Bedarf an kritischen Metallen

Europäische Versäumnisse bei der Erschließung und Bewertung neuer Lagerstätten

Auch mit modernsten Technologien benötigen Geologen mindestens zehn Jahre, um einen Rohstoff als Reserve oder Ressource der Industrie bereitstellen zu können. Europa investiert bisher wenig in die Bewertung und Erschließung eigener Lagerstätten. Mit einer Änderung dieser Philosophie ließen sich auch viele Umweltprobleme in Entwicklungsländern vermeiden, die der Bergbau dort verursacht. Der Lagerstättenkundler Prof. Dr. Jochen Kolb vom Institut für Angewandte Geowissenschaften des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Interview.

Interview mit Prof. Dr. Jochen Kolb
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

  • China findet neue Rohstoffe und entwickelt neue Prozessierungstechnologien, während in Europa diese Investitionen nicht in diesem Ausmaß stattfinden.
  • 2008 und 2009 kam es zu einer Knappheit bei Seltenen Erdmetallen. Es gibt jedoch zum Beispiel in Südgrönland große Vorkommen dieser Metalle.
  • Deutschland ist geologisch gesehen kein rohstoffarmes Land. Die Datenlage über mögliche Vorkommen ist im Osten Deutschlands wesentlich besser als im Westen.

Herr Prof. Kolb, können Sie beurteilen, wodurch sich die Strategie Europas bei der Rohstoffsicherung beispielsweise von der Chinas unterscheidet?

Prof. Kolb: Europa hat in den letzten Jahrzehnten nur ungefähr drei Prozent des globalen Investitionsvolumens in die Rohstoffexplorationen gesteckt. Im Gegensatz dazu sind es in China circa 26 Prozent, mit steigender Tendenz. China expandiert momentan äußerst stark in diesem Rohstoffsektor. China findet neue Rohstoffe, entwickelt neue Prozessierungstechnologien, während wir in Europa diese Investitionen nicht in diesem Ausmaß tätigen. Damit wird sich auch auf dem Primärrohstoffmarkt in absehbarer Zeit nichts ändern. Wir benötigen immer – und das wird häufig vergessen – eine relativ große Vorlaufzeit, bevor wir einen Rohstoff in Reserve oder Ressource bereitstellen können.


Wie gehen andere Länder bzw. wir in Deutschland mit dem Thema um?

Prof. Kolb: Länder wie Japan oder die USA stellen sich anders auf. Sie haben relativ wenig Eigenproduktion an Primärrohstoffen, legen jedoch Lager an, um Preisschwankungen ausgleichen zu können. Deutschland macht das für Erdgas. Mit den Erdgasspeichern in Norddeutschland können wir uns für drei Monate selbst versorgen, für andere Rohstoffe gilt das jedoch nicht. Deutschland versucht dafür, diese Rohstoffsicherheit über bilaterale Verträge zu regeln, beispielsweise mit der Mongolei oder mit Brasilien. Wir haben also weniger diese Explorationsstrategie. Deutschland ist dabei, sich eine Rohstoffstrategie zu geben.

Gab es in der Vergangenheit in Europa schon einmal die Situation einer echten Knappheit bei der Versorgung mit metallischen Rohstoffen?

Prof. Kolb: In den Jahren 2008 und 2009 konnten wir bei den Seltenen Erdmetallen eine Knappheit feststellen. Es gibt jedoch zum Beispiel in Südgrönland unglaublich große Vorkommen dieser Metalle. So ist das Seltene Erdmetall Neodym, das für die Dauermagneten in Windrädern verwendet wird, geologisch gesehen nicht knapp. Nur ist es in manchen Vorkommen in Mineralen gebunden, für die wir erst eine Aufbereitungstechnik entwickeln müssten. Es klingt paradox: Obwohl es große Vorkommen hier gibt, müssten wir die gewonnenen Erze zum großen Teil nach China schicken, die über die Patente in der Aufbereitungstechnik verfügen.

Können wir von Versäumnissen Europas bei der Versorgung mit metallischen Rohstoffen sprechen? Wenn ja, worin liegen diese Versäumnisse genau? Die Sicherung der Rohstoffversorgung ist ja in erster Linie Aufgabe der rohstoffverarbeitenden Industrie.

Prof. Kolb: Wir haben in Europa andere Strategien verfolgt. Das beklagt die Industrie offensichtlich teilweise, weil bilaterale Verträge nicht funktionieren oder schwierig zu schließen sind. Es ergeben sich zudem neue Probleme mit Arbeitsschutzbedingungen oder Umweltrichtlinien in anderen Ländern. Inzwischen muss man als deutsche Firma nachweisen, dass es keine Kinderarbeit beim Gewinn der Rohstoffe gegeben hat. Es wurde begonnen, Zertifikate und Berichtspflichten einzuführen. Der amerikanische Dodd-Frank Act ist so ein Versuch, die Nachweispflicht über ‚Konfliktmaterialien‘ verstärkt den Unternehmen zu übergeben. Doch dadurch, dass Deutschland und Europa wenig in die Exploration investieren, wird sich an diesen teils schlechten Umwelt- und Sozialstandards auch in Zukunft nicht viel ändern. Es sei denn Europa ändert hier seine Philosophie.

