Editorial
Metropolen unter Druck
Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten und jeder fünfte Erdbürger in einer Millionenmetropole. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) prognostiziert, dass innerhalb weniger Jahrzehnte weitere 2-3 Milliarden Menschen vom Land in die Stadt drängen werden. Stadtforscher sprechen vor diesem Hintergrund von einer "urbanen Wende", einem "Umzug der Menschheit" oder dem "Jahrtausend der Städte".
Die zunehmende Urbanisierung ganzer Regionen vollzieht sich dabei so schnell, dass es immer schwieriger wird, sie mit den bisherigen Instrumenten zu steuern. Häufig werden bereits heute die Nachhaltigkeitsziele des schonenden Ressourcenverbrauchs und der Zukunftsvorsorge in Städten so drastisch unterlaufen, dass es naheliegend ist, sie eher als Orte 'nachlässigen' denn nachhaltigen Handelns zu betrachten.
Der Druck in den Metropolen steigt, Wachstum umweltverträglicher zu gestalten und die Lebensqualität für die Menschen zu erhalten. Hierzu sind innovative Ansätze und neue Strategien gefragt, um Antworten auf die zentralen Fragen zu finden, die mit dem Boom der Städte verbunden sind.
Im Jahr 2050 werden 6,3 Milliarden Menschen in Städten leben. (UN)
Was bedeutet ein rasantes Städtewachstum und Bauen vor dem Hintergrund von Naturgefahren? Wie können Frühwarnsysteme Städte schützen? Wie lässt sich die Entwicklung der Städte begleiten oder steuern? Dies auch hinsichtlich einer akzeptablen Luftqualität, die für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Stadtbewohnern essentiell geworden ist. Wie wirkt sich der Städteboom auf die Verfügbarkeit der Ressourcen Sand und Wasser aus? Welchen Beitrag leistet die Forschung in den Helmholtz-Zentren zur Abmilderung und Bewältigung der Folgen des Klimawandels? Dieses ESKP-Themenspezial zeigt einige Handlungsoptionen und Ansätze auf, die international, aber auch in Deutschland erkundet werden, um die Widerstandsfähigkeit von Städten zu erhöhen. Begleitet wurde das Themenspezial von zahlreichen Autoren, Wissenschaftlerinnen und Fachexperten, die Know-how und ihre Ideen eingebracht haben.
Das Themenspezial stützt sich auf die Expertise von Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ), des Climate Service Center Germany (GERICS), welches am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) angesiedelt ist, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen und spannende Einsichten.
Ihre ESKP-Redaktion im Mai 2018.
Naturgefahren und Städte
Megastädte, zerbrechliche Gebilde
Megacities wie Istanbul, Lagos oder Jakarta sind riesige Ballungsräume. Häufig bilden sie die ökonomische Herzkammer eines Landes. 80 Prozent der monetär gemessenen Wertschöpfung wird in Städten generiert, hier versammeln sich hohe Sachwerte. Dies macht urbane Gebiete besonders anfällig, wenn es zu einer Naturkatastrophe kommt. Insbesondere in Asien liegen zahlreiche Großstädte in stark erdbebengefährdeten Gebieten. Viele Städte an Küsten sind dem Risiko von Sturmfluten ausgesetzt.
Das große Bangen – Erdbebengefährdung in Istanbul
Interview mit dem Erdbeben-Experten Prof. Dr. Marco Bohnhoff über die Gefahr eines starken Bebens in der Metropolregion Istanbul.
Blitzfluten in Großstädten Afrikas und Südostasiens
Mangelnde Stadtplanung und eine unzureichende Infrastruktur erhöhen das Risiko schwerer Flutkatastrophen.
Hochwasserrisiko von Städten und Klimawandel hängen zusammen
Der Klimawandel hat die Hochwassergefahr in vielen Regionen erheblich verschärft. Interview mit dem Hydrologen Prof. Dr. Bruno Merz.
