Bedarf an kritischen Metallen
Unsere Primärrohstoffordnung
- Industrielle Standards oder auch Vorgaben der Einkäufer limitieren teilweise den Einsatz sekundärer Rohstoffe.
- Einige wiederverwendete, recycelte Materialien werden von Verbrauchern und Herstellern als minderwertig angesehen - auch dann, wenn sie nachweislich die gleiche Qualität wie primäre Rohstoffe haben.
- Kulturell-gesellschaftliche Prozesse bestimmen darüber, ob Sekundärrohstoffe als wertvoll wahrgenommen werden.
Obwohl in der Rohstoff- und Abfallpolitik Recycling grundsätzlich einen hohen Stellenwert hat, sind die Recyclingquoten für einige Materialien derzeit noch zu niedrig (Binnemans et al., 2013; BMBU, 2016; BMWi, 2010). Die Gründe dafür variieren und sind zu einem großen Teil abhängig vom zu recycelnden Material, je nachdem, ob es sich nun um Kunststoffe, Baustoffe, Metalle oder Selten-Erden-Elemente (Seltene Erdmetalle) handelt. Es lassen sich jedoch einige Aspekte erkennen, die für verschiedene Materialien gleichermaßen zutreffend sind. Neben fehlenden Aufbereitungstechnologien für sich schnell verändernde Produktzusammensetzungen sind das kulturell-gesellschaftliche Herausforderungen. So wird eine wesentliche Ursache für den geringen Einsatz recycelter Materialien darin gesehen, dass diese bei Produktherstellern und Konsumenten weniger akzeptiert sind als primäre Rohstoffe (CIWMB, 1996; Kalverkamp, 2017; Ruston, 2010; Wilts et al., 2016). Bislang gibt es für dieses Phänomen nur schwache empirische Befunde und keine wissenschaftlich befriedigende Erklärung (Bleicher, 2019).
Die Primärrohstoffordnung
Die Beschäftigung mit Müll als sozialer und kultureller Kategorie sowie mit Prozessen der Entwertung und Aufwertung von Objekten hat in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine längere Tradition. Der Sozialanthropologe Michael Thompson veröffentlichte 1979 sein Buch „Rubbish Theory. The creation and destruction of value“, in dem er darstellt, dass die Schaffung und Vernichtung von Werten als eine Einheit zu betrachten ist: Indem wir einigen Dingen Bedeutung verleihen, nehmen wir sie anderen (Thompson, 1979; Thompson, 1994). So sind zwar die Kategorien Müll und Wertstoff/Wertobjekt absolut, aber es ist nicht widerspruchsfrei, was diesen Kategorien zu welchem Zeitpunkt zugeordnet wird. Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit diesen Widersprüchen und die Entscheidung über die Zugehörigkeit zu Kategorien dienen dem Erhalt der sozialen Ordnung (Thompson, 1979; Thompson, 1994).
In jedem sozialen Kontext erfolgt diese Bedeutungszuweisung auf Grundlage der geltenden gesellschaftlichen Regeln. Wenn aus Material, das bislang seinen Platz als Müll hatte, nun Wertstoffe gewonnen werden bzw. dieses Material als Wertstoff re-interpretiert wird, dann wird die bestehende Ordnung, in der Rohstoffe aus primären Lagerstätten gewonnen werden, in Frage gestellt. Recycelte Materialien könnte man vor diesem Hintergrund als Abweichung (oder Verunreinigung) interpretieren, die zu Unordnung und Unsicherheit führt und mit denen umgegangen werden muss.
Recycelte Materialien haben ein Imageproblem
Einige Studien kommen zum Schluss, dass recycelte Materialien mit Stigmata behaftet sind, die wiederum negative Auswirkungen auf den Marktpreis der Produkte haben – recycelte Materialien können, obwohl sie hochwertige Rohstoffe sind, nur zu geringeren Preisen verkauft werden (Ingham, 2006). Stigma-Effekte wurden bislang kaum untersucht. Es gibt lediglich Hinweise darauf, dass recyceltes Material in manchen Fällen im Vergleich zu primären Ausgangsprodukten von Konsumenten und Herstellern als weniger langlebig und zuverlässig oder als von minderer Qualität wahrgenommen wird (CIWMB, 1996).
