Stadtklima und Lebensqualität
Städte wärmer als ihr Umland
- Baulich hoch verdichtete Städte stehen besonders unter Druck.
- Schon heute zeigt sich für Berlin, dass die Gebiete im Kernbereich des S-Bahn-Rings im Durchschnitt 5 Grad Celsius wärmer als das Berliner Umland sind.
- Luftreinhaltungsmaßnahmen könnten mancherorts den Wärmeinsel-Effekt verstärken.
Der Klimawandel macht auch Städte heißer. Auf einer interaktiven Karte hat Climate Central, eine unabhängige Organisation von Forscherinnen und Forschern, gemeinsam mit der World Meteorological Organization (WMO) eine interaktive Karte veröffentlicht, die zeigt, wie sich bis zum Jahr 2100 die Klimazonen für die großen Städte dieser Welt verschieben werden.
Bukarester Verhältnisse in Berlin
Berlin wird dann voraussichtlich in der Klimazone liegen, in der sich heute Bukarest befindet, mit einem sommerlichen Temperaturanstieg in Spitzenzeiten von circa 22,1 Grad Celsius auf 28,1 Grad Celsius. Madrid könnte Temperaturen erleben wie heute Erbil im Irak, verbunden mit einem Temperaturanstieg von 28,9 Grad Celsius heute auf dann maximal mehr als 36 Grad Celsius. Und für Städte, die heute schon in heißen Klimazonen liegen, wie Riad in Saudi-Arabien, wird ein maximaler Temperaturanstieg auf 48 Grad Celsius erwartet. Aktuell gibt es keinen Ort auf der Erde, der im Mittel so heiß wäre. Die Karte zeigt: Alle Städte müssen sich unter Hochdruck aktiv anpassen, um die Lebensqualität zu erhalten und mögliche gesundheitliche Schäden für Bewohnerinnen und Bewohner so gering wie möglich halten. Wie das für Städte aussieht, die bereits heute in Extremgebieten liegen, ist dabei jedoch offen.
Sommerlicher Hitzestress und Patientenaufnahmen in Krankenhäusern
Baulich hoch verdichtete Städte stehen dabei besonders unter Druck. Schon heute zeigt sich für Berlin, dass die Gebiete im Kernbereich des S-Bahn-Rings im Durchschnitt 5 Grad Celsius wärmer sind als das Berliner Umland. Je nach Stadt, können die Temperaturunterschiede sogar bis zu 10 Grad Celsius betragen, gemessen dann vor allem in der Nacht. In einer Studie zum Zusammenhang von sommerlichem Hitzestress, Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Berlin konnte gezeigt werden, dass die Risiken sowohl für krankheitsbedingte Patientenaufnahmen als auch für Sterbefälle im Krankenhaus ab einer hohen Wärmebelastung von circa 35 Grad Celsius stark ansteigen. Säuglinge, Kinder, ältere und kranke Menschen sind besonders betroffen. Die EuroHEAT-Studie der Weltgesundheitsorganisation untersuchte für die Hitzewelle im Jahr 2003 in mehreren europäischen Ländern die sogenannte Übersterblichkeit, das heißt die zusätzlich auftretenden Todesfällen, die über das normale Maß hinausgehen. Mit 50.000-70.000 zusätzlichen Todesfällen erwies sich diese Extremwetterlage als überaus bedeutend und kam einer Naturkatastrophe schon sehr nahe.
Indiens urbane Bevölkerungsexplosion
Im Gegensatz zu Europa, wo knapp drei Viertel der Bevölkerung Städter sind, leben zum Beispiel in Indien erst 32 Prozent Menschen in einer Stadt. Dies wird sich Prognosen nach bis 2050 drastisch ändern. Die urbane Bevölkerung wird bis 2050 um Zweidrittel zunehmen. 90 Prozent des Städtewachstums wird sich in Afrika und Asien vollziehen, dies oft in Klimazonen mit ohnehin hoher thermischer Belastung. Mumbai wird aller Voraussicht nach die Stadt mit dem größten absoluten Bevölkerungszuwachs der Welt sein. Aufgrund der Temperaturniveaus der Großstädte auf dem indischen Kontinent sind selbst geringfügig höhere Temperaturen relevant. In weiten Teilen Indiens herrscht tropisches Savannenklima, teils tropisches Monsun- bzw. Steppenklima. Sommer und größte Hitze treten in Indien allem in den Monaten April und Mai auf. Im Jahr 2016 kletterten die Temperaturen beispielsweise in Jaisalmer, einer Stadt im Nordwesten Indiens, auf unsägliche 52,4 Grad Celsius – selbst für Indien ein Rekordwert. Auch viele größere, indische Städte kämpfen schon heute mit hoher Wärmebelastung.
