Handlungsoptionen: Umweltauswirkungen minimieren

Strategien zur Renaturierung von Abbaugebieten

Mehr als 100.000 verschiedene Arten in den Ozeanen sind mittlerweile bekannt, die biologische Vielfalt ist jedoch noch weit größer und viele Arten noch nicht entdeckt. Gerade in der Tiefsee stößt man bei jeder Probenentnahme auf weitere unbekannte Arten. Belastbare Aussagen zu einer potentiellen Wiederbesiedelung abgebauter und gestörter Flächen können nur auf der Basis intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen getroffen werden.

Text: Dr. Felix Janssen, Dr. Thomas Soltwedel
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)
Dr. Matthias Haeckel
GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

  • Die Beurteilung des Wiederbesiedlungspotentials hängt vom Verständnis der Ökologie der Organismen ab. Es braucht u.a. Kenntnisse zu Lebens- und Reproduktionsweisen.
  • Konnektivitätsstudien können Informationen zum Verbreitungs- und Wiederbesiedlungspotential geben – sind aber bei seltenen Arten nicht anwendbar.
  • Es gibt einige Ideen, eine Wiederbesiedelung zu unterstützen. Untersuchungen zur Machbarkeit im industriellen Maßstab und zur Wirksamkeit stehen noch aus.
  • Ohne eine wissenschaftliche Bewertung der Handlungsoptionen zur Reduktion der Schädigungen und zur Renaturierung auf Basis zusätzlicher Studien sollten keine Lizenzen für einen großflächigen, industriellen Abbau vergeben werden.

Die biologische Vielfalt im Ozean stellt einen Schatz dar, dessen Umfang wir erst langsam erfassen. Im Rahmen des sogenannten Census of Marine Life sind in einem Jahrzehnt mehr als 100.000 Arten zusammengetragen worden. Im Rahmen der Explorationsaktivitäten und in Forschungsprojekten zu den Umweltfolgen von Tiefseebergbau sind in den letzten Jahren zahlreiche weitere Taxa identifiziert und beschrieben worden. Dies schließt vor allem auch Untersuchungen in Gebieten des pazifischen Manganknollengürtels in der Clarion- Clipperton Bruchzone (CCZ) ein, die zuvor kaum beprobt wurden.

Diesen wertvollen neuen Erkenntnissen steht die Einsicht gegenüber, dass wir derzeit von einem vollständigen Arteninventar immer noch weit entfernt sind. Jede neue Probennahme enthält typischerweise immer noch unbekannte Arten von denen viele Einzelfunde sind oder nur in sehr geringen Abundanzen angetroffen werden.

Prinzipiell hat Tiefseebergbau zwei unterschiedliche negative Auswirkungen auf die Fauna des Meeresbodens: eine plötzliche Dezimierung der dort vorkommenden Tierbestände und eine dauerhafte Veränderung des Lebensraumes. Das Prekäre an einem solchem menschlichen Eingriff in die betreffenden Ökosysteme ist, dass sich die Organismen in ihrer Entwicklungsgeschichte über Millionen von Jahren an die vorherrschenden Umweltverhältnisse angepasst und dadurch in der Regel nur eine geringe Toleranz gegenüber Umweltveränderungen haben.

Wiederbesiedlung erst nach Generationen

An kleinen bis mittelgroßen experimentellen Störungen in pazifischen Manganknollengebieten, die in der ersten Phase des industriellen Interesses an mineralischen Ressourcen der Tiefsee durchgeführt wurden, konnten in Folgestudien lang anhaltende Änderungen der Abundanzen und Zusammensetzungen der bodenlebenden (benthischen) Gemeinschaften nachgewiesen werden. Viele Änderungen im Vergleich zu ungestörten, zum Teil nur wenige Meter entfernten Vergleichsgebieten, waren für mehrere Jahrzehnte nachweisbar und belegen eindrücklich, dass eine Wiederbesiedlung auch nach geringer Störung Generationen in Anspruch nehmen kann.

Belastbare Aussagen zu einer potentiellen Wiederbesiedelung abgebauter und gestörter Flächen können nur auf der Basis intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen getroffen werden. Dabei sind die Erkenntnisse ökosystemspezifisch und nicht auf andere mineralische Ressourcen übertragbar: Die abiotischen Gegebenheiten und die vorkommenden Lebensgemeinschaften sind zu unterschiedlich.

So herrschen im Bereich aktiver Schlote (engl. vents), an denen sulfidische Erze vorkommen, relativ artenarme, jedoch Individuen-reiche und hochproduktive Gemeinschaften vor, die an ein sich ständig änderndes Habitat angepasst sind. Ganz im Gegensatz dazu zeichnen sich die Gemeinschaften in den Manganknollen-Ökosystemen der Clarion-Clipperton-Zone durch hohe Artenzahlen, aber niedrige Individuenzahlen und eine Anpassung an gleichmäßige Bedingungen und geringste Nahrungseinträge durch Partikelexport vom oberflächennahen Wasserkörper aus. Wieder andere Bedingungen herrschen an untermeerischen Bergen, sogenannten Seamounts, an denen Kobaltkrusten zu finden sind oder an erloschenen Schloten jenseits der hydrothermal aktiven Mittelozeanischen Rücken.