Klimawandel
Stadtklima und Lebensqualität
In den Städten bilden sich im Sommer Wärmeinseln aus, in denen die Temperaturen schon heute regelmäßig mehrere Grad höher liegen als im Umland. Neue Bauvorhaben bedrohen vielfach innerstädtische Grünflächen, die sich mäßigend auf das Stadtklima auswirken. Urbanes Grün entwickelt sich unter den Bedingungen von städtischem Wachstum und Klimawandel zu einer immer wichtiger werdenden Ressource für die Lebensqualität.
Städte wärmer als ihr Umland
Der Klimawandel macht auch Städte heißer. Experten des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung nehmen in Indien die Wärmeentwicklung von knapp 90 Zukunftsstädten unter die Lupe.
Wenn Städte wachsen, wächst der Wert von Grünflächen
Urbanes Grün ist entscheidend für die Lebensqualität in Städten. Mit zunehmender Bevölkerung steigt jedoch der Druck auf freie Flächen.
Ressourcen
Ressourcen unter Druck
Boomende Städte sind echte Ressourcenfresser. Sie brauchen nicht nur eine Menge Energie, um die dortigen Infrastrukturen am Laufen zu halten. Für die Bauaktivitäten wird auch beständig Beton benötigt, der wiederum zu Zweidritteln aus Sand und Kies besteht. Schwierigkeiten bereitet den schnell expandierenden Städten zunehmend die Wasserversorgung, die Wasserverluste dort sind teils exorbitant. Ein effizientes Wassermanagement wird zu einem zentralen Faktor, damit Städte auch in Zukunft funktionieren.
Wenn das Wasser spurlos verschwindet
In vielen Metropolen liegen die Wasserverluste durch Lecks oder Wasserdiebstahl bei über 50 Prozent. Hier die richtigen Hebel für Veränderung zu finden, ist existentiell für die Menschen. Teilweise geht es bereits um das nackte Überleben.
Der städtische Hunger nach Sand: Kiessand wird knapper
Kiessand ist der Rohstoff, von dem ein Mensch statistisch gesehen im Leben am meisten verbraucht. Durch den Bauboom wird Sand zu einer begehrten Ressource. Einige Länder erheben sogar schon Abgaben auf natürlichen Sand.
Die Folgen des Sandabbaus
Der Sandabbau für die zahlreichen Bauaktivitäten in Städten hat Folgen für die Ökosysteme. Wie schwerwiegend sie langfristig sind, ist noch weitgehend unbekannt. Wir beleuchten einige, wichtige Aspekte und zeigen auch Chancen für den Küstenschutz auf.
Forschungsmethoden
Städte erforschen mit System
Mit der Zunahme des Verkehrs und der immer dichteren Bebauung wird die Luft in Städten schnell zu einem Problem für die Gesundheit der Stadtbewohner. Bei der Luftverschmutzung hinterlassen viele Megacities einen ganz eigenen Fußabdruck. Zudem sind die Auswirkungen von Luftschadstoffen stark abhängig von Wind oder Niederschlag. Mit immer genaueren Messverfahren nehmen Forscher die Zusammenhänge unter die Lupe, um die richtigen Hebel für Veränderung und Anpassung zu finden.
Die forschende Straßenbahn – der Luftbelastung auf der Spur
Auf mehr als 6.000 Messfahrten sammelte die AERO-TRAM einen außergewöhnlichen Datenschatz zur Verteilung von Schadstoffen in der Stadt. Dadurch lässt sich die Wirkung von Maßnahmen zur Emissionsminderung besser abschätzen.
Schadstoffe in der Luft – Megacities als Verursacher
Rußpartikel aus Städten können 1.000 Kilometer zurücklegen, bevor sie den Boden erreichen. Das Forschungsflugzeug HALO erkundet die Verschmutzungsfahnen von Ballungszentren in Asien und Europa.
Smart Air Quality Network: Der gesündeste Weg zur Arbeit
Die Feinstaubdebatte ist in aller Munde. Um die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen, braucht man hochauflösende Daten. In einem neuen Forschungsprojekt wird an einer vernetzten mobilen Messstrategie gearbeitet, um schnell und pragmatisch Ergebnisse zu erhalten.