Vorbehalte bestehen bezüglich seiner qualitativen und technischen Eigenschaften, obgleich die tatsächliche Qualität Primärmaterialien entspricht. So ist beispielsweise recyceltes Schmieröl, wie in einer OECD-Studie aus dem Jahr 2006 gezeigt wird, mit der negativen Assoziation von Abfall verbunden, obwohl die Qualität tatsächlich gleichwertig oder gar besser als die des Öls aus primärem Rohöl ist (Fitzsimons, 2006). Eine britische Studie zur Wahrnehmung elektronischer Geräte mit Recyclinganteil stellte heraus, dass Konsumenten die Qualität solcher Produkte hinterfragen (Ruston, 2010). Möglicherweise erklärt sich aus der Sorge um kritische Kundenmeinungen, dass nicht alle Produzenten die Verwendung von Recyclingmaterial offensiv bewerben. Der Wert recycelter Produkte wird in der Gesellschaft unterschiedlich wahrgenommen.
Fehlendes Wissen über Inhaltsstoffe
Ein häufig genannter Grund für die Zögerlichkeit von Industrie-Akteuren, recyceltes Material in der Produktion einzusetzen, ist die Unsicherheit über die Qualität recycelter Rohstoffe. Dies belegen verschiedene Studien (CIWMB, 1996; Kalverkamp, 2017; Wilts et al., 2016). Das Problem ist beispielsweise für Bereiche des Recyclings von Kunststoffen und Ölen bereits gut beschrieben. Informationen über die Qualität sowohl von Abfallsorten und -strömen als auch der recycelten Materialien sind häufig unzulänglich (Fitzsimons, 2006; Ingham, 2006; Wilts et al., 2016). Insbesondere fehlt Wissen um schädliche Inhaltsstoffe. Die vorhandenen Strukturen zur Datenerfassung und Informationsweitergabe werden von der weiterverarbeitenden Industrie als unzureichend angesehen (Wilts et al., 2016). In Studien wird auch darauf verwiesen, dass bestehende industrielle Standards oder auch Vorgaben der Einkäufer den Einsatz sekundärer Rohstoffe limitieren (Fitzsimons, 2006; Wilts et al., 2016). Auch Elektroschrott enthält oft Schadstoffe. So muss beispielsweise Quecksilber aus recycelten Selten-Erden-Gemischen entfernt werden, die aus Leuchtstoffröhren oder LCD-Flachbildschirmen gewonnen werden (Binnemans et al., 2013).
Kulturelle Hürden
Die Hinweise aus Studien zum Einsatz recycelter Materialien können so interpretiert werden, dass diese Materialien neben dem Prozess der technischen Reinigung auch einen Prozess „kulturell-gesellschaftlicher Reinigung“ durchlaufen müssen, damit sie als qualitätsvoll und rein wahrgenommen werden. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze lenken die Aufmerksamkeit auf Aspekte wie das Vertrauen in Institutionen, Wertveränderungen, sowie individuelle Empfindungen.
Ein Beispiel für das Vertrauen in Institutionen: Die Nutzung von aufbereitetem Schmutzwasser kann kulturelle Normen verletzen, wenn existierende Hygienevorstellungen und etablierte Praktiken – z.B. Trinkwasser vom Schmutzwasser getrennt zu halten – in Frage gestellt werden. Die Wahrnehmung (der Risiken) aufbereiteten Wassers ist in interdependente soziale, kulturelle und historische Kontexte eingebettet (Ormerod & Scott, 2012). Dazu gehören beispielsweise die konkreten Erfahrungen sozialer Gruppen, Gruppennormen und -werte, aber auch die regionale Geschichte.
Die Verschiebung von Werten in Bezug auf recycelte Materialien lässt sich aktuell gut im Bereich der Mode erkennen. Upcycling ist in Industrieländern in bestimmten sozialen Bezugssystemen seit einiger Zeit ein modischer Trend, der auch das ökologische Bewusstsein der Konsumenten bedient (Goldsmith, 2009). Die Erkennbarkeit der früheren Identität der Objekte ist eine wesentliche Voraussetzung für die Aufwertung. Es ist beispielsweise wichtig zu erkennen, dass die in deutschen Großstädten weit verbreiteten FREITAGS-Taschen aus LKW-Plane hergestellt werden.
In der Interaktion eines Nutzers mit gebrauchten Gegenständen kommen nicht nur ihre reale, sondern auch ihre vorgestellte Reinheit oder Unreinheit zum Tragen. Dies stellten einige Fallstudien mit unterschiedlichen Formen der Nutzung gebrauchter Objekte heraus (Baxter et al., 2017). Gefühle wie Ekel oder Abscheu werden stärker je intimer die Nutzung eines Objektes ist (Baxter et al., 2017). Ganz entscheidend wird die wahrgenommene Reinheit von Hygienevorstellungen beeinflusst, die in Verbindung mit dem Erhalt der Gesundheit stehen. Die Vorstellung, dass beispielsweise ein gebrauchtes Produkt die Gesundheit potentiell gefährdet, ist hier zu verorten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Unversehrtheit des persönlichen Raumes. Dieser kann z.B. durch Gerüche oder Geräusche gefährdet werden, beispielsweise wenn ein Objekt aus recyceltem Plastik einen starken Eigengeruch hat oder wenn einem gebrauchten Mobiltelefon die (unbekannte) Vornutzung zu stark anzusehen ist (Gebrauchsspuren).
Sozialwissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Auf- und Abwertungsprozessen beschäftigen, fokussieren bislang auf Objekte, deren frühere Identität häufig noch zu erkennen ist – reparierte Smartphones, Taschen aus LKW-Planen, Schuhe aus Autoreifen. Dass die (frühere) Identität von Objekten erkennbar bleibt, scheint gerade eine wesentliche Voraussetzung für deren Aufwertung zu sein (Thompson, 1994). Mit Blick auf die Veränderung von Wertzuschreibungen zu recycelten Materialien und Sekundärrohstoffen ist deshalb zu fragen, welche Mechanismen für eine Bedeutungsveränderung bei nicht-objekthaften recycelten Materialien relevant sind. Inwieweit sind die sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätze auf nicht-objekthafte Materialien übertragbar?
Es ist zu prüfen, inwieweit das Vertrauen in Institutionen und Expertensysteme aber auch existierende Wertvorstellungen und individuelle Empfindungen auch die Wahrnehmung recycelter Materialien beeinflussen. Auf Grundlage derartiger Analysen können Strategien zur verbesserten Wahrnehmung von Recyclingmaterialien entwickelt werden.
Beitrag erstellt am 6. Dezember 2018
In der Interaktion eines Nutzers mit gebrauchten Gegenständen kommen nicht nur ihre reale sondern auch ihre vorgestellte Reinheit oder Unreinheit zum Tragen.
Referenzen
- Baxter, W., Aurisicchio, M. & Childs, P. (2017). Contaminated Interaction: Another Barrier to Circular Material Flows. Journal of Industrial Ecology, 21(3), 507-516. doi:10.1111/jiec.12612
- Binnemans K., Jones P. T., Blanpain, B, Van Gerven, T., Yang, Y, Walton, A. & Buchert, M. (2013). Recycling of rare earths: a critical review. Journal of Cleaner Production, 51, 1-22. doi:10.1016/j.jclepro.2012.12.037
- Bleicher, A. (2019). Das Ende der Abfalleigenschaft – Kulturelle Mechanismen der Reinigung im Recycling. In S. Thiel, E. Thomé-Kozmiensky & D. Goldmann, D. (Hrsg.), Recycling und Rohstoffe (Band 11) (S. 125-134). Neuruppin: Thomé-Kozmiensky Verlag.
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – BMUB. (2016). Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II. Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Berlin: BMUB.
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – BMWi. (2010). Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen. Berlin: BMWi.
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- Fitzsimons, D. (2006). Improving Markets for Waste Oils. In Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD (Hrsg.), Improving Recycling Markets (S. 51-80). OECD.
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- Ormerod, K. J. & Scott, C. A. (2012). Drinking Wastewater: Public Trust in Potable Reuse. Science, Technology, & Human Values, 38(3), 351-373. doi:10.1177/0162243912444736
- Ruston, D. (2010, März). Consumer attitudes to sustainable electrical products (Waste & Resources Action Programme – WRAP, Summary Report). [www.wrap.org.uk]. Banbury, Großbritannien: WRAP. Aufgerufen am 13.12.2017.
- Thompson, M. (1979). Rubbish Theory. The creation and destruction of value. Oxford: Oxford University Press.
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- Wilts, H., von Gries, N., Dehne, I., Oetjen-Dehne, R., Buschow, N. & Sanden, J. (2016). Entwicklung von Instrumenten und Maßnahmen zur Steigerung des Einsatzes von Sekundärrohstoffen – mit Schwerpunkt Sekundärkunststoffe (Texte 65/2016). Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt – UBA.
Lesetipp
- Bleicher, A. (2018, 1. November). Sekundäre Rohstoffquellen: Altlast, Rohstoff oder kulturelles Erbe? Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 5.
DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2018.2.1.3
Zitiervorschlag: Bleicher, A. (2018). Unsere Primärrohstoffordnung. In O. Jorzik, J. Kandarr & P. Klinghammer (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Rohstoffe in der Tiefsee. Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft (S. 16-19). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2018.2.1.3