Hinzu kommt, dass einige Bevölkerungsgruppen in Indien – momentan sind es knapp ~25 Prozent – keinen Zugang zu Elektrizität haben. Sie sind besonders betroffen, da sie nicht einmal kleinere Ventilatoren einsetzen können. Allein in Ahmedabad, der fünftgrößten Stadt Indiens, kamen im Jahre 2010 bei einer Hitzewelle mehr als 1300 Menschen ums Leben. Eilig folgten die ersten politischen Gehversuche mit Hitzeaktionsplänen.
Welche Rolle spielt das Umland einer Stadt?
Ob Delhi oder New York City: Für zahlreiche Städte konnte bereits nachgewiesen werden, dass der Versiegelungsgrad und die Ausprägung der nächtlichen Wärmeinseln eng zusammenhängen. Bislang wird jedoch der Effekt des Umlandes auf die Ausprägung der Wärmeinsel innerhalb der Städte nicht gut verstanden. Wissenschaftler nahmen den Einfluss des Umlandes genauer unter die Lupe, denn Indien ist - neben China und Nigeria - das Land, welches sich mit dem größten Zuwachs an Stadtbevölkerung weltweit rechnen muss. Im Team mit Dr. Rahul Kumar wurden für die Untersuchungen 89 der 100 geplanten indischen Smart Cities ausgewählt. Mehr als die Hälfte dieser Zukunftsstädte sind im Umland landwirtschaftlich geprägt. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass die vorhandene Feuchtigkeit in der Vegetation bzw. ganz besonders die Bewässerung der Felder im Umland stark bestimmt, ob die Stadt in der Nähe zur „Kälte-“ oder Wärmeinsel wird.
Es klingt wie ein Paradox, doch tagsüber und vor der Regenzeit ist die Mehrheit der indischen Städte kühler als ihr Umland – wenn auch nur ein wenig. Im Trend sind die Städte dort Kälteinseln – und sie bleiben es in den ariden (wüstenähnlichen) und semi-ariden Gebieten auch. Dort jedoch, wo intensiv bewässert wird, ist die Kernstadt tagsüber wie auch nachts heißer als ihr Umland. Im Umland kann Wasser verdunsten und wirkt kühlend. Die Art der landwirtschaftlichen Bewässerung und Nutzung hat also einen ganz entscheidenden Einfluss auf das Temperaturgefälle zwischen Stadt und Land. Besonders gut konnten die Wissenschaftler den Effekt am Beispiel der Anbauzyklen zeigen. So wurden mit dem Ende der Erntezeit („Rabi Season“, von Oktober bis März) und dem damit einhergehenden massiven Rückgang der Vegetationsbedeckung unmittelbar in den darauffolgenden Monaten nahezu alle Städte nachts zu Hitzeinseln. Genau diese saisonalen Unterschiede im Jahresverlauf müssen in Indien noch besser beobachtet und verstanden werden.
Luftreinhaltung verstärkt potentiell den Wärmeinsel-Effekt
Die Studie zu indischen Smart Cities deutet des Weiteren darauf hin, dass Aerosole (Messung der „Aerosol Optical Depth“), indirekt also die Luftverschmutzung, eine weitere wichtige Rolle bei der „Kühlung“ der Stadtzentren spielen. Dies, da das Sonnenlicht reflektiert wird und nicht mehr so stark durchdringt. Aerosole sind kleinste Schwebeteilchen in der Luft, die beispielsweise durch Verbrennungsmotoren freigesetzt werden. Für Indien besonders fatal: Am Ende könnten Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität dazu führen, dass sich der Hitzestress in den Innenstädten noch verschärft. In unserem ESKP-Themenspezial werden einige Ansätze aufgezeigt wie Stadtplaner die Ausprägung der urbanen Wärmeinsel abmildern können.
Beitrag erstellt am 8. Mai 2018
Alle Städte, die laut Prognosen der UN bis 2030 zu Megacities (> 10 Mio Einwohner) werden:
- Ahmedabad, Indien
- Bangkok, Thailand
- Bogotá, Kolumbien
- Chengdu, China
- Dar es Salaam, Tanzania
- Ho Chi Minh City, Vietnam
- Hyderabad, Indien
- Johannesburg, Südafrika
- Lahore, Pakistan
- Luanda, Angola
Quellen
- Kumar, Ra., Mishra, V., Buzan, J., Kumar, Ro., Shindell, D. & Huber, M. (2017). Dominant control of agriculture and irrigation on urban heat island in India. Scientific Reports, 7:14054. doi:10.1038/s41598-017-14213-2
- Mazdiyasni, O., AghaKouchak, A., Davis, S. J., Madadgar, S., Mehran, A., Ragno, E., ... Niknejad, M. (2017). Increasing probability of mortality during Indian heat waves. Science Advances, 3(6):e1700066. doi:10.1126/sciadv.1700066
- United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2014, 10. Juli). 2014 revision of the World Urbanization Prospects [www.un.org]. Abgerufen am 12.11.2019.
Weiterführende Informationen
- Erderwärmung: Handeln lohnt sich. Bericht zum IPCC 2018 (ESKP-Artikel)