach: Es wird - wie eine Art Gürtel - um das gesamte Haus herum über den Fenstern und Türen in einer einzigen Stoffbahn aufgebracht. An den verbleibenden Flächen des Mauerwerks werden die Textilbahnen überlappend und vertikal aufgestrichen. Den großen Nutzen erbringen im Ernstfall die Materialeigenschaften von zwei recht unterschiedlichen Fasern: da sind zum einem die hochalkaliresistenten Glasfasern und zum anderen die sehr elastischen Kunststofffasern. Daraus ergibt sich eine zweifache Sicherung gegen Beben, die je nach Stärke der Erschütterung greift. Die steiferen Glasfasern stabilisieren das Mauerwerk bei kleineren Beben und halten es zusammen, ohne dass sichtbare Schäden entstehen. Werden die Kräfte jedoch zu groß und zerreißen diese Fasern, übernehmen die hochelastischen Kunststofffasern. „Aufgrund ihrer deutlich höheren Dehnbarkeit - bis auf das Doppelte ihrer Länge - geben sie dem Gebäude Verformungsmöglichkeiten, halten jedoch die bröckelnden Mauerteile zusammen. Sie unterbinden den Einsturz oder verzögern ihn zumindest wirksam“, beschreibt Prof. Dr. Lothar Stempniewski, Leiter des Instituts für Massivbau und Baustofftechnologie den Wirkmechanismus. Putz und Textil federn insbesondere die Querbewegungen bei Erdbeben ab und nehmen die Energie des Bebens auf. Das verputzte Gewebe bildet eine feste, stabilisierende Schicht um das Mauerwerk und trotzt selbst extremen Belastungen.

Bewiesen werden konnten die erdbebensicheren Eigenschaften von „EQ-Grid“ in vielen wissenschaftlichen Experimenten: „Es hat noch kein Rütteltisch der Welt geschafft, unser System zu Bruch zu bringen“, berichtet Prof. Stempniewski stolz. Und es gibt noch einen riesigen Vorteil: Überall auf der Welt kann ein normales Einfamilienhaus innerhalb nur eines Tages verstärkt und erdbebensicherer gemacht werden. Das Erdbebengewebe und der darauf abgestimmte Putz werden inzwischen seit Jahren international vermarktet. Die Besonderheit ist, dass EQ-Grid nicht nur im Neubau einsetzbar ist. Vor allem für die Nachrüstung bestehender Bauten aber auch die Sanierung geschädigter Gebäude hat es sich bewährt. Die Gebäude werden bei kleinen und mittleren Erdbeben deutlich belastbarer und drohen nicht so schnell, einzustürzen. Doch nicht nur für Erdbeben taugt das System. Bodenabsenkungen sind ein weltweites Phänomen in Städten. In vielen Städten der Welt geht der Grundwasserspiegel aufgrund der Übernutzung der Ressource zurück. Infolgedessen sacken Böden und Gebäude ungleichmäßig ab. Auch hier greift EQ-Grid und erhält die Statik der Gebäude.

Aufgrund der Zusammenarbeit des KIT mit der Privatwirtschaft entstand eine Win-Win Situation. Die Gelder aus der Vermarktung kommen dem Karlsruher Institut zugute. So wird gleichzeitig sichergestellt, dass die Technologie nicht auf einem Entwicklungsstand verharrt, sondern fortwährend verbessert werden kann. Zukünftig soll der Erdbeben-Putz noch „schlau“ werden. Sensoren im Gewebe sollen dann direkt melden, wo genau potentielle Schwachstellen oder feinste Risse entstanden sind.

Beitrag erstellt am 9. Mai 2018

Weiterführende Informationen

  • FAQ: Helmholtz-Wissenschaftler beantworten häufig gestellte Fragen zum Thema Erdbeben. Link

  • Risikobewertung von Gebäuden: Das GFZ Mobile Mapping System (GFZ MOMA) ist ein mobiles batteriebetriebenes Kamerasystem für die Aufnahme von Gebäuden. Mit dem 3D-Bildmaterial kann eine seismische Risikobewertung der Gebäude erfolgen. Das System besteht aus einer omni-direktionalen Kamera, einem Laptop- und Batteriekoffer.