Einschätzung des Wiederbesiedlungspotentials

Ein breites Spektrum wissenschaftlicher Erkenntnisse ist nötig, um auf der Basis der Ökologie der Organismen das Wiederbesiedlungspotential nach erfolgtem Abbau vorherzusagen. Ein Inventar der vorkommenden Arten und der Verteilungsmuster der einzelnen Spezies und die Identifikation spezifischer Gemeinschaften wären hier nur ein allererster Schritt.

Weitere, relevante Informationen betreffen die Lebens- und Ernährungsweise der Organismen und ihre Habitatansprüche, aber auch die Interaktionen der Spezies untereinander. Entscheidend ist aber vor allem die Kenntnis der Reproduktionsweisen, Geschlechtsreife, Reproduktionszyklen, sowie der Larventypen, ihrer Lebensdauer und Verbreitungsweise: benthisch/am Meeresboden lebend, benthopelagisch/der Lebensraum zwischen Freiwasser und Meeresboden und pelagisch/uferferner Freiwasserbereich. Leider liegen derart umfangreiche Informationen allenfalls für einige Hydrothermalsysteme Mittelozeanischer Rücken in nennenswertem Umfang vor. Eine entsprechende Datenbasis für die artenreicheren und Individuen-ärmeren Gemeinschaften der anderen potentiellen Abbaugebiete aufzubauen, wäre nur mit einem immensen Aufwand möglich.

Genetischer Austausch zwischen Populationen verschiedener Gebiete

Eine Alternative zu einer Vorhersage einer potentiellen Wiederbesiedlung anhand detaillierter Untersuchungen zur Lebens- und Fortpflanzungsweise, stellen Untersuchungen der Konnektivität dar. Dabei wird anhand molekularer Methoden der Genaustausch zwischen Individuen einer Art an verschiedenen Standorten quantifiziert. Stehen weit voneinander entfernte Populationen miteinander in engem Genaustausch, lässt das auf die Fähigkeit zur Wiederbesiedlung aus ungestörten Gebieten über weite Distanzen schließen.

Konnektivitätsuntersuchungen sind besonders aussagekräftig, wenn die Verbreitungsmechanismen und die Richtungen des Individuen-Austauschs bekannt sind. Auf dieser Grundlage sind gezielte Vorhersagen zu einer möglichen Wiederbesiedlung möglich z.B. über Simulationen des Larventransports mit den Bodenwasserströmungen.

Untersuchungen zur Konnektivität erfordern aufwändige molekulare Untersuchungen und sind nur für eine Auswahl der vorkommenden Taxa durchführbar. Das liegt vor allem daran, dass die Untersuchungen auf Arten beschränkt sind, die in großen Individuenzahlen vorkommen – also ohnehin schon eine gute Ausgangslage für Verbreitung und Arterhalt besitzen.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, für Konnektivitäts-Studien bestimmte Arten als Modellorganismen auszuwählen, deren Lebensweise und Reproduktionspotential die vorhandenen Organismen bestmöglich repräsentieren. Da die bisher vorliegenden Erkenntnisse meist noch keine gezielte Identifikation repräsentativer Modellorganismen erlauben, müssen andere Kriterien für die Auswahl herangezogen werden.

Modellorganismen mit kontrastierenden Lebensweisen

In der ausgedehnten und artenreichen CCZ werden Modellorganismen ausgewählt, die sich nach den verfügbaren Informationen in ihrer Lebensweise möglichst stark unterscheiden. So werden sowohl mobile Organismen untersucht als auch solche die ortsfest (sessil) sind. Daneben werden Spezies ausgewählt, deren Eier und Larven eine planktische Phase haben und solche, die ihre Nachkommen lebend gebären. Weiter werden Modellorganismen ausgewählt, die eine kleinräumige Verbreitung aufweisen und mit anderen verglichen, die über große Distanzen hinweg vorkommen. Auf Basis der ermittelten, relevanten räumlichen Skalen des Genaustauschs und Erkenntnissen zu den relevanten Eigenschaften der jeweiligen Organismen wird versucht, Abschätzungen zur potentiellen Verbreitung auch für andere Spezies abzuleiten.

Neben der Frage der Verbreitung erfordert eine erfolgreiche Besiedelung, dass in der Abbauregion geeignete Lebensbedingungen angetroffen werden. Da zahlreiche Organismen auf das Erz selbst als Lebensraum angewiesen sind (z.B. sessile Organismen auf Manganknollen oder an den Schloten von Hydrothermalquellen), kann eine Wiederbesiedlung durch die gleichen Arten nur stattfinden, wenn ein Teil der Erze zurückgelassen wird oder andere geeignete Substrate zur Verfügung stehen.