Deutschland ist bei Metallen nahezu vollständig importabhängig. Ist das ein unausweichlicher Zustand? Gibt es Potentiale für metallische Rohstoffe überhaupt noch in Deutschland?

Prof. Kolb: Die gibt es, aber es ist recht schwierig einzuschätzen. Hier muss man ganz klar zwischen der alten BRD und der ehemaligen DDR unterscheiden. Im Westen haben wir Ende der 1980iger-Jahre komplett aufgehört, uns mit metallischen Rohstoffen zu beschäftigen. Davor ist zwar auch nicht viel passiert, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist Deutschland in vielen Bereichen nicht mehr intensiv untersucht worden.

Nehmen wir das Beispiel Kobalt. Der Rohstoff ist in aller Munde, es ist ein wichtiger Rohstoff. Auch in Deutschland gab es Kobaltminen, zu Zeiten als Kobalt für die Farbe in Keramiken genutzt wurde. Deutschland war einstmals ein wichtiger Kobaltlieferant. Bei Wittichen im Schwarzwald zum Beispiel gab es Minen, die wegen wirtschaftlicher Probleme 1856 geschlossen wurden. Seitdem gibt es keine Untersuchungen mehr. Wir haben in Deutschland auch die komplette Entwicklung in der Exploration verpasst. Man muss sich das vorstellen: Westdeutschland wurde das letzte Mal vor und während des Zweiten Weltkrieges systematisch auf Lagerstätten untersucht, und zwar einzig mit den Uralt-Technologien von damals.

Es gab zu dieser Zeit die Metallgesellschaft AG als Deutschlands größtes Industrieagglomerat und die Preussag AG, die Anfang der 1920er-Jahre durch die Umwandelung des preußischen Staatsbesitzes an Bergwerken, Hütten und Salinen entstand. Die Konzerne haben sich in den 1990er Jahren umorientiert. Die Metallgesellschaft wurde zu GEA Group AG und Preussag zu TUI.


Wie sieht es in Ostdeutschland aus?

Prof. Kolb: Im Osten ist es etwas anders. Das sieht man vielleicht daran, dass hier die interessanten Projekte laufen. Die Lausitz wird beispielsweise auf Kupfer, das Erzgebirge auf Lithium untersucht. Die Arbeit baut auf alten Forschungsdaten der DDR auf. Im Westen haben wir diese Daten nicht und können ganz wenig über die Verfügbarkeit von Rohstoffen aussagen. Geologisch gesehen ist es Unsinn zu behaupten, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land. Wir werden niemals wirklichen Mangel haben.

Es ist eher die Frage, ob wir die Technologie haben und zu welchem Preis wir Rohstoffe gewinnen können. Hinzu kommen Umweltschutz und Raumplanungskriterien. Wollen wir also ein Gebiet eher als Naherholungsgebiet oder als Grundwasserschutzgebiet bewahren? Das sind alles berechtigte Kriterien. Es gibt jedoch auch in Deutschland ein gewisses Potential für bestimmte Rohstoffe, dass nicht richtig untersucht ist.


Gibt es ein Land in Europa, dass eine besonders gute Strategie bei der Erkundung und Erschließung von Lagerstätten betreibt? Wenn ja, was ist die Motivation, wo liegen hier Grenzen?

Prof. Kolb: Fakt ist, dass in Europa wenig exploriert wird. Doch es gibt einige Länder, in denen es funktioniert. Das ist durchaus erstaunlich, wie man am Beispiel Schweden sieht. Hier gibt es einen großen Bergbaukonzern, das ist Boliden, der übrigens auch der größte schwedische Recycling-Konzern ist. Dort hat sich also eine ganze Industrie herausgebildet. Und sicherlich niemand würde behaupten, dass Schweden die geringsten Löhne oder die geringsten Umweltstandards hat. Also scheint es wohl möglich zu sein, in Europa Bergbau und Rohstoffsicherung zu betreiben.

Mit unserer Technologie und unserer Entwicklung haben wir vor allem die Chance, es richtig zu machen und starke Umweltschäden zu vermeiden. Aber klar ist, es handelt sich um eine Hochrisikowirtschaft. Das heißt, es hängt natürlich auch davon ab, wie die Finanzwirtschaft organisiert ist. In den USA oder Australien ist es vielleicht einfacher Hochrisikogeld zu beschaffen.

Haben Sie einen Überblick, bei welchen metallischen Rohstoffen momentan Bedarf und Verfügbarkeit in Deutschland besonders eklatant auseinanderklaffen?

