Handlungsoptionen

Auf unsinniges Plastik in Europa verzichten

Es gibt nachweisbare Zusammenhänge zwischen europäischem Plastik und Funden in der Arktis, einem der letzten vermeintlich unberührten Ökosysteme. Auch Deutschland, als größter Plastikproduzent in Europa, steht in der Pflicht.

  • Vermüllung nimmt an den Tiefsee-Observatorien drastisch zu
  • Plastik am arktischen Meeresgrund zeigt bisher keine Anzeichen von Zersetzung
  • Meereis wichtige Senke für Mikroplastikpartikel
  • Deutschland größter Produzent von Plastik in Europa
  • Recycling-Quote nach wie vor sehr niedrig. Verbrauchtes Plastik wird meist nur verbrannt

Der Plastikmüll und das Mikroplastik in der Arktis erreichen Werte, die zum Teil mit denen Asiens oder dicht besiedelter Ballungszentren in Europa (Tiefseegräben bei Lissabon) vergleichbar sind. Und die Werte stiegen im letzten Jahrzehnt stark an. Seit 2002 dokumentiert das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz Zentrum für Polar-und Meeresforschung (AWI), an zwei Messpunkten zwischen Grönland und Spitzbergen im eigenen Tiefsee-Observatorium "HAUSGARTEN" die Veränderung der Müllmengen. Das Ergebnis der Langzeituntersuchung mit Unterwasserfotos in 2500 Metern Tiefe: Innerhalb von 10 Jahren ist die Verschmutzung am nördlich gelegenen Messpunkt um das über 20-fache gestiegen. Und der Müll wandert immer weiter nordwärts, in immer unberührtere Gegenden. Insbesondere finden Wissenschaftler auch immer mehr kleinere Plastikpartikel.

Die Plastikmengen am Meeresboden der Arktis sind mit ~8000 Partikeln pro Quadratkilometer vergleichbar mit den höchsten jemals am Meeresboden gefundenen Mengen (La Fonera und Cap de Creus Canyons im nordwestlichen Mittelmeer). Bekannt ist aus europäischen Gewässern, dass Müll vor allem nach und nach in die Tiefseegräben wandert. Neue Forschungsergebnisse belegen die bislang höchste am Meeresboden gemessene Verschmutzung mit Mikroplastik von knapp 6600 Teilchen pro kg Sediment.

Eine aktuelle Studie des AWI weist für fünf verschiedene Regionen des Arktischen Ozeans zum Teil mehr als 12.000 Mikroplastik-Teilchen pro Liter Meereis nach. In den Eisproben fand sich ein breites Spektrum von Plastik-Überresten vom Müllstrudel aus dem Pazifischen Ozean bis hin zu einem hohen Anteil von Lack- und Nylonpartikeln, die vom wachsenden Schiffsverkehr und Fischfang im Arktischen Ozean stammen. An arktischen Stränden, fernab von jeglichen Ballungszentren, identifizierten Forscher kürzlich mit Hilfe von Kreuzfahrt-Touristen eher üblichen Hausmüll, aber vor allem immer wieder Unmengen an Netzen und anderem Zubehör aus der Fischerei.

Europäischer Müll in der Arktis

Woher stammt dieser Müll? Eines der wahrscheinlichsten Szenarien ist, dass Plastikmüll über den Atlantik und die Nordsee eingetragen wird. Wie stark europäische Länder daran beteiligt sind, zeigt eine Studie der Universität Manchester. Bei einer Untersuchung von Mikroplastik in Zuflüssen des Mersey-Rivers, der bei Liverpool in die irische See mündet, wurden an der Wasseroberfläche Extremwerte von 517.000 Mikroplastik-Partikeln pro Quadratmeter gefunden. Insgesamt deuten mehr und mehr Studien darauf hin, dass sich die von Wissenschaftlern prognostizierte sechste Akkumulationszone im Norden – in der nahe gelegenen Barentsee – bewahrheitet. Diese speist sich wahrscheinlich ebenso aus Müll aus dem Nordatlantik (und Golfstrom). Klar ist, dass der Müll über die Strömungen sehr weite Wege zurücklegen kann. Durch die zunehmende Verwitterung während dieser Reise lässt sich die genaue Herkunft daher schwer belegen. Vermutet wird zusätzlich, dass das schmelzende Meereis zum bedeutsamen Transportweg für Mikroplastik wird, denn es ist eine wichtige Senke für die kleinen Partikel (<5mm). Aber auch entlang der Schifffahrtsrouten nimmt die Mülldichte signifikant zu. Fischerei und wahrscheinlich auch der zunehmende Kreuzfahrttourismus tragen ebenfalls zur Vermüllung der Arktis bei. Forscher aus Norwegen haben Fischereimüll als eine der Hauptquellen identifiziert.

