Handlungsoptionen: Regeln etablieren

Rechtliche Verfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg

Welche Fälle verhandelt das ‚Seabed Disputes Chamber’ am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg? Wie würde eine Streitschlichtung beim Tiefsee-Bergbau aussehen und welche Rechtsverbindlichkeit hätten künftige Urteile?

Text: Prof. Dr. Nele Matz-Lück
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) | Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

  • Die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg ist grundsätzlich zuständig für alle Streitigkeiten, die sich aus den Regelungen zum Tiefseebergbau ergeben können.
  • Dabei kann es sich um Streitigkeiten zwischen Staaten handeln, aber auch private Unternehmen oder die Meeresbodenbehörde können Streitparteien ein.
  • Ob und welche Fälle zukünftig zur Entscheidung vor die Kammer gebracht werden, wird voraussichtlich stark vom tatsächlichen Beginn kommerzieller Meeresbergbauaktivitäten abhängen.

Die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten am Internationalen Seegerichtshof hat bestimmte Zuständigkeiten, die im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) aufgelistet sind. Bisher handelt es sich dabei weitestgehend um rein theoretische Fallkonstellationen. Die Kammer ist bislang erst in einem einzigen Verfahren tätig geworden. Dabei handelte es sich um die Erstellung eines Rechtsgutachtens zu Fragen der Verantwortlichkeit und der Pflichten von Staaten, die Tiefseebergbauaktivitäten eines Vertragsnehmers unterstützen, und nicht um die Beilegung eines Rechtsstreites zwischen zwei Parteien.

Die Zuständigkeit für Rechtsgutachten, die auf Antrag der Versammlung oder des Rates der Internationalen Meeresbodenbehörde zur Klärung rechtlicher Fragen des Tiefseebergbaus erstellt werden müssen, steht neben der Zuständigkeit für streitige Verfahren. Die Kammer ist grundsätzlich zuständig für alle Streitigkeiten, die sich aus den Regelungen zum Tiefseebergbau ergeben können. Das beinhaltet Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten, zwischen einem Staat und der Meeresbodenbehörde, aber auch zwischen den Parteien eines Vertrages zum Tiefseebergbau und weitere Konstellationen.

Diese Bestimmungen stellen insofern eine Besonderheit dar, als internationale Streitbeilegung sich in den meisten Fällen auf Streitigkeiten zwischen Staaten bezieht. Vor der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten können aber auch private Unternehmen, die Meeresbodenbehörde und das bisher nicht gegründete Bergbau-Unternehmen der Meeresbodenbehörde („the Enterprise“) Parteien sein und zukünftige Verfahren einleiten.

Streitschlichtung beim Tiefsee-Bergbau

Die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten ist ein vom SRÜ eingerichtetes „Gericht im Gericht“, das mit einer Besetzung von elf Richterinnen und Richtern des Seegerichtshofs einsatzbereit sein muss, so dass jederzeit Fälle an die Kammer herangetragen werden können. Alle im SRÜ genannten möglichen Parteien können bei Streitigkeiten über rechtliche Fragen des Tiefseebergbaus ein Verfahren vor die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten am Internationalen Seegerichtshof bringen. Dass dies auch für solche Antragsteller gilt, die im Abschnitt über den Tiefseebergbau genannt sind und die keine Vertragsstaaten sind, hebt das Statut des Internationalen Seegerichtshofs noch einmal ausdrücklich hervor.

Da die Streitbeilegung im Rahmen des Seerechtsübereinkommens insoweit verbindlich ist, als Vertragsstaaten sich mit der Ratifikation des Vertrages der Gerichtsbarkeit bereits unterworfen haben, bedarf es keiner gesonderten Zustimmung eines Staates zum jeweiligen streitigen Verfahren mehr. Darin unterscheidet sich die Streitbeilegung für seerechtliche – und damit auch tiefseebergbaurechtliche – Streitigkeiten im Rahmen des SRÜ von anderen internationalen Verfahren, in denen Staaten zumeist für jede Streitigkeit neu entscheiden können, ob sie sich der juristischen Streitbeilegung vor einem internationalen Gericht unterwerfen. In Übereinstimmung mit den Regeln über die Arbeitsweise des Gerichtshofes gibt es auch für Verfahren vor der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten ein schriftliches Verfahren, in dem Schriftsätze zwischen den Parteien ausgetauscht werden, eine mündliche Verhandlung und schlussendlich ein verbindliches Urteil.