Entscheidend für die Luftqualität: Windfelder in der Stadt verstehen
Wind und Wetter sind zentrale Faktoren für die Luftqualität und das Klima in Ballungsräumen. Wie müssen Stadtquartiere und Gebäude geplant werden, damit sich positive Effekte für die Luftqualität einstellen?
Städte mit praxisnahen Klimakenngrößen unterstützen
Wenn es in Städten heißer wird, müssen geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden. Neue Klimakenngrößen helfen Politikern und Verwaltungen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Schadensprognosen: OASIS Hub bringt Daten zusammen
Mit dem OASIS Hub ist eine einzigartige Online-Plattform entstanden, in die verlässliche Daten aus Wirtschaft und Wissenschaft einfließen. Damit lassen sich Risiken von Naturgefahren genauer abschätzen.
Handlungsoptionen
Sicher vor Naturgefahren
Große Ballungsräume sind vielfachen Bedrohungen ausgesetzt. Hurrikan „Harvey“ hat 2017 gezeigt, wie ein Naturereignis selbst den Alltag einer Millionenstadt mit einer guten Infrastruktur lahmlegen kann. Wissenschaftler arbeiten intensiv an Lösungen, um Städte mit Hilfe von Frühwarnsystemen und anderen innovativen Maßnahmen besser vor Tsunamis, Erdbeben oder Starkregen zu schützen.
Gegenwart und Zukunft von Frühwarnsystemen für Erdbeben
Private Haushalte könnten sich dank neuer Sensorensysteme direkt an der Frühwarnung zu beteiligen. Wenn flächendeckend tausende Sensoren verteilt würden, könnte im Erdbebenfall noch früher gewarnt werden.
Wenn smarte Textilien Häuser bei Erdbeben schützen
Erdbebenputze sind keine Utopie mehr. Das Karlsruher Institut für Technologie hat gemeinsam mit einem mittelständischen Unternehmen die Systemlösung EQ-Grid entwickelt.
Tsunami-Frühwarnsystem für die bevölkerungsreichste Insel der Welt
Dicht besiedelte Gebiete in Küstenregionen sind bei einem Tsunami besonders verletzlich. Ein Interview mit dem Projektleiter des Tsunami-Frühwarnsystems für Indonesien, Dr. Jörn Lauterjung.
Vor urbanen Sturzfluten warnen
Eine Schadensvorhersage von Sturzfluten in Städten in Echtzeit. Das ist das Ziel der Forscher. Hannoveraner können sich direkt am Projekt beteiligen.
Schwammstädte helfen bei Starkregen
Die großräumige Versiegelung von Städten verändert den natürlichen Wasserhaushalt. Mit der Idee der Sponge City will man unter anderem dem sinkenden Grundwasserspiegel begegnen. Positive Effekte gibt es auch für das Stadtklima.
Handlungsoptionen
Stadtklima verbessern
Hitzestau und Wärmeinseln können besonders an heißen Sommertagen zu einem Problem für Stadtbewohner werden, das Gesundheit und Lebensqualität beeinträchtigt. Für den Neubau von Alten- oder Pflegeheimen kann es bei der Standortwahl wichtig sein, Wärmeinseln in den Städten zu kennen. Aber auch bei der Ausgestaltung der Innenräume müssen Alternativen erkundet werden, um den Einsatz von Klimaanlagen zu reduzieren. Neben mehr Stadtgrün werden auch traditionelle Wege für ein besseres Stadtklima gesucht.
Mit uralten Techniken die Aufwärmung von Städten begrenzen
Städtische Hitzeinseln und Luftqualität hängen eng zusammen. Mehr Stadtgrün hilft, Wärmeinseln abzubauen. Aber wir können auch von traditionellen Kulturbauten aus Arabien oder Persien lernen: den Windtürmen.