Das Problem für das arktische Ökosystem: Aufnahmen von Plastikfetzen am Meeresboden zeigen selbst nach zweijähriger Verweildauer in der Tiefe keine Anzeichen von Zersetzung. In der Tiefsee kommt kein UV-Licht mehr an, die Wassertemperatur ist niedrig und schwankt kaum noch. Das Plastik ist nicht mehr dem Wellengang ausgesetzt und wird konserviert. Als Folge droht die Arktis zu einem Endlager für Plastikmüll zu werden. Aktuell weiß man über 99 Prozent des Plastikmülls in den Ozeanen jedoch nicht, wo er verbleibt. Es ist eine der wichtigsten Fragen. Da mehr als 60% der Erdoberfläche tiefer als 2000m ist, entzieht sich der Meeresgrund, aufgrund der hohen Kosten und aufwändigen Logistik, meist den Forschern. Doch Untersuchungen des AWI nähren die Vermutung, wo das Plastik sein könnte: am Boden des arktischen Meeres.

Fundstück: Auf Spitzbergen wurden an den Stränden Plastikteile aus Europa gefunden. Bei diesem speziellen Fundstück ist der Herkunftsort "Hamburg" gut erkennbar.

Plastik in Europa konsequenter wiederverwerten

Dr. Melanie Bergmann, die die AWI-Untersuchungen in der Arktis seit Jahren leitet, geht davon aus, dass der Müll in der Arktis Müll in weiten Teilen aus Nord-Europa stammt. Daher stehen die europäischen Länder auch in der Pflicht, gegen ihren Plastik-Konsum anzugehen und auf unsinniges Plastik komplett zu verzichten. Dazu zählen besonders Einmal-Verpackungen. Klar ist: Alle europäischen Länder zusammen produzieren genauso viel Plastik wie China. Deutschland ist Spitzenreiter in der Produktion und eine führende Exportnation. Und noch immer gelangt aus den 23 europäischen Küstenländern mehr Müll ins Meer als in den gesamten USA. Die Recycling-Quoten sind in Deutschland nach wie vor sehr niedrig, wenn man von Waste-to-energy (Abfall-zu-Energie), also der Verbrennung von Plastikmüll zur Energiegewinnung, absieht. Der Gewinn von Energie aus verbrauchtem Plastik ist problematisch, weil dabei ein Cocktail verschiedenster, zum Teil unbekannter Schadstoffe erzeugt wird, die man aufwändig in Salzstöcken endlagern muss.

Die Recycling-Quote für Plastik, die nach Angaben der der Europäischen Kommission gegenwärtig im Bereich der EU bei weniger als 30 Prozent liegt, muss also steigen. Zusätzlich müsste die Politik viel stärker intervenieren, um den Plastikverbrauch einzudämmen, beispielsweise durch die Schaffung von Anreizsystemen, aber auch durch Abgaben und gegebenenfalls sogar Sanktionierungen oder höhere Strafen, wenn Müll illegal entsorgt wird. Ein Umdenken ist nötig, wenn der mit Abstand größte Teil des Plastiks in Europa (39,9 Prozent, 2016) für Verpackungsmaterial verwendet wird. Darüber hinaus müsste viel mehr in die Entwicklung wirklich abbaubarer Polymere investiert werden. Weitere technische Optimierungen sind direkt bei der Abfall- und Abwasserentsorgung möglich und nötig. Anfang 2018 stellte die Europäische Kommission ihre Plastikstrategie vor. Nach den neuen Plänen sollen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recyclingfähig sein; der Verbrauch von Einwegkunststoffen wird reduziert und die absichtliche Verwendung von Mikroplastik beschränkt. Mit neuen Vorschriften über Hafenauffangeinrichtungen werden Meeresabfälle aus Quellen auf See bekämpft. Die Maßnahmen sollen sicherstellen, dass auf Schiffen anfallende oder auf See gesammelte Abfälle nicht zurückgelassen, sondern an Land zurückgebracht und dort ordnungsgemäß bewirtschaftet werden.

Gesellschaftlicher Bewusstseinswandel

Nicht zuletzt muss der Bewusstseinswandel in der Bevölkerung her. Hier können Citizen-Science-Projekte wie die des Alfred-Wegener-Instituts helfen. Bei einer Strandreinigungs-Kampagne, bei der Teilnehmer von Kreuzfahrten mitmachten, wurden an den nördlichen Stränden des Svalbard-Archipels (Spitzbergen) knapp über 991 Kilo Müll eingesammelt. Gerade weil auch der Tourismus weltweit ein wesentlicher Mitverursacher für das Müllproblem in den Meeren ist, kann man so Aufklärungsarbeit leisten und für das Thema durch Beteiligung sensibilisieren. Aber auch in Schulen müsste die Umwelterziehung intensiviert werden. Es gibt also viele Hebel, die hierzulande bewegt werden können, um dem globalen Problem etwas entgegen zu setzen.

