Forschungsmethoden

Forschende Straßenbahn – der Luftbelastung auf der Spur

Mehr als 6.200 Mal pendelten speziell präparierte Straßenbahnen zwischen Karlsruhes Innenstadt und dem Umland. Dabei sammelte die AERO-TRAM unablässig hochaufgelöste Daten: zu Feinstaub, Stickoxiden, Temperatur, Feuchte, aber auch zu Ozon, welches sich in Verbindung mit Abgasen bildet. Die Ergebnisse der Messungen zeigen beispielsweise auf, ab welchen Windgeschwindigkeiten mit einer geringeren Schadstoffbelastung in der Stadt zu rechnen ist. Ähnliche Systeme könnten in Zukunft auch in anderen Ballungszentren zum Einsatz kommen.

Text: ESKP-Redaktion 
Fachliche Durchsicht: Dr. Julia Hackenbruch, Dr. Bernhard Vogel

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • Mit der AERO-TRAM wurde erstmals über einen langen Zeitraum hinweg die hochaufgelöste räumliche Verteilung von Partikeln und Stickoxiden in einem städtischen Ballungsraum gemessen.
  • Es wurde festgestellt, dass die hohen Stickoxid- und Partikelwerte an Verkehrsknotenpunkten beim Einfahren in die Fußgängerzone schnell und stark zurückgehen.
  • Die Stickoxid-Konzentrationen sinken zudem schnell beim Übergang von Innenstadt zu Umland.

Wie beeinflusst die zunehmende Urbanisierung und damit verbunden das steigende Verkehrsaufkommen unseren Lebensraum und die Luftqualität? Feinstaub, Stickoxide und Ozon sorgen in städtischen Ballungsräumen immer wieder für heftige Diskussionen, sind ihre negativen Auswirkungen auf die Gesundheit doch inzwischen belegt.

Um valide wissenschaftliche Daten über lange Zeiträume hinweg zu erhalten, entwickelte das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Kooperation mit der Karlsruher Verkehrsbetriebe GmbH die sogenannte AERO-TRAM. Dabei handelt es sich um ein mit Forschungshightech gespicktes mobiles Labor, das automatisierte Langzeitmessungen der Spurengase O3, NO, NOx, CO, CO2, H2O(g) sowie Feinstaubuntersuchungen hinsichtlich Gesamtpartikelanzahl und Partikelanzahlgrößenverteilung erlaubt. Die Forschungsstraßenbahn sammelte von 2009 bis 2017 auf 6.228 Messfahrten auf den Linien S1 und S2 Daten zu Schadstoffkonzentration, relativer Feuchte und Temperatur. Dabei konnten die Messgeräte vier Wochen lang völlig autark arbeiten. Selbst die Vibrationen der Straßenbahn oder riesige Lufttemperaturunterschiede konnten den Messgeräten nichts anhaben. Ob Vereisung, heftiger Niederschlag oder extreme Hitze, die Messungen wurden zuverlässig gewährleistet.

Erstmals wurden so in einem städtischen Ballungsraum mit einem Tram-System hochaufgelöste räumliche Verteilungen von Partikeln und Stickoxiden – wie sie etwa im Straßenverkehr oder bei Verbrennungsprozessen entstehen – kontinuierlich über einen so langen Zeitraum gemessen. Mit Partikeln sind dabei kleinste Schwebeteilchen (Aerosole) wie Ruß oder Feinstaub gemeint, die aus vielfältigen natürlichen und vom Menschen verursachten Quellen stammen. Eine besondere Herausforderung für die Wissenschaftler: Bei der Konfiguration der Forschungsumgebung kam es darauf an, dass die Einlasssysteme für die gemessene Luft unbeeinflusst vom Körper der Bahn, der Anströmrichtung oder der Geschwindigkeit der Bahn arbeiten. Zudem durften keine Partikel verloren gehen.

Dank der Messungen mit der AERO-TRAM steht den Wissenschaftlern des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphäre (IMK-TRO) nun ein außergewöhnlicher und umfangreicher Datensatz zur Verfügung. Dieser erlaubt es, die Luftbelastung der Karlsruher Innenstadt sowie des Umlands in Abhängigkeit von Wetterbedingungen, Jahreszeiten und Verkehrsaufkommen darzustellen und zu interpretieren. Beispielsweise treten vor allem im Winter Wetterlagen auf, bei denen sich Luftmassen kaum austauschen. Das führt dazu, dass die Konzentrationen direkt ausgestoßener Luftschadstoffe wie Rußpartikel und Stickoxide in dieser Jahreszeit besonders hoch sind. „Dagegen erreicht Ozon seine höchste Konzentration im Sommer, weil es bei photochemischen Prozessen entsteht, also solchen, für die Sonnenlicht erforderlich ist“, erläutert Projektleiter Dr. Bernhard Vogel die Zielrichtung des Projekts. Es geht darum, diese Prozesse besser zu verstehen und den Einfluss meteorologischer Parameter auf die Konzentrationsverteilungen – wie Niederschlag, Temperatur, Wetterlage – zu quantifizieren. Zudem will man die Wirkung von Emissionsminderungsmaßnahmen besser abschätzen können.

MOBILAB zur Messung von Spurenstoffen

Wie hoch ist die Schadstoffbelastung in einer Stadt und wie ist die Belastung kleinräumig verteilt? Für die Messkampagnen zur Luftqualität in deutschen Städten ist auch das neue mobile Messlabor MOBILAB aus dem Forschungszentrum Jülich im Einsatz.

