Visionen für Städte der Zukunft

Smart Urban Risks – Wie widerstandsfähig sind Smart Cities?

Das Paradigma „Fortschritt durch Technik“ besagt, dass smarte Systeme besser geeignet seien als der Mensch, um Städte – ebenso chaotische wie komplizierte Gebilde – zu regeln. Werden Städte der Zukunft allein durch Algorithmen gesteuert und organisiert? Sind Städte, die stark auf intelligente Informations- und Kommunikationstechnologien bauen, auch sozial verträglich? Welche Risiken birgt die Abhängigkeit von Technologie? Die Resilienzforschung sowie die Technikfolgenabschätzung beschäftigen sich mit offenen Fragen bezüglich der unterschiedlichen  Visionen des Smart-City-Konzepts. Sie stoßen dabei Diskurse an und schlagen Lösungen vor.

Text: Dr. Sadeeb Simon Ottenburger und Dr. Ulrich Ufer (KIT)

Das Konzept von Smart Cities verspricht Effizienzsteigerungen. Viel Strom könnte gespart werden, wenn beispielsweise smarte Straßenlaternen ihr Licht automatisch genau dann herunterdimmen, wenn gerade keine Autos auf der Straße fahren. Sie könnten gleichzeitig zu Ladestationen für elektrische Autos werden - oder als Zusatzaufgabe Fahrzeuge zählen, damit Planer den Verkehrsfluss optimieren können. All das wäre ein Beitrag zur Nachhaltigkeit von Städten. Eine weitere Hoffnung: Auch der Lebenskomfort in Städten könnte sich erhöhen, wenn digitale Technologien und Daten miteinander verknüpft werden und dadurch Stadtplanung und Stadtmanagement innovativer und besser werden. Dies geschieht mit Hilfe digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), also immer intelligenter vernetzten Computern, Smartphones und anderen digitalen Geräten und Programmen.

Aber werden diese Versprechen der Smart City tatsächlich eingelöst werden? Welche Risiken sind damit verbunden? Und lassen sich diese Risiken umgehen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Forscher aus der urbanen Resilienzforschung und der Technikfolgenabschätzung.

Zur Entwicklung des Konzepts der Smart City

Ein technisch geprägter Ursprung des ‚smart’-Begriffs findet sich in den IT-Innovationen der frühen 1990er-Jahre. Zunächst ging es darum, beispielsweise Stromsysteme weniger risikoanfällig zu machen. Die Systeme sollen sich selbst überwachen und regulieren. Nahezu gleichzeitig entwickelten Stadtplaner in den USA das Leitbild des „smart urban growth“, eines intelligenten städtischen Wachstums. Postindustrielle Städte sollten nicht weiter in die Breite wachsen und sich ins Umland ausdehnen, sondern räumlich verdichtet werden. Man wollte auf diese Weise die Städte bürger-, aber auch umweltfreundlicher machen.

Wenn heute von Smart Cities gesprochen wird, gehen beide Ursprünge des smart-Begriffs oftmals undifferenziert ineinander über. Hinzu kommen unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Mal stehen Umweltaspekte, mal technologische und ökonomische Innovation oder aber die Bürgerbeteiligung im Vordergrund. Viele Städte formulieren auch eigene Leitbilder. Sie orientieren sich dann wahlweise an der ökologischen, virtuellen, intelligenten, der wissensbasierten oder der mobilen Stadt. Dementsprechend vielfältig sind dann auch die Schlagworte, auf welche die Smart City Bezug nimmt: Eco City, Virtual City, Intelligent City, Knowledge City oder Humane City.

In den gängigen Visionen der Smart City werden also innovative digitale Technologien als wesentlicher Beitrag gesehen, um globale Umweltrisiken zu reduzieren (Souter et al. 2011). Aufgrund der angestrebten Nachhaltigkeit und Bürgernähe erhält die Smart City zudem das Label einer „guten Stadt“ und wird somit normativ legitimiert.

Allerdings: Welche Gefahren bergen die Transformationen, die auf Informations- und Kommunikationstechnologien fußen? Wird Technologie womöglich als ein Allheilmittel herangezogen, um unser gegenwärtig nicht nachhaltiges Leben tragfähiger zu gestalten? Werden nicht gleichzeitig soziale Folgen der technischen Innovation ignoriert bzw. soziale Faktoren der urbanen Widerstandsfähigkeit – z. B. Nachbarschaftshilfe oder Sharing Economy – unterbewertet? Und ist das Ganze überhaupt technisch machbar?