Beitrag aktualisiert am 22. August 2018

Ein Beispiel für gelungene Umwelterziehung: Mitarbeiter und Studierende des College of Life and Earth Sciences an der University of Exeter haben eine Kinderbuchserie entwickelt, die wissenschaftliche Forschung zum Leben erweckt. In dieser Folge geht es um die Wasserschildkröte Nerin, die auf der Suche nach Nahrung eine Plastiktüte mit einer Qualle verwechselt und sie frisst. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich daraufhin dramatisch.
Buch und Illustration: Sarah Nelms/Kate Nelms
Zur Online Version

„Wir brauchen fundamentale Veränderungen“

Die EU will Einwegprodukte wie Strohhalme oder Wattestäbchen verbieten, um Plastikmüll in den Meeren zu reduzieren. Dazu eine wissenschaftliche Einschätzung der Experten Dr. Melanie Bergmann und Dr. Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (30.10.2018):

Die Ozeane stellen das größte zusammenhängende Ökosystem der Erde dar und umfassen die exotischsten Lebensräume. Aber selbst auf dem Meeresboden der arktischen Tiefsee, im Meereis oder an den Stränden abgelegener Inseln finden wir mittlerweile große Mengen von Müll. Daher ist es gut und wichtig, dass die EU Maßnahmen zur Verringerung des Müllaufkommens in den Ozeanen ergreift. Beim Plastik anzusetzen ist folgerichtig, da Kunststoffe rund drei Viertel des gesamten Mülls in den Meeren ausmachen.

Ein Fokus auf Einwegprodukte wie Strohhalme, Wattestäbchen und Einweggeschirr erscheint zunächst sinnvoll, da sie in vielen Meeresgebieten einen auffälligen Anteil an dem gesamten Müllvorkommen haben. Vor allem aber ist eine Verschmutzung der Meere mit solchen Einwegprodukten, die leicht zu ersetzen wären, völlig unnötig. Daher ist es richtig, die massenhafte Herstellung von Produkten, die nach einmaliger Nutzung nicht mehr zu gebrauchen sind, rigoros zu reglementieren.

Lesen

Quellen

  • Bergmann, M. & Klages, M. (2012). Increase of litter at the Arctic deep-sea observatory HAUSGARTEN. Marine Pollution Bulletin, 64(12), 2734–2741. doi:10.1016/j.marpolbul.2012.09.018
  • Bergmann, M., Lutz, B., Tekman, M. B. & Gutow, L. (2017). Citizen scientists reveal: Marine litter pollutes Arctic beaches and affects wild life. Marine Pollution Bulletin, 125(1-2), 535-540. doi:10.1016/j.marpolbul.2017.09.055
  • Bergmann, M., Sandhop, N., Schewe, I. & D’Hert, D. (2015). Observations of floating anthropogenic litter in the Barents Sea and Fram Strait, Arctic. Polar Biology, 39(3), 553-560. doi:10.1007/s00300-015-1795-8
  • Bergmann, M., Tekman, M. B. & Gutow, L. (2017). Marine litter: Sea change for plastic pollution. Nature, 544(7650), 297-297. doi:10.1038/544297a
  • Bergmann, M., Wirzberger, V., Krumpen, T., Lorenz, C., Primpke, S., Tekman, M. B. & Gerdts, G. (2017). High Quantities of Microplastic in Arctic Deep-Sea Sediments from the HAUSGARTEN Observatory. Environmental Science & Technology, 51(19), 11000-11010. doi:10.1021/acs.est.7b03331
  • Pham, C. K., Ramirez-Llodra, E., Alt, C. H. S., Amaro, T., Bergmann, M., Canals, M., ... Tyler, P. A. (2014). Marine Litter Distribution and Density in European Seas, from the Shelves to Deep Basins. PLOS ONE, 9(4):e95839. doi:10.1371/journal.pone.0095839
  • Tekman, M. B., Krumpen, T. & Bergmann, M. (2017). Marine litter on deep Arctic seafloor continues to increase and spreads to the North at the HAUSGARTEN observatory. Deep Sea Research Part I: Oceanographic Research Papers, 120, 88-99. doi:10.1016/j.dsr.2016.12.011