Es handelt sich um einen umgebauten Transporter, der mit einer umfassenden Gasphasen- und Partikelanalytik ausgestattet ist, die zeitlich hochaufgelöste Messungen ermöglicht. Mit ihm können aussagefähige Daten gewonnen werden, die beispielsweise der Validierung bestehender Modelle der Schadstoffverteilung dienen.

Es können mit dem MOBILAB selbst feinste Schadstoffverteilungen erfasst werden wie zum Beispiel die Abgasfahnen einzelner Fahrzeuge. Zudem lassen sich während einer Messfahrt wesentlich schneller Kohlenwasserstoffe sowie Kohlen- und Stickstoffdioxid erfassen. Neu ist auch ein Messgerät für das starke Treibhausgas Methan, das unter anderem aus Gülle und der industriellen Massentierhaltung stammt.

Ergebnisse auch für andere Ballungsräume nutzbar machen

Nun arbeitet das Forscherteam daran, die Karlsruher Messergebnisse mit einem am KIT entwickelten Computermodell für andere Städte abzubilden, für die keine vergleichbaren mobilen Messungen vorliegen. Das bedeutet, das Messsystem ist so konzipiert, dass es prinzipiell auch auf andere Ballungsgebiete übertragbar ist. Zudem können die gewonnenen Daten zur Bewertung der Repräsentanz vorhandener fester Messstellen und zur Festlegung geeigneter neuer Messstellen beitragen. Sie liefern somit einen wertvollen Datensatz für die Validierung von numerischen Simulationsmodellen.

Beispielsweise wurde festgestellt, dass die hohen Stickoxid- und Partikelwerte an Verkehrsnotenpunkten beim Einfahren der Bahn in die Fußgängerzone schnell und stark zurückgehen. Im Mittel bleiben sie aber über den Werten des städtischen Umlands. Die Forscher stellten zudem fest, dass Partikelanzahl und Stickoxidkonzentrationen von der Windrichtung weitgehend unabhängig sind. Jedoch: je stärker der Winter bläst desto besser, denn bei geringen Windgeschwindigkeiten sind die Werte im Mittel um 50 Prozent höher als bei starkem Wind.

Zudem zeigen die Daten, dass im Vergleich zu den Partikelzahlen die Stickoxid-Konzentration beim Übergang von der Innenstadt zum Umland wesentlich schneller sinkt. So betrug die Abnahme beim Stickoxid 70 Prozent, während der Rückgang der Konzentration an Feinstaubteilchen nur 50 Prozent betrug. Es wurde auch ein Gebiet in ländlicher Umgebung gefunden, in dem sich die Partikelzahlen wieder erhöhten und Werte erreichten, die mit dem Stadtbereich vergleichbar sind. Die Stickoxidwerte stiegen dort aber nicht an. Solche Hotspots können wir mit weit verteilten Messstationen nicht erfassen“, so Projektleiter Dr. Bernhard Vogel. Als Quelle der hohen Partikelzahlen konnten die Wissenschaftler Industrieemissionen in etwa fünf bis zehn Kilometern Entfernung ausmachen. Aufgrund dieser Ergebnisse fand im Gebiet dieser erhöhten Partikelkonzentrationen Jahr 2016 ein Anschlussexperiment statt. Es hatte zum Ziel, die chemische Zusammensetzung der Partikel detailliert zu erfassen, um die Quellzuordnung auf eine bessere Basis zu stellen und zu untermauern. Die Auswertung dieser Kampagne dauert noch an.

Die Messungen der Temperatur sowie der relativen Feuchte sind inzwischen ausgewertet und erlauben, kleinräumige Unterschiede sowohl zwischen Stadt und Umland als auch innerhalb des bebauten Gebietes zu erfassen. Die Temperaturunterschiede zwischen Stadt und Umland beschreiben die städtische Wärmeinsel in Karlsruhe. So zeigte sich, dass die höchsten Temperaturunterschiede zum Umland im direkten Innenstadtbereich auftraten. Besonders während der Nacht kann es dort mehrere Kelvin wärmer sein als im Umland. Die bei Fahrten im Sommer gemessene kleinräumige Temperatur- und Feuchteverteilung lässt Rückschlüsse auf die mögliche Belastung der Bevölkerung durch Hitze und Schwüle im Stadtgebiet zu. Diese Ergebnisse können die Stadtplanung unterstützen, besonders belastete Bereiche zu identifizieren und mögliche Maßnahmen zur Milderung dieser Belastung zu entwickeln.

Beitrag erstellt am 9. Mai 2018

Quellen

  • Hagemann, R., Corsmeier, U., Kottmeier, C., Rinke, R., Wieser, A. & Vogel, B. (2013). Spatial variability of particle number concentrations and NOx in the Karlsruhe (Germany) area obtained with the mobile laboratory ‘AERO-TRAM‘. Atmospheric Environment, 94, 341-352. doi:10.1016/j.atmosenv.2014.05.051

Weiterführende Informationen

  • Pressemitteilung: „Zurück im Depot: AERO-TRAM schließt Messungen ab“. Link
  • Pressemitteilung: „Stickoxide in Düsseldorf: Neue Daten zeigen, wie die Schadstoffe verteilt sind“, Forschungszentrum Jülich, 02.05.2018. Link