Prof. Kolb: Das Problem ist tatsächlich, dass hier die Kommunikation fehlt. Lagerstättenkundler brauchen eine große Vorlaufzeit, um einen Rohstoff in Reserve oder Ressource zur Verfügung stellen zu können. Wir erfahren häufig erst von einer Knappheit, wenn es schon zu spät ist. Hier wird in den Betrachtungen sehr häufig vergessen, dass es sehr viele Zwischenschritte braucht, bevor wir den Rohstoff kaufen können.

Wenn Sie heute beispielsweise sagen würden, wir brauchen eine neue Kobaltlagerstätte, müssten wir in eine typische Explorationsschiene einsteigen. Diese Untersuchungen brauchen Zeit, da wir in vielen Bereichen quasi von Null anfangen müssen. Über Literaturstudien, Feldstudien, geophysikalische Messungen, schließlich über Bohrungen müssen wir definieren, ob und wie viel gewonnen werden kann. Das dauert in der Regel zehn bis zwanzig Jahre von der Idee bis zu dem Zeitpunkt, an dem man das erste Erz gewinnen kann.

Das sind lange Zeiträume, in denen sich die Technik auch weiterentwickelt.

Prof. Kolb: Das ist natürlich ein Problem. Wenn wir nicht darüber informiert sind, wo sich die technologische Entwicklung hinbewegt, wird es schwer. Hier fehlt ein wenig die Diskussion in beide Richtungen. Auch darüber, was im Einzelfall nun ideal wäre: Entwickeln die Batterieforscher neue Batterien, weil wenig Lithium da ist? Wenn die Lithium-Batterie die ideale technische Lösung ist, dann können wir dem als Lagerstättenkundler entgegentreten und dafür sorgen, dass wir ausreichend Lithium haben. Das ist dann nur etwas preisabhängig. Auch umgekehrt muss Technik durchdacht werden. Wenn wir nun eine Lanthan-Batterie entwickeln wollen, welche Tonnage bräuchten wir dann in absehbarer Zeit? Und kann diese denn überhaupt zur Verfügung gestellt werden, wenn sie gebraucht wird?

Wie beurteilen Sie die Vorkommen in der Tiefsee? Bei welchen Rohstoffen müssen wir eventuell nach neuen Lagerstätten auch im Meer suchen? 

Prof. Kolb: Die Suche nach Metallen im Meer kann eine Strategie sein. Ich halte den Abbau im Meer allerdings immer noch für eine Utopie. Technologisch ist das schwierig. Die Frage ist doch auch, wo wir denn die bessere Kontrolle hätten. Ich bin der Ansicht, dass wir die Ökosysteme an der Erdoberfläche besser verstehen. Noch ist das Potential an Ressourcen an Land groß genug, um uns über die nächsten Jahrzehnte, gar Jahrhunderte zu bringen. Da gibt es andere Fragestellungen. Wie beispielsweise schaffen wir es, das Grundwasser sauber zu halten, Leben, Landwirtschaft und Bergbau miteinander zu vereinbaren. Geologisch kommen wir nicht in eine Knappheit. Es gibt technologische Hürden, aber meines Erachtens wird die Grenze nicht Kupfer oder Kobalt sein, sondern eher Getreide oder Wasser.

Also Bergbau an Land bleibt dominant. Aber sind wir hier aus Sicht der Forschung noch richtig aufgestellt? Haben wir künftig überhaupt noch die Experten für komplexe Explorationen an Land?

Prof. Kolb: Meine Absolventen arbeiten größtenteils in Finnland, Kanada, Schweden oder Indonesien, aber eben nicht in Deutschland. In Aachen und in Freiberg gibt es zwar zwei große Institute, in Karlsruhe bauen wir gerade etwas auf, doch wenn in Deutschland Lagerstätten nicht mehr erkundet werden, können wir als Professoren auch sehr schlecht den Studenten vermitteln, warum sie diese Fächer studieren sollen. Vielleicht sollten wir auch in unsere Leute und die Ausstattung unserer Institute investieren. Sonst stirbt langsam auch das Know-how in einem Zweig aus, der für eine sichere Rohstoffversorgung wichtig ist. Dieses Know-how sollte in Deutschland zumindest nicht komplett verloren gehen. 

Herr Prof. Dr. Kolb, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP), November 2018

Wir haben in Deutschland die komplette Entwicklung in der Exploration verpasst.

Referenzen

  • Schodde, R. (2017, 6. März). Recent Trends and Outlook for Global Exploration [Präsentation bei der Prospectors and Developers Association of Canada – PDAC, Toronto, März 2017, minexconsulting.com]. Aufgerufen am 19.11.2018.

Weiterführende Informationen

  • Informationen zur PDAC 

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2018.2.1.4

Zitiervorschlag: Kolb, J. (2018). Europäische Versäumnisse bei der Erschließung und Bewertung neuer Lagerstätten [Interview]. In O. Jorzik, J. Kandarr & P. Klinghammer (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Rohstoffe in der Tiefsee. Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft (S. 20-23). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2018.2.1.4