Bereitstellung künstlicher Substrate und Nahrung

Im Zusammenhang mit dem Tiefseebergbau wurden bereits verschiedene Renaturierungsmaßnahmen diskutiert. Im Fall von Manganknollen-Ökosystemen beinhalten denkbare Maßnahmen z.B. ein Ausbringen von artifiziellen Knollen, die durch Verpressen von Sedimenten oder Knollen-Aufbereitungsrückständen erzeugt werden. In jüngerer Zeit haben einige wissenschaftliche Versuche mit künstlichen Substraten vor allem in Hydrothermal-Ökosystemen stattgefunden. Das Bergbauunternehmen Nautilus Minerals, das einen Abbau von Massivsulfiden in nationalen Gewässern vor Papua-Neuguinea im ‚Solwara‘-Projekt vorbereitet, plant  laut ihrer eigenen Umweltverträglichkeitsprüfung Betonplatten oder andere artifizielle Substrate als zusätzliche Oberflächen auszubringen und damit eine Wiederbesiedelung zu unterstützen. Außerdem sollen Gesteine komplett mit der anhaftenden Fauna vor dem Abbau in umliegende Gebiete ausgelagert und, nach Abschluss der Abbau-Tätigkeit, wieder zurückgebracht werden.

Auch die Anreicherung der gestörten Meeresböden mit organischem Material, um Nahrung für eine rasche Wiederbesiedlung und eine effektive Reproduktion der eingewanderten Organismen zu fördern, wird als eine mögliche Option diskutiert. Ungeachtet der großen Zahl verschiedener Ideen, fehlen bislang aber systematische und langfristig angelegte Experimente, die die Effektivität der Maßnahmen zur Förderung der Wiederbesiedlung auf relevanten Skalen untersuchen. Solche Experimente müssten so rasch wie möglich begonnen werden, da viele Jahre vergehen können, bevor die Experimente wissenschaftlich aussagekräftig ausgewertet werden können. Dies ist umso mehr der Fall, wenn die Studien neben der ersten Besiedlung auch die Entwicklung funktionierender Gemeinschaften einschließen sollen.

Resümee und weiterführende Informationen

In allen Teilaspekten der Umweltfolgen von Tiefseebergbau und geeigneter Maßnahmen, um die Schädigung der Ökosysteme zu minimieren und eine Erholung zu fördern, bestehen nach wie vor große Wissenslücken. In Bezug auf die Förderung einer Wiederbesiedlung ist nach jetzigem Kenntnisstand nicht absehbar, welche der vorgeschlagenen Renaturierungsmaßnahmen im industriellen Maßstab durchführbar und geeignet sind, die mit dem Abbau einhergehenden Schädigungen der benthischen Gemeinschaften und Funktionen zu kompensieren. Ebenso sind – wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben – zusätzliche Erkenntnisse nötig, um geeignete Abbaustrategien zu identifizieren und zu bewerten.

Ohne zusätzliche Untersuchungen der Handlungsoptionen zur Reduktion der Schädigungen und zur anschließenden Renaturierung, fehlen aus wissenschaftlicher Sicht die Voraussetzungen für eine informierte gesellschaftliche Entscheidung für oder gegen den Tiefseebergbau ebenso wie für die Vergabe von Lizenzen für einen großflächigen, industriellen Abbau.

Weitere Informationen zu künftigem Forschungsbedarf und Empfehlungen zu Management und Regularien für Tiefseebergbau sind den Fact Sheets des MiningImpact Projektes und den Publikationen im EU-Projekt MIDAS Projektes zu entnehmen. Hinweise finden sich zum Beispiel im Kapitel „Recommendations for future regulations“ und den Reports D4.1, D4.2, D9.5, D9.6.

Psychropotes longicauda auf Manganknollen. Bild: PhilwebCC BY-SA 3.0

Psychropotes semperiana auf Manganknollen.
Bild: Ifremer Nautile/Nodinaut. CC BY 4.0

Referenzen

  • JPI Oceans. (2016). Long-term Impacts of Deep-Sea Mining. Latest Results from Marine Scientific Research. (Factsheet 2) [miningimpact.geomar.de/publications]. Aufgerufen am 09.11.2018.
  • Managing Impacts of Deep-Sea Resource exploitation – MIDAS. (2013). Welcome to MIDAS [Projektwebseite, eu-midas.net]. Aufgerufen am 09.11.2018
  • Managing Impacts of Deep-Sea Resource exploitation – MIDAS. (2016). Implications of MIDAS results for policy makers: Recommendations for future regulations [eu-midas.net]. Aufgerufen am 09.11.2018.

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2018.2.4.3

Zitiervorschlag: Janssen, F., Soltwedel, T. & Haeckel, M. (2018). Strategien zur Renaturierung von Abbaugebieten. In O. Jorzik, J. Kandarr & P. Klinghammer (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Rohstoffe in der Tiefsee. Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft (S. 67-70). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2018.2.4.3