  • Die Anfälligkeit smarter Systeme steigt mit zunehmender Komplexität und Vielzahl der Komponenten.
  • Micro Grids können die Resilienz von smarten Städten verbessern.
  • Die Smartifizierung von Städten erfordert immense Investitionen. Künftig werden circa 80 Prozent der Investitionskosten für eine klimafreundliche Infrastruktur global in Städten anfallen.

Neue Risiken

Wenn wir heute von „Smartifizierung“ sprechen, ist damit vor allem der Prozess des massiven Ausbaus von Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen gemeint. Die Elektrifizierung und Automatisierung nimmt zu. Doch obwohl mit der Automatisierung und Elektrifizierung Risiken gemindert werden sollen, entstehen gleichzeitig (neue) Risiken – und dies gleich auf zwei Ebenen:

Zum einen entstehen neue Risiken, weil Risiken stets „kollektive Konstrukte“ sind (Douglas und Wildavsky 2010, 186), das heißt, Risiken sind keine für alle Zeiten feststehenden objektiven Größen. Vielmehr werden sie von Menschen immer wieder neu definiert, ausgewählt, abgeschätzt, wahrgenommen und kommuniziert. Zum Beispiel entstehen durch automatisiertes Fahren oder durch Stromverteilung in Smart Grids neue Risiken in der Verkehrs- oder Versorgungssicherheit. Allerdings sind Risiken stets unterschiedlich verteilt, sie können den einen mehr als den anderen betreffen. Bei der Aushandlung, wessen Risiken mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfahren und auch mehr Ressourcen zur Risikoabwehr erhalten, spielen Interessensgruppen und Machtkonstellationen eine wichtige Rolle. Hier lässt sich denken an die Abwägung von Risiken für Insassen autonomer Fahrzeuge gegenüber jenen von Fahrradfahrern oder Fußgängern, bzw. an die Risiken in Smart Grids, die Stromerzeuger, Großabnehmer oder Privathaushalte betreffen.

Zum anderen bringen technische Innovationen neue, im Vorfeld teils in der Tat unabsehbare technische Risiken mit sich. In der Folge kann die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Strom gefährdet sein (Ottenburger und Münzberg 2017) andere kritische Infrastrukturen können unter Umständen in Mitleidenschaft gezogen werden. Insgesamt machen wir uns stark abhängig von der Verfügbarkeit von elektrischem Strom eine verlässliche flächendeckende Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien ist Gegenstand aktueller Forschung.

"Kluge Netze" – Smart Grids

In einem Smart Grid muss eine enorme Anzahl technischer Komponenten zuverlässig zusammenspielen – Ausfall und Fehlverhalten einzelner Vorrichtungen kann zu erheblichen Funktions- bzw. Versorgungseinschränkungen führen. Gleichzeitig sind Smart Grids überdurchschnittlich abhängig von Informations- und Kommunikationstechnologie-Infrastrukturen. Diese Aspekte bedingen eine Vergrößerung der Angriffsfläche bzw. des Potentials für Betriebsstörungen dieser eigentlich intelligenten Stromnetze. Beispielsweise können kritische Komponenten bei extremer Wetterlage ausfallen. Auch das Risiko einer gezielten Störung durch Cyber-Angriffe ist gegeben. Das heißt: Diese zukünftigen Stromsysteme sind zwar intelligent, aber nichtsdestotrotz verletzlich.

Gleichzeitig können Smart Grids insbesondere bei oder nach Extremwetterereignissen und Erdbeben Großes leisten, wenn sie als kleinere Einheiten, sogenannte Micro Grids, unabhängig vom übergeordneten Netz betrieben werden. Diese Micro Grids speisen sich aus unterschiedlichen dezentralen Quellen und können, trotz massiver Störungen in den Übertragungsnetzen, eine kontinuierliche Stromversorgung wichtiger Infrastrukturen aufrechterhalten (Hurtt & Mili 2013). In Japan zeigte sich dies nach dem Fukushima-Erdbeben 2011 auf beeindruckende Weise. Während sich die Tsunami-Welle in die Hafenstadt Sendai acht Kilometer stadteinwärts wälzte und die Stromversorgung kollabierte, musste das Krankenhaus der Tohoku Fukushi Universität in der Stadt auf nichts verzichten. Wochenlang fiel in anderen Stadtquartieren der Strom aus, im Krankenhaus jedoch gab es keinerlei Versorgungsengpässe (Strickland 2011). Möglich wurde dies, weil ein ausgeklügeltes Micro Grid kontinuierlich ein Megawatt Strom produzierte. Der Strom-Mix bestand aus erneuerbaren Energien, natürlichem Gas und anderen fossilen Energien. Im kühlen März 2011 heizten darüber hinaus geothermische Anlagen zuverlässig das Krankenhaus.

