Forschungsmethoden

Smart Air Quality Network: Der gesündeste Weg zur Arbeit

Die Feinstaubdebatte ist in aller Munde. Um die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen, braucht man hochauflösende Daten. In einem neuen Forschungsprojekt wird an einer vernetzten mobilen Messstrategie gearbeitet, um schnell und pragmatisch Ergebnisse zu erhalten.

Text: Dr. Till Riedel

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • Luftqualität ist für viele Stadtbewohner ein entscheidender Gradmesser für Lebensqualität.
  • Luftverschmutzung wird in unseren Städten immer noch an nur wenigen Punkten gemessen.
  • Das Projekt SmartAQnet fügt erstmalig viele existierende Datensätze zusammen und verbindet sie mit einer vernetzten mobilen Messstrategie.

Luftqualität und die damit verbundene subjektive und gesundheitsbezogene Lebensqualität für jeden Einzelnen sind eines der großen Gegenwartsthemen. Der unsichtbare Feinstaub scheint gefährlicher für unser Leben zu sein als manch offensichtliche Gefahr, etwa im Straßenverkehr. Zu Recht fordert die Bevölkerung effektive Maßnahmen. Für viele Städte ist es jedoch schwierig, Maßnahmen zu ergreifen, die an heutigen Mobilitäts-, Wohn- und Arbeitsbedürfnissen ausgerichtet sind. Dies hängt nicht alleine an Zielkonflikten wie beispielsweise der Frage der wirtschaftlichen Auswirkung von Fahrverboten. Hilft eine Umleitung des Verkehrs und wem? Werden im Gegenzug andere Bewohner zusätzlich belastet? Welchen Einfluss hat der Holzofen meines Nachbarn auf meine Gesundheit? Wenn die Diskussion um diese wichtigen Fragen mehr von Meinungen als von Fakten geprägt ist, stellt sich die Frage, warum die Wissenschaft keine eindeutigen Grundlagen schaffen kann. Um die komplexen Zusammenhänge im Stadtgefüge wissenschaftlich fundiert besser zu verstehen, bräuchte es oft hochauflösende Daten. Das interdisziplinäre Projekt SmartAQnet strebt dies mit neuartigen Mitteln an. Und die Bevölkerung hilft dabei mit.

Immer noch wird die Luftverschmutzung in unseren Städten nur an wenigen Punkten gemessen. Dabei wären mittlerweile vielversprechende kostengünstigere Messansätze verfügbar. Die durch Bevölkerung organisierten Feinstaubmessungen in Stuttgart, die mittlerweile zu einer deutschlandweiten Graswurzelbewegung geworden sind, zeigen auf den ersten Blick die Machbarkeit einer kostengünstigen flächendeckenden Erfassung unter Beteiligung der eigentlich Betroffenen. Die Sensoren messen jedoch oft Nebel oder den Zigarettenrauch des Nachbarn auf seinem Balkon. Aber ist die eine hochgenaue Messung von Feinstaub wirklich besser als tausende schlechte?

Was wäre wenn sich in der Zukunft herausstellen würde, dass Messungen wichtig gewesen wären, um Erklärungen für Krankheiten oder Umwelteffekte finden zu können? Erfassen nach wissenschaftlichen Standards entwickelte und betriebene hochgenaue Messinstrumente heute wirklich das, was für die momentane gesellschaftliche Debatte wichtig ist? Ist es besser, auch nur das zu messen, was wir zum Zeitpunkt der Messung kontrollieren konnten? Auch in der Wissenschaft mehren sich die Stimmen, dass man andere Ansätze braucht, um komplexe, feingranulare Effekte gerade in komplexen Systemen wie einer Stadt zu erfassen – unter realisierbaren Kosten.

Auch wenn Feinstaub in der Wissenschaft nicht eine ganz so abstrakte, unsichtbare Materie darstellt, so sind die Eigenschaften und Gefahren gerade in ihrer Wechselwirkung noch lange nicht ausreichend erforscht. Das Helmholtz-Zentrum München hat signifikante Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Diabetes gefunden. Ohne eine langfristige Analyse von Daten wäre dies nicht möglich gewesen: Daten aus Blutproben glichen die Forschenden mit den Luftschadstoffkonzentrationen am Wohnort der Probanden in Augsburg ab, die sie mittels Vorhersagemodellen basierend auf wiederholten Messungen an 20 bis 40 Standorten in Stadt und Umland geschätzt hatten. Solche wichtigen Forschungen sind mit einem hohen Aufwand und viel Vorbereitung verbunden. Könnten solche Erkenntnisse zukünftig nicht aus vorhandenen großen Datenmengen mit künstlicher Intelligenz geschöpft werden – überall in der Welt?

Das Projekt SmartAQnet erstellt ein verteiltes Feinstaubmessnetz in Augsburg mit unterschiedlichsten Sensoren. Grafik: KIT

Big-Data-Architektur zur Verarbeitung verschiedenster Datenquellen. Grafik: KIT

Während in der Vergangenheit oft komplexe simulierte Ausbreitungsmodelle auf Basis weniger hochgenauen Messungen im Vordergrund standen, liegt dem Verbundprojekt SmartAQnet ein pragmatischer, datengetriebener Ansatz zugrunde. Er fügt erstmalig viele existierende Datensätze zusammen und verbindet sie mit einer vernetzten mobilen Messstrategie. Die Verbindung von offenen Daten, Wetterdaten, Bebauungsplänen oder Satellitendaten mit neuen mobilen Messansätzen soll neue Möglichkeiten zum Abgleich und zur Verbesserung der Daten bieten. Flächendeckende Intensivmesskampagnen unterstützt von der Bevölkerung sollen im Laufe des Jahres 2018 in Augsburg erprobt werden. Dabei sollen auch Drohnen zum Einsatz kommen. Durch höhere zeitliche und räumliche Auflösungen der Daten und Vorhersagen könnten dann beispielsweise Empfehlungen für die tagesaktuell gesündeste Fahrradstrecke zur Arbeit möglich werden.

Forschungsstreckbrief

Um solche neuen Ansätze nachhaltig und plausibel zu entwickeln, ist ein interdisziplinäres Team aus Epidemiologie, Aerosol-Chemie, Meteorologie, Geographie und Informatik wichtig. Im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wird für drei Jahre ein Konsortium gefördert mit dem Ziel, eine über das Konsortium hinaus offene Datenplattform für Augsburg zu entwickeln. Das Konsortium wird vom Karlsruher Institut für Technologie geleitet und umfasst neben Forschungseinrichtungen wie dem Helmholtz-Zentrum München und der Universität Augsburg mit der Aerosol Akademie und dem Messgerätehersteller Grimm auch Experten aus der Industrie. Die angestrebte digitale Infrastruktur soll insbesondere für die Stadt Augsburg, die das Projekt unterstützt, genug Mehrwert liefern (beispielsweise für Planung von Bebauung und Verkehr), damit der Datenbestand über die Projektzeit hinaus stetig anwachsen kann und so auch Grundlage für weitere Forschung zum Wohle aller bilden kann.

Beitrag erstellt am 9. Mai 2018

Quellen

  • Projektseite SmartAQnet. Link