Mögliche Fälle, die in Zukunft auftreten können

Ob und welche Fälle zukünftig zur Entscheidung vor die Kammer gebracht werden, wird voraussichtlich stark vom tatsächlichen Beginn kommerzieller Meeresbergbauaktivitäten abhängen. Es sind bereits heute, vor allem aber in der Zukunft vielfältige Konstellationen denkbar, die unter die Zuständigkeit der Kammer am Seegerichtshof fallen würden. Es sind sowohl Streitigkeiten zwischen Staaten und der Meeresbodenbehörde über die Auslegung der Regeln des kommerziellen Tiefseebergbaus möglich, sobald dieser stattfindet, als auch zwischenstaatliche Streitigkeiten über Rechte und Pflichten z.B. zu den Gebieten, in denen Lizenzen vergeben werden als auch Fragen des Meeresumweltschutzes.

Auf Erfahrungswerte lässt sich in tiefseebergbaurechtlichen Fragen noch nicht zurückgreifen. Betrachtet man die Anzahl der Fälle, die Staaten bisher an den Internationalen Seegerichtshof in allgemeinen seerechtlichen Fragen herangetragen haben, so ist diese verhältnismäßig niedrig. Auch dies ist für die Frage zukünftiger Fälle vor der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten aber nur wenig aussagekräftig.

Gerade der größere Kreis antragsberechtigter Parteien einschließlich privater Unternehmen kann dazu führen, dass von der Kompetenz der Richterinnen und Richter in Hamburg verstärkt Gebrauch gemacht werden wird, wenn und sobald die potentiell streitträchtigen Aktivitäten am Meeresboden zunehmen. Daneben scheint die Möglichkeit der Rechtsgutachten durch die Kammer ein erfolgversprechender Weg Rechtsfragen zu klären, bevor es zu konkreten Streitigkeiten zwischen Parteien kommt. Hier wären die Versammlung und der Rat der Meeresbodenbehörde gefragt, entsprechend Fragen zu formulieren und der Kammer zur Entscheidung vorzulegen.

Rechtsverbindlichkeit der Urteile

Alle Entscheidungen der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten in streitigen Verfahren sind rechtlich bindend und gelten zwischen den Parteien zum jeweiligen Fall. Obwohl sie für andere Staaten und Unternehmen nicht verbindlich sind, kommt diesen Entscheidungen eine Rechtsfortbildungswirkung zu, indem die Auslegung rechtlicher Bestimmungen für die Zukunft und über das Ursprungsverfahren hinaus geprägt wird.

Rechtsgutachten, wie das Gutachten, das die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten im Jahre 2011 erstellt hat, sind nicht rechtlich bindend. Auch ihnen kommt aber eine erhebliche Wirkung zu, da Staaten sich bei der Entfaltung von rechtlich relevanten Aktivitäten daran orientieren. Auch hier hat die Kammer eine mögliche rechtsgestaltende Funktion, da viele rechtliche Fragen des Tiefseebergbaus ungeklärt sind.

Durchsetzungsmöglichkeiten im engeren Sinne, also z.B. Strafen oder Geldbußen bei Nichtbefolgung durch eine Partei, kennt das internationale Seerecht nicht. Die Nichtbefolgung eines bindenden Urteils stellt allerdings einen Bruch des Völkerrechts dar, für den der entsprechende Staat völkerrechtlich verantwortlich ist. Das Recht der Staatenverantwortlichkeit kennt bestimmte Gegenmaßnahmen, die ein Staat bei einem ihm gegenüber erfolgtem Rechtsbruch ergreifen darf. Ob solche Maßnahmen aber tatsächlich ergriffen werden und wie erfolgreich sie sind, fällt eher in den Bereich internationaler Politik. Die Durchsetzung einer Entscheidung gegenüber Privaten dürfte über den Staat der Staatszugehörigkeit des Unternehmens bzw. über den Staat, der die Bergbautätigkeit eines Vertragsnehmers unterstützt, dahingegen leichter zu erwirken sein.

Beitrag erstellt am 6. Dezember 2018

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.2018.2.4.5

Zitiervorschlag: Matz-Lück, N. (2018). Rechtliche Verfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. In O. Jorzik, J. Kandarr & P. Klinghammer (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Rohstoffe in der Tiefsee. Metalle aus dem Meer für unsere High-Tech-Gesellschaft (S. 76-78). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2018.2.4.5