Für alle Städte gilt als Maßstab für Resilienz: Je stabiler die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen und je besser die Selbsthilfe in Krisensituationen, desto erfolgreicher können die Städte mit Störungen bzw. Bedrohungen umgehen.

Ein demokratischer Weg zur Smart City

Das Paradigma „Fortschritt durch Technik“ besagt, dass smarte Systeme besser geeignet seien als der Mensch, um Städte zu regeln. Eignen sich Algorithmen besser, um Ordnung in das Chaos und in die Komplexität von Städten zu bringen? Einige Zukunftsvisionen der Smart City zeichnen das Bild einer völlig technisierten Stadt und verbinden diesen hohen Grad an Technisierung mit dem Versprechen, einen Beitrag zu den drängenden Problemen der Gesellschaft zu leisten: Verringerung des CO2-Ausstoßes, Schonung von Ressourcen und andere messbare Nachhaltigkeitsbeiträge. Aber was ist mit der sozialen und demokratischen Seite von Smart Cities? Bleiben diese Aspekte unberührt oder verändern sie sich auch?

Eine Smartifizierung von historisch gewachsenen Städten ist eine komplexe Herausforderung, insbesondere in demokratisch geprägten Gesellschaften. Denn eine Smart City greift tief in die Strukturen einer Stadt ein. Über die Transformation physischer Infrastrukturen hinaus verlangt sie auch eine Anpassung von sozialen Verhaltensweisen und bedingt vielleicht sogar Veränderungen der individuellen urbanen Psyche, wenn z.B. gegenseitige soziale Unterstützung oder auch die Durchsetzung von Eigeninteressen in immer stärkerem Maße technisch vermittelt bzw. an technische Systeme delegiert werden. Es stellt sich hierbei die Frage, ob sich urbane Kulturbrüche auf Knopfdruck herbeiführen lassen.  

Vergangene Großprojekte zur Umgestaltungen der Infrastruktur von Städten - wie Abwassersysteme, Eisenbahnanschlüsse oder die autogerechte Stadt - wurden alleine durch Planer und Behörden durchgeführt. In heutigen Demokratien wird jedoch die Zustimmung der Bürger zu solch tiefen Eingriffen in die Stadt immer wichtiger. Einwohner wollen aktiv und kritisch an der Entwicklung ihrer Stadt teilhaben, zum Beispiel in der globalen „Recht-auf-Stadt-Bewegung“ (Harvey 2012) oder im Zusammenspiel mit der Wissenschaft in urbanen „Reallaboren“. In letzteren werden Städte selbst zum „Versuchsort bzw. Labor“ und verschiedene Konzepte werden direkt in einem Stadtquartier erprobt (Parodi et al. 2016). Die Smart City wird sich auch mit aktuellen Fragen wie Chancengerechtigkeit, Bildungsangeboten, Integration und den Problemen der Gentrifizierung durch Zuzug zahlungskräftiger Eigentümer und Mieter auseinandersetzen müssen, d.h. mit der Frage „Wer hat Zugang zur Stadt?“ (Ufer 2015).

Anders verhält es sich bei neuen smarten Planstädten aus der Retorte, wie sie beispielsweise in Saudi-Arabien oder China umgesetzt werden. Hier wird dann erst im Nachhinein zu beobachten sein, welche Chancen und Risiken für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie für die urbane Demokratie aus einem grundlegend smartifizierten Umfeld erwachsen.

Smart Grids können insbesondere bei Extremwetterereignissen und Erdbeben Großes leisten.