Gesundheitsgefährdende Wärmeinseln in der Stadt erkennen
Sind Städte zu warm, liegt das auch an bestehenden Siedlungsstrukturen. Nicht jedes Stadtquartier ist für den Bau von Pflege- oder Altenheimen geeignet. Besonders wenn das Thermometer dort regelmäßig 35 Grad Celsius übersteigt.
Raumklima verbessern, weniger Wärmebelastung in Gebäuden
Die Wissenschaft sucht gezielt nach umweltfreundlichen Alternativen zu energieintensiven Klimaanlagen. Die Optimierung von feuchteregulierendem Putz ist ein lohnender Baustein.
Neubauten: Ausgleichsflächen dem Klimawandel anpassen
Zurzeit wird nicht geprüft, ob Kompensationsmaßnahmen noch funktionieren, wenn sich das Klima ändert. Biotope werden künftig einem höheren Stress ausgesetzt sein. Für Städte gibt es nun Unterstützung, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Klimaschutz weltweit finanzieren
Die schnell wachsenden Städte der Welt können eine klimaverträgliche Infrastruktur nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Das Risiko von „verlorenen Investitionen“ ist ein ganz wesentliches Argument, um die Kosten für eine klimafreundlichere Infrastruktur vertretbar zu machen.
Hongkongs neuer Weg beim Nahverkehr
Grundstückswerte steigen um ein Vielfaches, wenn sie Anschluss an das öffentliche Nahverkehrsnetz erhalten. Diese Wertsteigerung können sich Städte zunutze machen und damit den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes finanzieren.
Bäume in der Stadt sind nützlich – aber nicht immer und überall
"Urban Greening" gilt als der zentrale Schlüssel, um das Klima und die Luftqualität in der Stadt zu verbessern. Aber Straßenbäume können auch negative Effekte haben, wenn Autoabgase nicht nach oben abziehen können. Auch auf die richtige Auswahl der Bäume sollten Stadtplaner, Grünflächenämter und Landschaftsarchitekten achten.
Stadtklimamodelle für die Praxis
Eine zukunftsfähige Stadtplanung muss auch bei einem sich verändernden Klima angemessen auf die zu erwarteten spezifischen Veränderungen im Stadtklima reagieren können. Hierfür braucht es leistungsstarke Stadtklimamodelle.
Lateinamerika: Wie sich Städte an den Klimawandel anpassen
Auch Städte in Lateinamerika sind von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat insbesondere die Situation in Santiago de Chile analysiert und einen Lernprozess mit anderen Städten in der Region angestoßen.
Hemmnisse der Anpassung an die Folgen des Klimawandels
Vor welchen zentralen Herausforderungen stehen Städte? Was erschwert die Anpassung von Städten an den Klimawandel? Wie können die Hemmnisse überwunden werden? Wissenschaftler vom Climate Service Center Germany (GERICS) gehen diesen Fragen nach.
Handlungsoptionen
Ressourcen schonen
Den Wasserverlust in Städten verringern
Ein effizientes Druckmanagement kann zur Reduktion von Wasserverlusten beitragen. Auch wirtschaftlich amortisieren sich solche Investitionen häufig schnell.
Nachwachsende Baustoffe für die Städte der Zukunft
Aus dem Zellgeflecht von Pilzen wachsen Bauelemente, die künftig Stahl und Beton ersetzen könnten. Auch Bambus ist eine spannende Alternative.
Stadtvisionen
Städte der Zukunft
Antwort auf das Bevölkerungswachstum: Neue Städte für Millionen
Ob in Asien, Arabien oder Afrika – in vielen Ländern wird intensiv an Plänen für neue Großstädte gearbeitet. Die neuen Planstädte sollen über modernste digitale Infrastrukturen verfügen und nachhaltig sein. Ein kleiner Überblick über Lusail City, New Cairo & Co.
Smart Urban Risks – Wie widerstandsfähig sind Smart Cities?
Smart Cities gelten als große Hoffnung, um Städte nachhaltiger zu gestalten. Doch welche Risiken birgt die große Abhängigkeit von intelligenten Technologien?