Ökonomisierung des urbanen Lebens

Alle Debatten zwischen Technikoptimismus und -skepsis sollten eines nicht außer Acht lassen: Die Smartifizierung von Städten erfordert immense Investitionen. Künftig werden circa 80 Prozent der Investitionskosten für eine klimafreundliche Infrastruktur global in Städten anfallen. Allein in den USA gibt es rund 26 Millionen Straßenlaternen, die auf ‚smart‘ umgestellt werden könnten. Die Consulting Agentur Frost & Sullivan schätzt den globalen Smart-City-Markt im Jahr 2020 auf 1,56 Billionen US-Dollar. Wird die Schubkraft dieser ökonomischen Vision das Leitbild der „unternehmerischen Stadt“ gegenüber jenem der „sozialen Stadt“ oder der „ökologischen Stadt“ weiter privilegieren? Die gegenwärtigen Auswüchse des Finanzkapitalismus weisen eindeutig auf die Überakkumulation von globalem Kapital hin. Dies hat zur Folge, dass das überschüssige Kapital sich immer neue Wege sucht, um profitabel Geld zu vermehren. Somit müssen auch urbane Großprojekte wie die Smart City als Investitionsprojekte für renditesuchendes Kapital auf ihre sozialen Folgen hin untersucht werden. Public-Private-Partnerships, wie zwischen Rio de Janeiro und IBM oder Duisburg und Huawei zeigen hier erste Tendenzen, wie die Smart City zum liberalen Markt für globales Kapital werden kann. Allerdings müssen wir fragen, welche sozialen Auswirkungen eine fortschreitende Ökonomisierung der Stadt haben wird. Zum Beispiel besteht das Risiko, dass eine liberalisierte und für eine unbeschränkte Anzahl von wirtschaftlichen Akteuren zugängliche Strombörse durch die Profitinteressen privater Marktakteure manipuliert werden könnte oder dass durch extrem ungleich verteilte Marktanteile die allgemeine Versorgungssicherheit gefährdet wird.

Ausblick

Am Beispiel von Smart Grids und anderen innovativen Automatisierungen ist erkennbar, dass neue technische und soziale Risiken entstehen, wenn neue Technologien in die Gesellschaft eingeführt werden. Allerdings fehlt in den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten über die Smart City bisher weitgehend eine entsprechende Sensibilität für diese neu entstehenden Risiken, insbesondere für die sozialen Folgen technischer Innovationen. Welche nicht-technologischen Antworten braucht es auf Fragen der Nachhaltigkeit und sozialen Widerstandsfähigkeit von Smart Cities? Die Resilienz von Smart Cities ist nicht die Summe der Widerstandsfähigkeit einzelner smarter Infrastrukturen, sondern das Spiegelbild eines gesamtheitlichen, sowohl infrastrukturell-technisch wie auch sozial differenzierten Risikobewusstseins zukünftiger urbaner Gesellschaften. 

Beitrag erstellt am 8. Mai 2018

Einwohner wollen aktiv und kritisch an der Entwicklung ihrer Stadt teilhaben.

Quellen

  • Douglas, M. und A. Wildavsky (2010): Risk and Culture: An Essay on the Selection of Technological and Environmental Dangers. 1. paperback printing, 1983, [Nachdr.]. Berkeley, Calif.: Univ. of California Press.
  • Harvey, D. (2012): Rebel Cities. From the Right to the City to the Urban Revolution. New York: Verso.
  • Hurtt, J., und L. Mili (2013): Residential microgrid model for disaster recovery operations. In 2013 IEEE Grenoble Conference, pp. 1–6
  • Ottenburger, S. und T. Münzberg (2017): An Approach for Analyzing the Impacts of Smart Grid Topologies on Critical Infrastructure Resilience. 14th ISCRAM Conference Proceedings
  • Parodi, O., Meyer-Soylu, S., Trenks, H. und A. Seebacher (2016): „Das Reallabor als Partizipationskontinuum. Erfahrungen aus dem Quartier Zukunft und Reallabor 131 in Karlsruhe“, Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis, 25 (3): 31–40.
  • Souter, D., MacLean, D., Okoh, B., Creech, H. (2011): ICTs, the internet and sustainable development: towards a new paradigm. International Institute for Sustainable Development
  • Strickland, E. (2011): A Microgrid That Wouldn’t Quit. Link
  • Ufer, U. (2015): „Urban Access. Contested Spaces and Contested Politics“. Focaal 2015 (72): 64–77

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